Auf dem falschen Fuß erwischt!

Der Tag fing anstrengend an: Termine im Büro, Besuch im Copyshop, Andacht im Seniorenzentrum, Einkaufen für die Geburtstagsfeier der Frau, nach Hause zum Umziehen und dann weiter zum Friedhof, wo eine Trauerfeier stattfinden wird.

Ich stehe in der Sakristei, versuche mich zu konzentrieren, ziehe den Talar an. Der Organist schaut rein und fragt nach den gewünschten Liedern und sagt, bevor er die Tür wieder schließt: „Ach, übrigens, Sie haben zwei verschiedene Schuhe an…“

Erschrocken schaue ich an mir herunter. Tatsächlich! In der Hektik habe ich einen schwarzen Lederschuh angezogen und dazu einen dunkelbraunen Schuh aus Wildleder. Und daran kann ich jetzt auch nichts mehr ändern.

Da muß ich jetzt durch. Zum Glück ist der Talar recht lang, wenn ich stehe, sieht man die Schuhe nicht, aber sobald ich einen Schritt mache,  ist es unübersehbar.

Unterschiedliche Schuhe. Die ganze Zeit bin ich nervös und nicht ganz bei der Sache. Hoffentlich bringe ich nicht noch mehr durcheinander. Es gibt so viele Fettnäpfchen, in die man treten kann. Habe ich mir den Mädchennamen der Verstorbenen richtig gemerkt? Habe ich ihre Mutter und ihre Schwester verwechselt? Die Frau in der ersten Reihe guckt so seltsam. Hat sie die Schuhe bemerkt? Ich würde jetzt so gern im Boden versinken.

Nun orgelt es von der Empore her, ich stehe neben dem Lesepult und drehe mich so, dass man nur den schwarzen Schuh sehen kann. Eigentlich sollte ich zwei von dieser Sorte anhaben. Drehe ich mich andersrum, sieht die Gemeinde den unpassenden Wildlederschuh. Wieder sind meine Gedanken abgelenkt. Wäre die Musik nicht von der Orgel gespielt, würde Frank Sinatra aus der Musikanlage singen „I did it my way…“ Ob er auch mal die falschen Schuhe an hatte, auf der Bühne in New York, vor tausend Leuten? Hier sind es nur zwanzig, aber trotzdem.

Ich bete mit der Gemeinde, schaue unauffällig in die Runde; alle haben die Augen geschlossen. Soll ich schnell die Schuhe ausziehen, in Socken vor den Leuten stehen? Das würde bestimmt auch unangenehm auffallen…

Nach einer halben Stunde ist alles vorbei. Niemand hat etwas gesagt. Sie müssen doch gemerkt haben,  wie nervös und durcheinander der Pfarrer war. Hoffentlich sind sie nicht enttäuscht. Bei Trauerfeiern hast du nur eine Chance, da kannst du nicht beim nächsten Mal etwas „ausbügeln“. Aber vielleicht waren sie alle mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt. Vielleicht hat keiner so kritisch auf meine Füße geschaut. Und wenn doch, gibt es auf zukünftigen Familienfeiern etwas zum Lachen und zum Kopfschütteln. Da bin dann aber nicht dabei…

Schlaue Schlange…

Heute habe ich im Gottesdienst einen Abschnitt aus den Urgeschichten der Bibel vorgelesen bekommen und bin an einem Aspekt hängen geblieben, den ich bisher immer einfach übersehen habe: Die Schlange, so heißt es da, war listiger und schlauer als alle anderen Tiere.

Ich kenne mich mit Schlangen überhaupt nicht aus, vor ein paar Tagen habe ich hier geschrieben, dass sie mir eher unheimlich sind. Seitdem habe ich ein bisschen gegoogelt und weiß jetzt genauer, was ich vorher auch schon wusste. Schlangen sind Reptilien ohne Beine, sie legen Eier wie Vögel oder Dinosaurier, mit denen sie viel enger verwandt sind als zum Beispiel mit Aalen oder Würmern. Manche Schlangen sind giftig, andere sind sehr groß und können Tiere und Menschen erwürgen, wieder andere können ihren Unterkiefer und ihren Oberkiefer auseinander haken und dann Tiere ganz herunter würgen, die viel größer sind als sie selber, ganz mit Fell und Schwanz und Haut und Haar.

Manches ist im Internet zu finden, aber eine Antwort auf die Frage habe ich nicht gefunden: sind Schlangen schlau und listig?

Am Anfang geht es erst einmal darum: wie könnte man Intelligenz bei einer Schlange erkennen, und wie könnte man sie mit anderen Intelligenzen vergleichen?

Schlangen sind geschickte Jäger. Das müssen sie aber auch sein, sonst würden sie im harten Überlebenskampf in Dschungel und Wüste schnell zugrunde gehen. Gift, Kraft und Körpergröße können Sie geschickt und effektiv einsetzen. Im Zählen und Rechnen sind sie nicht besonders gut; und wenn es z.B. darum geht, durch ein Labyrinth zu kriechen, dann sind andere Tiere viel schneller und geschickter. Wenn sie genug gefressen haben, suchen sich Schlangen ein dunkles und warmes Plätzchen, wo sie in Ruhe und relativer Sicherheit verdauen können. Ansonsten lassen sie ihre Umwelt in Ruhe und wollen in Ruhe gelassen werden. ( Ich finde das ja eigentlich schon ziemlich schlau…)

Anscheinend ist das Konzept Intelligenz im Laufe der Evolution mehrfach entstanden. Ameisen, Bienen und Termiten, Libellen und Hornissen sind auf ihre Art sehr schlau, wenn schon nicht als Einzelexemplar, dann doch wenigstens als Schwarm – Intelligenz. Geckos, Lurche und Schlangen sind – in ihrem jeweiligen Lebensraum und in den ihnen entsprechenden Bedingungen – sicher angemessen klug. Raben, Spatzen und Hühner  – die Nachfahren der Dinosaurier – können auch mithalten, sogar nach den eher modernen Kriterien unserer Spezies. Sie nutzen als Kulturfolger unsere Lebensräume und Ressourcen mit.

