Alle Zeit der Welt…
Schon als Kind hat mich die Frage brennend interessiert: Was genau ist eigentlich die Zeit? Woher weiß der Wecker, wie spät es ist? Warum bin ich eigentlich genau jetzt geboren und nicht erst in tausend Jahren oder schon vor hundert? Hat die Zeit irgendwann angefangen? Was war dann davor? Und wird sie irgendwann enden? Was wird dann sein nach dem Ende der Zeit?
Als Kind habe ich damals einen Wecker auseinandergenommen. Ich fand Zahnräder und Stahlfedern, glänzende Bauteile aus Messing und natürlich das kleine Herz der Uhr, die Unruh, nervös hin und her schwingend im Sekundentakt: Hierher kam das Ticken des Weckers, und hier lag ganz sicher das Geheimnis – mit diesem winzigen Drehpendel kam die Zeit in die Uhr.
Aber wie genau? Das Geheimnis besteht für mich immer noch, obwohl ich inzwischen eine Menge darüber gelernt habe.
Fangen wir am Anfang an.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Jede Religion, jeder Glaube hat seine Schöpfungsgeschichte, einen Mythos, der erklären soll, wie die Welt entstanden ist, wozu sie da ist und warum sie so ist, wie sie ist und nicht ganz anders. Diese Erzählungen sind oft sehr phantasievoll, meistens sehr bodenständig erdwärts gerichtet. Sie berichten vom Kampf der Urgewalten, von erschlagenen Gottheiten, aus deren toten Körpern dann Himmel und Erde geformt wurden. Manche Schöpfungsmythen erzählen, dass die Welt abrupt begann, wie ein Ei aufbricht – andere berichten von einem jahrelangen Prozess, in dem die Gottheit Schritt für Schritt ihren Plan umsetzt. Himmel und Erde, Sonne Mond und Sterne, das Meer und das Trockene, die fernen Inseln und die unentdeckten Kontinente, Pflanzen und Tiere und zuletzt auch die Menschen werden durch den Willen Gottes geschaffen…
Aber nur selten spielt in diesen Mythen die Zeit eine Rolle. Sie wird einfach vorausgesetzt, denn alles, was entsteht und geschaffen wird, was lebt und sich entwickelt, braucht dazu Zeit. Das Werden und das Vergehen sind ihr Werk. Chronos frisst seine Kinder. Am Ende verbrennt die Welt zu Asche. Oder sie friert ein in einem ewigen, zeitlosen Eis. Sic transit gloria mundi – so vergeht die Herrlichkeit der Welt.
Erstaunlich finde ich immer wieder, dass auch die Modelle der modernen Naturwissenschaften, die Kosmogonien der Astrophysiker und der theoretischen Astronomen ganz ähnliche Züge zeigen: Auch sie wollen verstehen und erklären können, wie die Welt entstand und warum sie so ist, wie sie ist; auch sie machen sich ihre Theorien, was genau Zeit eigentlich ist, wie sie begann und ob sie irgendwann einmal enden wird und was danach sein wird.
Am Anfang entstand der Kosmos. Unvermittelt, grundlos, ohne Ursache, wie eines der virtuellen Teilchen, die im Vakuum entstehen und in Sekundenbruchteilchen wieder verschwinden. Ein Sein tritt in die Existenz, voller Möglichkeiten, voller Macht, voller Energie. Und mit ihm begann die Zeit.
Aber es ist für uns kaum zu verstehen, denn die Naturgesetze, die wir kennen und milliardenfach erprobt haben, stoßen hier an ihre Grenze. Mißtrauisch machen schon die vielen Unendlichkeiten, die hier vorausgesetzt werden müssen. Das All war unendlich klein, unendlich heiß, unendlich neu. Es gibt kein davor. Dies ist die Sekunde Null. Die Wissenschaftler nennen dies eine Singularität – das Geheimwort der Wissenschaft, das eigentlich bedeutet: Hier kommt unser Denken und Begreifen an eine letzte Grenze, die wir nicht verstehen.
„Urknall“ nannten die Theoretiker, die versuchten, den Anfang des Universums zu beschreiben, diesen Moment, und schon bald tat ihnen das leid, denn in der Vorstellung der Menschen, die ihre Lehren gespannt verfolgten, entstand das Bild einer gigantischen Explosion, aus der heraus alles in das Dasein geschleudert wurde, woraus die Welt heute besteht.
So war es aber nicht. Der Urknall war keine Explosion der Welt in eine sie umgebende Leere hinein. Darum gibt es im Universum keinen Ort von dem man sagen könnte: Hier hat alles begonnen, hier ist der Mittelpunkt von Allem, hier hat der Urknall stattgefunden. Dieses unendlich Kleine, von unvorstellbarer Energie gefüllte Nichts war das ganze Universum, der Urknall geschah überall gleichzeitig.
