Schatten der Vergangenheit…

Immer wieder plagt mich das schlechte Gewissen: Weil ich insgesamt acht Kirchengemeinden zu versorgen habe, die bis zu zwanzig Kilometer voneinander entfernt bin, fahre ich in der letzten Zeit relativ viel mit dem Auto. Fast doppelt so viel, wie ich in der Zeit unterwegs war, als ich noch in Berlin gearbeitet habe.

Wenn ich dann in der Gemeinde die Menschen zu umweltbewusstem Verhalten ermuntern will, weiß ich, dass ich meiner eigenen Predigt nicht wirklich entspreche, solange ich etwa drei Tankfüllungen im Monat verbrauche…

Immerhin fahre ich ein kleines, sparsames Auto und bewege nicht Tonnenweise Stahl und Alu durch die Gegend; aber das ist nur ein schwacher Trost und beruhigt mein Gewissen nicht wirklich. Ich bin mit Schuld am Klimawandel…

Manchmal habe ich seltsame Ideen beim Tanken – Erdöl ist ja ein sehr alter Rohstoff, jedenfalls im Vergleich zu Holz und Stroh und Heu. Es ist entstanden aus Lebewesen, die vor Millionen Jahren gelebt haben, deren Körper dann innerhalb der Erdkruste bei hohen Temperaturen und unter ungeheurem Druck umgewandelt wurden, bis sie als Öl, Erdgas, Bitumen oder Teer wieder an die Oberfläche treten…

Und ich stelle mir dann vor, dass ich auf dem Weg zwischen Lichtenrade und Brusendorf einen Viertel der Überreste eines Archaeopterix verbrenne, der vor vor einer Millionen Jahre gelebt hat; dass ich im Laufe des Jahres einen ganzen Brontosaurus in Abgas verwandle…

Wikipedia sagt zwar, dass die ursprüngliche Biomasse, aus der Erdöl entstand, größtenteils aus Algen und maritimen Kleinstlebewesen wie Plankton oder Urzeitkrebsen (die aus dem Yps mit Gimmick-Heft) bestand, aber ich denke meist an größere Tiere….

Geschichte ist nie wirklich vorbei – vielleicht wird auch die „Biomasse“ der heute lebenden Pflanzen, Menschen und Tiere in einigen Millionen Jahren versteinert, verwandelt und katalysiert als fossiler Energieträger genutzt – von den Nachfolgern der Kakerlaken oder was auch immer dann die Apokalypse der Menschheit überlebt hat…

Wach im Morgengrauen…

Plötzlich werde ich wach, weil mich ein Gefühl berührt hat.
Ein Gedanke aus der Zeit, als ich noch sicherer war, das Richtige zu tun.
Eine Zeile aus einem alten Schlager.
Ein bittersüßer Abschiedskuss.

Früher haben Freunde mich lächelnd umarmt.
Meine Jugend war nicht Sturm und Drang,
sie war Tage voller Sonne und Baden am Baggersee.
Sehnsucht und Tränen, das ist meine Gegenwart.

Mein Koffer ist gepackt, aber er steht unbeachtet im Keller.
Ich werde nicht bleiben, der ich bin.

Mit diesem Widerspruch muss ich leben.

Habe ich geweint? Ich werde müde sein. Jetzt möchte ich beten.

Draußen rauscht der Atem der Stadt.
Der Wecker tickt.
Mein Herz klopft.
Ich bin allein.

Alles ist gut.

 

Being safe is scary…

Bücher (2)

Zum vierzehnten Mal findet in diesem Jahr die documenta in Kassel statt. Die Kunstausstellung handelt in diesem Jahr von Themen wie Flucht und Widerstand, Heimat und Fremde, Angst und Sicherheit, Chaos und Struktur.

Bei der letzten documenta vor fünf Jahren habe ich meine Vorurteile gegenüber moderner Kunst endgültig überwunden; die Ausstellungsstücke, die damals zu sehen waren, waren für mich inspirierend und anregend. Auch dieses Mal gab es solche Kunstwerke zu sehen, die man nicht mit einem Achselzucken abtun kann und von denen ich weiß, dass sie in meinen Gedanken nachwirken werden.

Nachdenklich gemacht hat mich zum Beispiel dieses kleine Stück Kunst: Das Hauptgebäude der Ausstellung ist das Fridericianum, ein ehemaliges Museumsgebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert, das durch die documenta zu einem international bekannten Zentrum für moderne Kunst geworden ist.

Über dem klassizistischen Eingang steht normalerweise der Name des Gebäudes „Fridericianum“, während der documenta aber sind die Buchstaben umgestellt und ergänzt worden, so dass man dort nun lesen kann: „beingsafeisscary“ – „Sicher sein ist beängstigend“.

Im Zusammenhang mit dem Thema der documenta bekommt dieser zunächst paradoxe Satz einen Sinn: Wenn man sich in einer gewissen Sicherheit eingerichtet hat, macht man sich auch unflexibel und wird bequem. Man kann nicht so leicht sachgerecht reagieren, wenn sich soziale Umweltbedingungen und die politische Großwetterlage ändern. Sowohl einzelne Menschen als auch ganze Gesellschaften und Völker werden dann von plötzlichen Veränderungen überrascht und handeln in Panik und voller Angst, was Populisten und Diktatoren leicht für sich ausnutzen können.

Wenn man diesen gefährlichen Hang zur Bequemlichkeit durchschaut hat, leuchtet der Satz „being safe is scary“ unmittelbar ein – denn die „richtige“ Haltung ist dann die Wachsamkeit, das aufmerksame Beobachten der Situation, in der man lebt, und die Bereitschaft, schnell und und angemessen zu reagieren, wenn Dinge sich ändern…

(Fortsetzung folgt)