Tintenfische und Delfine gelten als hoch intelligent, nicht wenige Wissenschaftler schätzen ihre Intelligenz als höher ein als die der Menschen. Warum auch immer.

Dass in der Schöpfungsgeschichte der Bibel von der verführerischen und listigen Schlange die Rede ist, liegt meiner Ansicht nach daran, dass es bei den Völkern in den Ländern um den Staat der Hebräer herum Sonnen- und Wetter-Gottheiten gab, die als beinloser Lurch oder als geflügelte Schlange dargestellt wurden  –  eigentlich einem Drachen ähnlicher als der guten alten Kaa aus dem Dschungelbuch. Von diesen Bildern und den dahinter liegenden Prinzipien des von vielen anderen Göttern belebten Kosmos wollten sich die Juden distanzieren. Wo Sonne, Mond und Sterne nur Lampen am Himmel sind und auch der Himmel und die Erde bloße Geschöpfe des einen, undarstellbaren und unfassbaren  Gottes sind, da kann auch eine Schlange wie Marduck und ein geflügelter Drache wie Schemmesch nicht mehr sein als eine Art kluges Tier.

Darum kommt die Schlange bei der Vertreibung des ersten Menschenpaares aus dem Paradies so schlecht weg: fortan muss sie auf dem Bauch kriechen und Staub und Erde fressen, die Kinder Evas werden ihr den Kopf zertreten und sie wird sich wehren und dem Menschen in die Ferse stechen, wann immer sie die Gelegenheit bekommt…

Randfiguren…

Schon bei den Schulfesten in der siebten Klasse war es so, und später auch in der Tanzschule: die Mauerblümchen, die Stillen an den hinteren Tischen, die Randfiguren waren oft die interessanteren Menschen. Sie fallen nicht auf, halten sich zurück, drängen sich nicht in den Mittelpunkt, aber das heißt nicht, dass sie nicht Spannendes zu erzählen haben, faszinierende Einblicke in ihre Welt bieten können und originelle Meinungen vertreten. Mit ihnen zu sprechen, sich auf sie einzulassen kann sehr bereichernd und begeisternd sein. Und gar nicht so selten können sie sogar recht gut tanzen.

Auch beim Nachdenken über biblische Geschichten lohnt es sich oft,  den Randfiguren besondere Aufmerksamkeit zu schenken: Jakob, David, Samuel, Aaron und viele andere Menschen aus dem ersten Testament waren Personen aus der zweiten Reihe, Menschen, die erst durch Gott ins Licht gestellt wurden. Salomo, Jona, Amos, sogar Jesaja haben sich dem Anspruch Gottes zuerst entziehen wollen.

In allen Darstellungen der Weihnachtsgeschichte stehen Maria und ihr Kind in der Mitte, umglänzt vo himmlischen Licht, umschwirrt von fröhlichen Engeln, bestaunt von den Hirten, angebetet von den weisen Männern aus dem Osten… Und dahinter im Dunkeln, am Rand der Szene und fast vergessen von der Geschichte, steht Josef.

Könnte ich ihn befragen, wäre er vielleicht enttäuscht oder sogar ein bisschen verbittert; und vielleicht würde er mir bei einem Glas Wein erzählen:

Setz dich hier hin und hör mir zu… Weißt Du, es macht mich fertig, dass ich draußen bin. Kannst Du verstehen?

Nein, kannst Du nicht.

Zuerst hab ich gedacht, ich gehe. Einfach weg, abhauen. Das alles einfach hinter mir lassen. Drei Monate war ich verlobt mit Maria, da merkte ich irgendwann, da ist was… Sie war so komisch die ganze Zeit, anders als ich sie kannte. Nicht mehr so – – leicht. Nicht mehr unbeschwert. Ich hab sie ein paar mal gefragt, aber sie sagt nur, nein, ist schon gut… Oft hatte sie rote Augen, hat geweint in der Nacht, wenn sie dachte, ich hör nichts. Irgendwann hab ich gesagt, Du, hör mal, wir sind verlobt, wir wollen heiraten in einem Jahr, Du musst mir sagen, was los ist! Da heult sie los und sagt: „Ich bin schwanger…“

Das hat gesessen, Mann. Um mich hat sich alles gedreht… Ich meine, ich hab sie nie angefasst; ich hatte da klare Vorstellungen, und ich dachte, die hätte sie auch. Alles zu seiner Zeit, weißt Du? Klar. Ihre Familie hat eigentlich immer auf sie aufgepasst, die haben Ehre, weißt Du, und auch mich und Maria haben sie eigentlich nie allein gelassen, nicht, dass wir Aufpasser nötig gehabt hätten; – – – und dann das! Ich dachte, mir zieht’s den Boden unter den Füßen weg.