Ab diesem Moment begann das Universum, sich auszudehnen. Aber auch das darf man sich nicht vorstellen, als ob sich da ein Kugelfisch aufpumpt oder ein Luftballon aufgeblasen wird. Das Universum dehnt sich nicht einen leeren Raum hinein aus, sondern es ist der Raum selbst mit allem, was darin ist, der sich ausdehnt.
Wie alt ist das Universum?
Es ist der Forschung von Edwin Hubble zu verdanken, dass wir heute eine begründete Vermutung haben darüber, wie alt das Universum ist. Es wird vermutet, dass der „Urknall“ vor ca. 13,7 Milliarden Jahren statt fand. Diese Zeit – so lang sie für uns mit im Vergleich eher kurz bemessenen Lebensspannen auch sein mag – ist verblüffend kurz. In dieser Zeit ist alles antstanden, was da ist: die Galaxien mit ihren Hundertmilliarden Sternen, mehrere Generationen von Sternen mit den sie umgebenden Planetensystemen und auf einer unbekannten, aber wahrscheinlich atemberaubend großen Zahl von ihnen wimmelndes Leben in jeder nur denkbaren Art, klein und groß, Bakterien im Urschleim, Krebse und Mollusken im Wasser, kriechende und krabbelnde Insekten auf der Erde, Pflanzen und Vögel, Raubtiere, Dinosaurier und denkende, intelligente Wesen, die sich jetzt oder schon vor Milliarden von Jahren daran machen, ihren Planeten zu verlassen und den nahen Weltraum zu erforschen…
Das Universum dehnt sich aus. Hubble hat das vermutet und seine These später dann mit Forschungsergebnissen untermauert. Jede andere Galaxie im Universum bewegt sich von unserer Galaxie weg, und zwar um so schneller, je weiter sie entfernt ist. Als Beispiel für diese Bewegung wird oft dieses Bild verwendet: Wenn ein Kind viele Punkte auf einen schwach aufgeblasenen Luftballon malt und dann den Ballon weiter aufbläst, entfernt jeder Punkt auf der Fläche des Ballons von jedem anderen, ohne dass es auf der Fläche ein Zentrum oder einen Mittelpunkt gibt. So gibt es auch im Universum keinen Ort, an dem die Ausdehnung begonnen hätte, sondern überall dehnt sich das All gleichmäßig aus.
Die Geschwindigkeit, mit der andere Galaxien sich von uns entfernen, nimmt mit ihrem Abstand zu. Ganz am Rand des beobachtbaren Weltalls erreicht sogar die Geschwindigkeit die des Lichtes. Das ist möglich, weil es in Wirklichkeit nicht die Galaxien sind, die sich so schnell bewegen, sondern der Raum, den sie einnehmen, bewegt sich mit ihnen von uns weg.
Kehrt man diese Bewegung in einem Gedankenexperimant um, stürzt der Raum mit all den darin befindlichen Galaxien und Sternen aufeinander zu, wird immer kleiner und bildet nach ca. 13,7 Milliarden Jahren einen unendlich kleinen Punkt, in dem alles enthalten ist, was es gibt und jemals geben wird – die Singularität…
Bisher kann niemand sagen, was die Stunde Null ausgelöst hat; niemand weiß, welche Ursache den Urknall ausgelöst hat. Es kann kein Ereignis in diesem Universum gewesen sein – denn das gab es ja noch nicht.
Betten machen im Weltall
Direkt nach dem Urknall ist in unvorstellbar kurzer Zeit unglaublich viel geschehen. Das Universum begann, sich auszudehnen, und es war mit beinahe unendlich viel Energie gefüllt. Das heißt, die Unterscheidung von Masse und Energie war damals noch sinnlos, Energie und Materie wandelten sich dauernd ineinander um, und auch die vier heute bekannten Grundkräfte des Universums waren noch ununterscheidbar. Graviatation, schwache und starke Kernkraft und die elektromagnetische Kraft waren eins.
Während das Universums sich ausdehnte, kühlte es sich rasch ab, und aus der heißen, undurchsichtigen Ursuppe kristallisierten sich die ersten Elementarteilchen heraus, Quarks, Neutrinos, Elektronen und ihre Antiteilchen, die Trägerteilchen für die elementaren Kräfte und der ganze Teilchenzoo, den es sonst noch gibt. Die Symmetrie wurde gebrochen – es entstanden aus irgendeinem Grund mehr Teilchen von dem, was wir heute Materie nennen, als von dem, was wir heute Antimaterie nennen.
Materie und Antimaterie löschten sich gegenseitig aus, und nur der kleine Überschuss von Materie bildet heute die ganze Masse des Universums.