Dann hat sie mir alles erzählt… Dass ein Engel bei ihr war, dass er ihr gesagt hat, sie würde Mutter werden, und ihr Kind sollte Jesus heißen, „Gott rettet“, so wie der Nachfolger von Moses… und dass er auch ein Mann Gottes sein würde. Ein Prophet, was weiß ich. Der Messias vielleicht sogar, der Auserwählte. Und ich wollte ihr glauben, weißt Du? Gib mir nochmal Wein… Ich wollte ihr diese Geschichte glauben! Ich wollte, dass das stimmt.

Jetzt noch denke ich, so wie ich Maria kenne, ist es eher wahr, dass wirklich ein Engel bei ihr war und dass Gottes Geist sie schwanger gemacht hat. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass sie sich mit irgendeinem Mann eingelassen hat und mich jetzt belügt… Sie ist nicht der Typ, der lügt.

„Was wird meine Familie sagen?“, hab ich gedacht… Ich hab meine Tanten schon zetern gehört: Hast du das nötig, dich mit so einem Flittchen einzulassen, das dir schon vor der Hochzeit Hörner aufsetzt?“ Und mein Bruder, der wird sagen: „Hör mal, dir kann man ja auch wirklich alles erzählen, was? Ein Engel – das ist doch die bekloppteste Ausrede der Welt! Lass doch diese Trine sausen…“ Überall würden sie mit den Fingern auf uns zeigen…

Darum hab ich gedacht, ich hau ab. Sollen sie doch alle denken, ich wäre es gewesen, ich hätte ihre Ehre verletzt… Wäre mir auch egal gewesen. Immer noch besser, als dass sie von ihrer Familie verstoßen wird oder so. Als Tischler findest du überall Arbeit, hab ich mir gedacht, ich hätte nach Damaskus gehen können, oder Kairo, und nie wieder kommen… Aber wenn erst der Verdacht aufkäme, dass sie – Maria – fremdgegangen ist – dann guckt sie doch nie im Leben wieder jemand an, dann wäre sie so gut wie tot…

Aber dann hatte ich in der Nacht diesen komischen Traum… Ich war noch gar nicht richtig eingeschlafen, da spüre ich, wie mich was berührt. Jemand flüstert: „Josef!“ – Ja, sag ich… – „Josef! Hab keine Angst. Maria, deine Frau, sie ist dir treu geblieben. Bleib bei ihr, sorge für sie… Was in ihr wächst, ist die Frucht des Geistes Gottes…“ Doch! Klar, da kannst Du sagen, das ganze Gerede über Engel und so hat mich auch schon verrückt gemacht; aber das spürt man doch, ob ein Traum irgendetwas bedeutet oder nur Rauch ist wie meistens… Und ich war mir noch nie so klar über einen Traum wie in dieser Nacht. GOtt hat zu mir geredet…

Ich glaube das, was Maria mir gesagt hat. Ihr Sohn wird der „Sohn Gottes“ sein. Und ich… Ich bin draußen… Ich werde keinen Erstgeborenen haben, denn der erstgeborene Sohn meiner Frau wird nicht mein Sohn sein, und ich nicht sein Vater. Das ist es, was mich fertig macht. Als ob die ganze Geschichte an mir vorbei geht.

Ein bisschen ist es ja immer so: Wenn eine Frau ein Kind kriegt, besonders beim ersten Mal, dann stehst du als Mann nur daneben. Da hast du keine Ahnung, da kannst du nicht mitreden, da kannst du nur hilflos gucken. Die Frau freut sich ja meistens trotzdem, nur einfach darüber, dass du da bist. Das ist schon okay, so ist es normal. Aber bei mir – Ja, gib mir noch ein Glas, aber das ist das Letzte – bei mir ist das anders. Verstehst du, Gott hat sie berührt, hat sie verwandelt, Gott wird Mensch in ihr… Und was ist mit mir? Wird Gott auch mich brauchen – auch mich verwandeln?

Vielleicht wird er ja auch Tischler. Wenn wir wenigstens irgendwann zusammen den Hobel schwingen, gemeinsam an der Säge ziehen, dann könnte ich wenigstens das Gefühl haben, ja, der ist, was ich bin, von meiner Art, Bein von meinen Gebein und Fleisch von meinem Fleisch; ich könnte dann glauben, etwas von mir lebt in ihm weiter. Dann könnte ich glauben, dass er auch mein Sohn ist…

Weihnachten ist eine Geschichte der Frauen. Männer sind hier eher die Randfiguren. Josef steht im Hintergrund. Sein Kind wird Sohn des Höchsten genannt werden. In der Bibel wird Josefs Name nach den Geschichten aus der Jugendzeit Jesu nicht mehr erwähnt. Vielleicht ist Josef früh gestorben. Vielleicht hat er Maria später doch noch verlassen. Wir werden es nie wissen.

Vielleicht steckt hier aber ein tieferes Wissen im Hintergrund: Wenn es um die Erlösung geht, um den Frieden mit Gott, um die Rettung der Welt – dann kann die Weisheit der Weisen und die Kraft der Starken, die Vernunft der Klugen und die Geschicklichkeit der Fingerfertigen nichts nutzen. Was Menschen tun können, tritt in den Hintergrund, wird zur fast verborgenen Randerscheinung. Das heißt nicht, dass es unwichtig wird, im Gegenteil. Josef wird gebraucht. Ohne ihn wäre die ganze Geschichte anders verlaufen. Aber im Licht steht das, was Gott tut. Er ist es, der den Himmel öffnet, der hernieder kommt zu den Menschen, der durch seinen Tod unser Leben rettet und durch seine Auferstehung alle Tränen trocknet und alles Leiden heilt.

Doch ohne die Treue und Liebe des Josef wäre das so nicht möglich gewesen.

Skolstrejk för Klimatet

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Fünf Jahre Fridays for Future:

Eine Würdigung für Greta Thunberg

Heute, so habe ich es in der Zeit gelesen, ist es genau fünf Jahre her, dass Greta Thunberg ihren „Schulstreik für das Klima“ vor dem Parlamentsgebäude in Schweden begann. Zwei Wochen saß sie dort jeden Tag allein. Dann schlossen sich andere ihrer Bewegung an, und in kurzer Zeit wurde diese unter dem Namen „Fridays for Future“ zu einem Phänomen, mit dem sich Millionen von Jugendlichen in aller Welt identifizieren konnten.

Sie engagierte sich auf lokaler, nationaler und internationaler Bühne für Umweltschutz, Sparsamkeit bei der Nutzung der natürlichen Ressourcen und für Maßnahmen gegen den Klimawandel. Auf Dutzenden Konferenzen, Gipfeltreffen und politischen Spitzengesprächen vertrat sie den Protest der jungen Generation, die ein Umdenken und ein neues Handeln in Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft forderte.

Mit ihrer Zopffrisur, der klaren, deutlichen Stimme und dem noch so kindlich wirkenden Gesicht wurde die junge Frau zu einer Ikone der weltweit kämpfenden Aktivistinnen und Aktivisten.

Unvergesslich ist ihre Rede vor den Vereinten Nationen mit dem wiederkehrenden Vorwurf „Wie könnt ihr es wagen!“, in der sie die Verantwortlichen in aller Welt anklagt, gegen besseres Wissen die Natur zu zerstören, um kurzfristig materiellen, politischen und persönlichen Vorteil zu erwirtschaften – gegen die Interessen der jungen und der noch kommenden Generationen

Viele Auszeichnungen und Preise wurden ihr für ihr Engagement verliehen. Sie wurde auch als Expertin zu vielen Treffen von Entscheiderinnen und Entscheidern eingeladen, wo sie auf die Frage „Was sollen wir anders machen?“ ziemlich regelmäßig und aufrichtig bescheiden antwortete: „Was soll ich dazu sagen? Ich bin doch nur ein Kind…“

Ihre geradezu unglaubliche Begabung für Rhetorik, ihr mutiges und sicheres Auftreten auch auf den größten internationalen Bühnen hat schon bald misstrauische Menschen und Neider auf den Plan gerufen, die sie als Spielball und Marionette von ideologisch motivierten Umweltschutzbewegungen sehen wollten. Vor allem in industriell hochentwickelten Staaten und in Ländern, deren Einkommen stark von der intensiven Nutzung  natürlicher Ressourcen abhängig ist, wurde ihre Glaubwürdigkeit bezweifelt. Wo die Folgen des Klimawandels und die wissenschaftlich fundierten Belege dafür in Frage gestellt werden, ignoriert man auch die Grundlagen des Protests der Bewegung fridays for future.

Selten hat eine Person mit ihren berechtigten Anklagen und Beschuldigungen so viel Hass auf sich gezogen wie Greta Thunberg. Nicht nur vom Stammtisch her und aus sozialen Medien heraus, sondern auch aus einflussreichen Gremien wurde die junge Frau mit ehrenrührigen Worten verhöhnt und beleidigt; und manche dicken energiestrotzenden SUVs fuhren mit Aufklebern umher, die deutlich machten, wie wenig ihre Nutzer von der schwedischen Aktivistin hielten.

Auch Bewegung fridays for future wird von allen Seiten her immer wieder angegriffen. „Die Kinder sollten besser zur Schule gehen, damit sie später mit einer guten Ausbildung besser wirtschaften können. Statt dessen mischen sie sich jetzt in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen, und lassen sich zu Handlangern einer links-grünen Lobby machen.“ Das war von vielen Kommentatoren aus Politik und Wirtschaft auch in Deutschland immer wieder zu hören.

In diesem Jahr werden Jugendliche als „Klimakleber“ verunglimpft, die protestierend auf die Straße gehen und manchmal an wichtigen Knotenpunkten den Verkehr blockierten. Es ist wohl immer noch umstritten,  ob dies Aktionen durch die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht gedeckt sind oder ob hier tatsächlich eine Straftat begangen wird. „Wiederholungstätern“ werden hier teilweise völlig überzogene Bußgelder auferlegt. Nicht nur durch Polizisten, sondern auch durch Autofahrer wird in Selbstjustiz gegenüber den jungen Menschen harsche Gewalt angewendet, Verletzungen und sogar lebensgefährliche Verwundungen werden dabei in Kauf genommen. Es erfordert großen Mut, heutzutage auf diese Weise zu protestieren.

Seit auf dem Flughafen BER eine runway blockiert wurde, patrouilliert dort ständig die Polizei, um zu verhindern, dass unbefugte Personen auf das Rollfeld gelangen. Ich halte das für eine notwendige und sinnvolle Sicherheitsvorkehrung, sowohl im Sinne des Luftverkehrs als auch im Interesse der Protestierenden. Dass aber wütende Pendler und machtbesessene LKW-Fahrer Menschen ohne Rücksicht mit blutenden Händen vom Asphalt reißen, ist meiner Ansicht nach ebenfalls eine Straftat.