Die Wissenschaftler haben lange gerätselt, wieso Masse und Energie im Universum so gleichförmig verteilt sind, die Abweichung der kosmischen Hintergrundstrahlung in alle Himmelsrichtungen beträgt nicht einmal ein Promille. Eine weithin anerkannte Theorie besagt, dass das Universum nach einigen Millionstel Sekunden sich wahnsinnig schnell ausgedehnt hat, viel schneller als mit Lichtgeschrindigkeit. Aus einer kleinen Form so groß wie eine Nuss wurde in Sekundenbruchteilen ein Gebilde, das größer war als das ganze Sonnensystem!
In dieser Phase der Entwicklung des Alls, die man als inflationäres Wachstum bezeichnet, wurden alle Unterschiede, die es vorher gab, Klumpen, Wirbel, Abweichungen gewissermaßen auseinandergezogen und geglättet wie die Falten eines Spannbettuchs, das sich auch ungebügelt an die Matratze schmiegt, wenn es aufgespannt wurde…
In den nächsten Minuten entwickelten sich dann die Elementarteilchen, nach einigen Jahrhunderten war das Universum so weit abgekühlt, dass sich Atomkerne bilden konnten, die dann später Elektronen einfingen – die ersten „richtigen“ Atome bildeten sich.
Dann dauerte es nur wenige Millionen Jahre, bis erste Sterne und erste Galaxien entstanden. Die meisten Sterne sind kleine, rote Zwergsterne, die ihren Wasserstoff äußerst genügsam „verbrennen“, die meisten roten Zwergsterne leuchten seit mehr als zehn Milliarden Jahren und werden noch hundert Milliarden Jahre weiter leuchten. Gelbe Sterne wie unsere Sonne sind mit etwa vier bis fünf Milliarden Jahren Alter und zehn Milliarden Jahren „Lebenserwartung“ mittelalte Sterne, die meisten gelben Sterne sind schon die zweite Generation. Die Riesensterne verbrennen ihren Treibstoff vergleichsweise schnell, sie werden nur ein paar hundert Millionen Jahre alt, bis sie in Supernovaexplosionen ihre Energie und ihre Materie in den Kosmos hinaus blitzen – dabei entstehen die schwereren Elemente, die bis dahin im Universum nicht vorkamen.
Gold, Silber, Uran – alle Elemente, deren Atome schwerer sind als das Eisenatom, kommen im Universum nur vor, weil es Supernovae gibt. Wir bestehen zum Teil aus der Asche dieser Explosionen. Leben in unserem Sinn gibt es also nur in Galaxien, die Sterne der „zweiten Generation“ enthalten und darum die schweren Elemente zur Verfügung stellen, die das Leben für seine Existenz braucht.
Mit unterschiedlichem Maß gemessen…
In der Frühzeit des Universums spielten vor allem Interaktionen zwischen Elementarteilchen eine Rolle. Diese Interaktionen verlaufen meist sehr schnell. Sinnvollerweise werden sie oft in Pico- und Nano-Sekunden gemessen, in Milliardstel und Billiontel Teilen einer Sekunde. Noch heute laufen Vorgänge im Inneren des Atoms und Quantenvorgänge mit solchen Geschwindigkeiten ab.
Vorgänge, an denen Moleküle beteiligt sind, brauchen oft Milliontel und Tausendstel einer Sekunde. Dies ist die Geschwindigkeit, in der chemische Reaktionen stattfinden. Biologische Vorgänge brauchen in der Regel zwischen einer tausendstel Sekunde (das ist die Geschwindigkeit, mit der Nervenzellen wie Neuronen oder die Zellen in der Netzhaut des Auges reagieren) bis hin zu mehreren Stunden (für Zellteilung und andere „komplizierte“ Dinge.
Und – wie gesagt – Vorgänge in Planetensystemen brauchen zwischen mehreren Wochen und Jahrmilliarden. Je größer der Rahmen wird, den man in den Blick nimmt, desto mehr Zeit vergeht, bis etwas wahrnehmbares geschieht.
Auch Sterne vergehen am Ende ihrer Zeit, irgendwann wird der „Treibstoff“ auch für den letzten Stern des Universums nicht mehr ausreichen. Dann geht das einzige Licht im Universum von den katastrophalen Blitzen von zusammen stoßenden und sich vereinigenden Schwarzen Löchern aus.
Und dann ist irgendwann nichts mehr. Das Weltall ist dunkel und leer. Und Zeit wird ein sinnloser Begriff…
Eines der schönsten, erschreckendsten, überwältigendsten und inspirierensten Videos im Internet stelle ich Euch hier vor. Bitte sehr es Euch unbedingt auf dem größten Bildschirm an, den Ihr zur Verfügung habt; und – wenn es geht – hört den Ton über gute Kopfhörer.
This goes right to the heart……….
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