Ich war überrascht,  dass der Beginn dieser Bewegung erst vor fünf Jahren stattgefunden hat. Viel hat Greta Thunberg erreicht,  von dem sie damals wohl nicht zu träumen gewagt hat. Und es ist noch viel zu tun.

Neben dem Kampf für den Umweltschutz und gegen den Klimawandel ist vielleicht auch das eine dringend nötige Aufgabe, in die viel Energie und Phantasie investiert werden muss: etwas zu unternehmen gegen die unfassbare Spaltung in unserer Gesellschaft, das irrationale Misstrauen gegen Forschungsergebnisse aus der Wissenschaft und gegen die bequeme Gedankenlosigkeit, die nichts kennt als ein „Weiter so; es ist ja bisher auch gut gegangen.“

Tod – der Zerstörer von Welten…

Eine Predigt über den Propheten Jona…

Da sitzt er, der Prophet Jona, unter einem Strauch auf einem Hügel gegenüber der großen Stadt und wartet auf die große Katastrophe.

Vor zwei Tagen hat er selbst das Gericht Gottes angesagt, hat auf dem Marktplatz in Ninive geschrieen und geflüstert, beschworen und geworben, diskutiert und gepredigt, so wie Gott es ihm befohlen hatte. „Ändert euren Sinn, richtet euer Leben neu aus, achtet auf das, was Gott will! Wenn nicht, wird Gott euch verurteilen und die ganze Stadt zerstören.“

Heiß weht der Wind vom Meer her, die Luft ist schwül wie vor einem großen Gewitter, eine unerträgliche Spannung liegt in der Luft. Jona kann kaum atmen. Dabei steht nicht eine einzige Wolke am Himmel, die Sonne brennt unbarmherzig auf die große Stadt, auf die Düne am Rand der Wüste und die einsame Pflanze, die dort wächst, unter der der Prophet Schutz gesucht und gefunden hat.

Das Warten zermürbt den Propheten. Wie lange noch bis zu dem großen Knall? Der Prophet kennt die heilige Schrift, er weiß von den mächtigen Taten seines Gottes. Sein Gericht ist immer gerecht, und was er bestimmt, trifft mit unfehlbarer Sicherheit ein. Jona denkt daran, wie Sodom und Gomorrha untergingen in einem Regen aus Pech und Schwefel, er denkt an das Gottesgericht über den ägyptischen Pharao, als Heuschrecken die Ernte zerstörten, als alles Wasser im Land sich in Blut wandelte, als mitten am Tag eine stundenlange Finsternis über das Land kam…

Zur Zeit Noahs hat eine gewaltige Sintflut für immer das Gesicht der Erde gewandelt. Niemals wird die Menschheit diese Monate vergessen,  in denen das Wasser bis über die höchsten Gipfel stieg; niemals vergessen würden sie den Namen des Mannes, der die Arche baute und dadurch die ganze Menschheit rettete – in Gestalt seiner Familie, mit der Gott einen neuen Anfang machte nach der Zeit des Gerichts. Was wird dieses Mal geschehen, wie wird Gott diesmal seine Macht zeigen? Wird man sich auch an seinen, Jonas Namen erinnern?

Einen ganzen Tag lang war Jona durch die Straßen der Stadt gelaufen, vom großen Marktplatz im Stadtzentrum bis hinaus an den Rand der Wüste, wo die großen Dünen beginnen, von deren Rücken aus man die ganze Stadt überblicken kann, ein Häusermeer bis zum Horizont, und dahinter weit entfernt das silbrige Glitzern des Tigris,  des großen Flusses, der an der Stadt vorbei fließt und sich irgendwann mit dem Euphrat vereint…

Unterwegs hat er erfahren, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Was er geschrieen und geflüstert, prophezeit und gepredigt hat  – die Bewohner von Ninive haben es gehört und es sich zu Herzen genommen. Obwohl er, der Prophet, selbst nicht wirklich hinter seinen Worten stehen konnte, obwohl er selbst nicht glaubte, was er zu verkündigen hatte, hatte Gott seinen Worten Kraft gegeben. Sie begannen, ihren Lebensstil zu ändern, sie gingen neue Wege und hatten unkonventionelle Ideen und Ziele für ihr Denken und Tun.

Aber es ist wohl zu spät, geht es Jona durch den Kopf,  zu schwer wiegt die Schuld, zu verletzend ist das, was diese Menschen Gott angetan haben. Ihre verspätete Einsicht wird sie nicht mehr retten vor seinem Zorn.

Hier draußen hat er den idealen Platz gefunden, so weit entfernt, dass ihn selbst nichts treffen kann von dem, was da kommen wird, und doch so nah, dass er alles sehen kann in all seiner faszinierenden Erhabenheit und in seiner erschreckenden Grausamkeit, wenn das Unvermeidliche geschieht und Gottes Zorn die Frevler vernichtet.

So werden sich Menschen immer wieder fühlen, wenn sie das Unvorstellbare entfesseln. Oppenheimer, der die atomare Gewalt entfesselt, den Tod, den Zerstörer der Welten. Der Papst, der sogar den Glauben ganzer Völker missbraucht, um die Menschen in einen Kreuzzug zu treiben: „Gott will es!“ So werden sich Menschen fühlen, die einen Weltkrieg beginnen mit einer Lüge: „Seit heute früh wird zurück geschossen…“ Die zwei große Flugzeuge in zwei Wolkenkratzer lenken, mit der sehr wohl überlegten Absicht,  die Rache einer Weltmacht zu provozieren. So werden sich Männer fühlen,  die ohne Grund ein Nachbarland überfallen und Tod und Vernichtung über Unschuldige bringen und es dann voller Heuchelei und Zynismus eine „militärische Sonderaktion“ nennen…

So werden sich die Millionen fühlen,  die gespannt an Bildschirmen, Druckereien, Signalanlagen jeder Art sitzen und zusehen,  wie Horror und Entsetzen sich ausbreiten und das Unglück der anderen immer weitere Kreise zieht. Sie sehen zu und fühlen nichts mehr als diesen Nervenkitzel und die tiefe Befriedigeng darüber, mit ihren kleingeistigen Warnungen wieder einmal Recht gehabt zu haben. Als ob sie  einen Film sehen oder ein Buch lesen, werden sie zuschauen, wie der Tod vom Himmel fällt; und Sie können denken: Alle Menschen müssen sterben – aber heute nicht ich.

Jona sitzt draußen vor der Stadt und wartet darauf, dass die Gerechtigkeit zuschlägt wie ein blindes Schicksal.  Dass Gott selbst seine Ehre wiederherstellt mit brennendem Eifer und zerstörender Folgerichtigkeit: Auge um Auge, Zahn um Zahn – mit der mitleidlosen Präzision von Waffen und Gewalt. Dass er die Despoten trifft mit Blitz und Donner, die Spötter schlägt mit Sprachlosigkeit, die Gesetzlosen schlägt mit der Schärfe des Schwerts.

Da sitzt er, der Prophet Jona, unter einem Strauch auf einem Hügel gegenüber der großen Stadt und wartet auf die große Katastrophe. Wie diese Geschichte begann, so endet sie. Was wird Jona tun?

Er hätte wissen können, dass Gott anders ist. Dass er gnädiger, barmherziger, liebevoller ist, als die Menschen seiner Zeit sich das dachten. In Jona treffen Elemente einer alten Religion und die einer neuen aufeinander. Gottes Gerechtigkeit besteht nicht darin, die Sünder erbarmungslos zu strafen. Gottes Gerechtigkeit besteht darin, gnädig zu vergeben. Hat nicht er, Jona, das selbst erlebt? Hat ihm nicht Gott sogar den Wal gesandt, um sein Leben zu retten? War er nicht drei Tage im Bauch des Fisches gewesen, um dann gewissermaßen von den Toten aufzustehen, ein neues Leben zu beginnen im Licht der Liebe Gottes?

Jahrhunderte später wird einer kommen, der sagt: Es wird den Menschen kein anderes Zeichen gegeben als das Zeichen des Jona. Wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tage im Bauch der Erde sein. Dann aber wird Gott ihn auferwecken von den Toten und ihn den Namen geben, der über alle Namen ist: Christus, der Erlöser, der Bringer des Friedens und der Herr des Lebens.

Predigt und Propaganda: ein Krieg um die richtige Deutung der Wirklichkeit…

Eine Predigt über den Weinberg Gottes und die verbrecherischen Pächter – Markus 12

Erinnern sie sich an Charlie Hebdo? Das Redaktionsbüro dieses französischen Satiremagazins wurde vor acht Jahren von islamistischen Fanatikern überfallen, weil sie respektlose Karikaturen über den Propheten Mohammed veröffentlicht haben. Die satirische Kritik an der Gewaltbereitschaft von religiösen Fanatikern führte dazu, dass sich gerade diese fanatische Gewaltbereitschaft in einem Attentat an Zeichnern, Textern und Redakteuren entlud. Zehn Menschen wurden erschossen.

Noch Monate danach liefen Aktivisten für die Pressefreiheit mit T-Shirts herum, auf die gedruckt war: Je suis Charlie – ich bin Charlie. Sie waren überzeugt, dass berechtigte Kritik auch zu Mitteln der Übertreibung, der Verzerrung und der Karikatur greifen darf, um einen Missstand anzuprangern; und sie erklärten sich solidarisch mit den Machern und Herausgebern des Satireblattes.

Die Zeitschrift gibt es immer noch, immer noch veröffentlichen die Herausgeber alle zwei Wochen harsche Kritik an den politischen, religiösen und sozialen Zuständen in Frankreich. Und noch immer gehen die Autoren mit ihren Zeichnungen und Texten hart die Grenzen des guten Geschmacks.

Satire ist nichts Neues. Schon zur Zeit Martin Luthers gab es bitterböse Flugblätter, auf denen die junge Kirche der Protestanten die römisch-katholische Autorität mit überdeutlichen Zeichnungen angriff: der Papst wurde als Antichrist dargestellt, mit der dreifachen Tiara auf dem Haupt, aber mit dem Teufelsschwanz am Hinterteil, Hörnern über dem Gesicht und dem Hinkefuß des Satans in den Stiefeln. Auch die Kardinäle und die Abgesandten des Papstes, die in Deutschland Werbung für Ablassbriefe machten, waren vor diesem Spott nicht sicher.

Und die katholische Kirche musste nicht nur einstecken, sie teilte auch ordentlich aus: Sie brachte ganz ähnliche Flugblätter unter die Leute, auf denen Luther als Teufel und Verführer der Menschheit dargestellt war, ähnlich drastisch und nicht weniger verletzend und beleidigend.

In öffentlichen Reden, in Opern und in Theaterstücken wurden solche Verzerrungen und Übertreibungen wohl schon immer verwendet. Schon die Schriftsteller der Antike verwendeten Karikaturen, um die Vertreter anderer Meinungen, politische Gegner, Widersacher jeglicher Art lächerlich zu machen und als unglaubwürdig dar zu stellen.

Vielleicht hat auch Jesus solche Stilmittel verwendet, um seine Überzeugungen an den Mann zu bringen. Wie in einer Karikatur malt Jesus geistige Bilder von bekannten Symbolen und Motiven vor die Augen seiner Zuhörer. Wenn er von einem Weinberg spricht, hatte damals jeder die Worte des Jesaja im Hinterkopf, und es war klar, dass der Weinberg für Israel steht. Das Volk der Juden ist der Weinberg Gottes, und die Regierenden – Priester und Politiker – sind die Weingärtner. Sie sind verantwortlich, dass alles mit rechten Dingen zugeht, dass die Menschen haben, was sie brauchen, dass man sich an Recht und Gesetz hält. Sie sind vor Gott – dem Weinbergsbesitzer – verantwortlich, und müssen ihm Rechenschaft ablegen.

Wenn ein Weinbergsbesitzer sein Land verpachtet und es Bauern und Verwaltern überlässt, zu säen, zu bebauen und zu ernten, ist es selbstverständlich, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Boten sendet und die Pacht, wie verabredet, einfordert. Wahrscheinlich kam es ab und zu vor, dass diese Pacht nicht rechtzeitig bezahlt wurde und der Bote des Besitzers ohne Geld zurückkehren musste. Das kannten die Menschen, ich sehe sie vor meinen inneren Augen zu diesen Worten Jesu mit dem Kopf nicken.

Jetzt aber beginnt die Satire; und die schockierende Geschichte, die Jesus erzählt, wird zum Gleichnis: die Pächter schlagen den Boten des Besitzers und schicken ihn ohne Geld zurück. Natürlich schickt der einen zweiten Geldeintreiber, der wird sogar erschlagen. Und immer wieder schickt der Weinbergsbesitzer Boten an die Pächter, um sein Geld zu bekommen, manche werden leer zurückgeschickt, viele werden erschlagen.

Völlig überzogen und unglaubwürdig wird diese Geschichte, als erzählt wird, dass der Besitzer seinen eigenen Sohn sendet und auch dieser getötet wird. Kein echter Weinbergbesitzer wurde so ein Risiko eingehen; gleich nach dem ersten Mord würde er mit bewaffneten Wachen ankommen und die Pächter zur Verantwortung ziehen. Schließlich gibt es Gesetze und Regeln für so einen Fall. Aber allen Zuhörenden ist klar, dass Jesus hier gar nicht mehr von einem wirklichen Weinberg, von echten Pächtern und von einem im Ausland lebenden Eigentümer redet.

Er spricht von Gott, von der Geschichte des Volkes Israel, von der langmütigen Barmherzigkeit Gottes, der immer wieder Prophetinnen und Propheten sandte, um diejenigen zur Umkehr zu rufen, die ihr eigenes Wohl höher achteten falls das Wohl des Volkes, die ihren eigenen Willen für wichtiger hielten als das Gesetz Gottes, die sich bereicherten auf Kosten der vielen und ihren Wohlstand über das Leben der Menschen in ihrem Land. Er kritisiert das Unrecht von Menschen, die die Religion missbrauchen, um die Glaubenden auf ihre Seite zu ziehen, die das Gesetz verfälschen, um Bürgerinnen und Bürger zu manipulieren. Er kritisiert die Hirten, die sich selbst weiden, anstatt für die Herde zu sorgen…

Geschichte kann und muss gedeutet werden. Was man über die Vergangenheit sagt, bestimmt die Gegenwart. Dass die junge Gemeinde dieses Gleichnis in Worte fasst, aufschreibt und über Jahrhunderte überliefert, geschah aus dem Verlangen heraus, die Geschichte Israels in einem bestimmten Licht zu sehen: Gott hat seinem Volk immer und immer wieder Menschen gesandt, die es auf den rechten Weg zurück lenken sollten. Aber ihre Oberen, Einflußreichen und Mächtigen haben nicht hören wollen. Und noch und immer wieder ruft Gott zur Umkehr, noch und immer wieder will er seinen „Weinberg“ schützen vor der Willkür derer, die es in einer verkehrten Weise leiten. Das ist keine „antisemitische Kritik“, denn das Urteil gilt nicht „den Juden“, sondern den Religionsführern, die ihr Amt mißbrauchen. Solche gab und gibt es in jeder Glaubensgemeinschaft, auch und leider gerade auch in der christlichen Kirche. Jesus überzeichnet und karikiert die religiösen Führer seiner Zeit.

Sie verstanden, dass er auf sie hin dieses Gleichnis redete. Alle, die da waren, verstanden es. Das ist die Macht der Satire, dass völlig klar ist, worum es geht, auch wenn von ganz anderen Dingen gesprochen wurde.

Die Kritik an den Mächtigen wird verpackt in satirischen Worten, in krassen Bildern, in Komik und Drama. Die Menschen kommen, um diese Kritik zu hören, sich unterhalten zu lassen und zum Nachdenken angeregt zu werden. Und vielleicht bewirken diese Worte ja auch etwas, vielleicht handeln die Menschen und ändern die Zustände, die Regierung, das Leben.

Satire ist ein scharfes Messer. Sie schneidet bis ins Blut. Jesus erinnert die Menschen daran, dass sie ihre Regierung messen lassen müssen an den Maßstäben Gottes; er erinnert die Regierenden daran, dass es Recht und Gerechtigkeit gibt, ein Gesetz der Liebe Gottes, das ihnen vorgegeben ist und an das sie sich halten müssen.

Die Kirche ist nicht der „neue“ Weinberg Gottes. Und ihre Pfarrerinnen und Pfarrer sind nicht die „besseren“ Weingärtner. Aber es ist der selbe Herr über alles, der auch von uns Rechenschaft fordert über das, was er uns anvertraut hat.

Ja, es ist richtig. Gewalt spielt eine große Rolle im Gleichnis. Das hören wir nicht gern. Knechte werden geschlagen, gefoltert und getötet. Propheten und Seher lebten gefährlich, die Obrigkeit in Jerusalem ließ sich ungern kritisieren. Der Sohn, der Erbe, wird umgebracht – vielleicht hat eine der ersten christlichen Gemeinden das Gleichnis so erweitert, dass es sich auf Jesus deuten lässt. Der Herr des Weinbergs verliert seinen Erben und ist tief getroffen und enttäuscht. Er kündigt den Tod der Weingärtner an. Menschliche Logik und Rachsucht würde so handeln: Man darf sich ja nicht alles gefallen lassen!

Aber das ist nicht das Ende. Am Ende steht ein Wunder vor unseren Augen. Dass die Liebe des Herrn nicht umzubringen ist. Sie gibt nicht auf, auch jetzt nicht, mit dem Tod des Sohnes nicht, jetzt erst recht nicht. Im Gegenteil. Sie setzt einen Eckstein und verwendet dabei genau das Material, das die Bauleute verworfen haben. Nutzloses und Unbeachtetes wird auf einmal wichtig, ja zentral für das geistliche Leben, für die Glaubensgemeinschaft, für die „Kinder Israels“ und das Volk Gottes.

Ich will dem Wunder vor unseren Augen mehr glauben, als den Bildern, die uns immer und immer wieder Gewalt zeigen. Als würden Hass und Tod den Sieg über das Leben behalten. Ich will der Liebe des Herrn mehr vertrauen, als menschlichen Kämpfen um ein Erbe an Land und Macht und Ansehen. Ich will mich auf das neue Haus freuen, das Gott mit dem Grundstein Jesus Christus baut.

Ich will mich auf die verborgenen Pfade der Liebe einlassen, die nicht immer gleich zu sehen sind, die übertönt werden von den Rufen nach Gewalt und Tod. Ich höre Jesu Gleichnis als eine Einladung, die verborgenen Pfade der Liebe zu sehen und zu gehen. Sie verbinden den Herrn des Weinbergs mit uns. Sie führen bei allem Elend dieser Erde in die Zukunft. Das verleiht meinem Leben Hoffnung. Gerade dann, wenn ich gerade wenig von der Liebe spüre, wenn Kampf und Streit, wenn Hass und Gewalt die Oberhand zu gewinnen scheinen. Gott hört nicht auf, um dich und mich, um alle seine Menschen zu werben mit einer Liebe, die nicht aufhört.

Was für ein Wunder wäre das, das große und dankbare Erntefest mit gutem Wein zu feiern, mit dem Herrn des Weinbergs und seinem Sohn, mit den Jüngern, mit Pharisäern, Schriftgelehrten und Ältesten. Liebe kennt verborgene Pfade. Amen.

Pilgerlied für die Weisen aus dem Morgenland

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Ein Stern leuchtet auf
In dunkelster Nacht
Hat uns aus Gelehrten
Zu Pilgern gemacht.

Wir laufen am Tage
Wir wandern durch Nacht
Wir sind auf der Suche
Nach der göttlichen Macht.

Geh‘ voran, geh‘ voran
Goldener Stern!
Wir werden dir folgen,
Ist das Ziel auch noch fern!
Und bleiben erst stehen
Beim König, beim Herrn!

Wo sucht man den König?
Im goldenen Haus?
Im Schloss in der Hauptstadt?
Dort lacht man uns aus.

Wir hören nur Lügen!
Wir sind unbequem!
Nun gehen wir weiter
Nach Bethlehem.

Geh‘ voran, geh voran,
Goldener Stern!
Wir werden dir folgen,
Ist das Ziel auch noch fern,
Und bleiben erst stehen
Beim König, beim Herrn.

Da steht der Stern still
Über Hütte und Stall
Sein goldenes Strahlen
Ist nun überall…

Erleuchtet die Gassen
Strahlt aus in das Feld
Dringt ein in die Herzen
Erfreut alle Welt.

Geh‘ voran, geh‘ voran,
Goldener Schein!
Wir sind gekommen,
Hier kehren wir ein!
Kein König, kein Herrscher
Wird würdiger sein.

Es singen die Engel,
Sie staunen wie wir.
Und still steh’n die Hirten
Im hellen Licht hier:

Das Kind in der Krippe
Wir glauben daran –
Gott ist hier viel näher!
Wir beten ihn an…

Sankt Nikolaus und das große Schiff

Ich hab Hunger, Mama!“ sagte Aristo. Schon seit einer Woche hatte er nichts mehr zu Essen bekommen. Brot, Käse, Wurst und Butter – es war nichts mehr da, alles hatten sie längst aufgegessen. Zuletzt war da nur noch Graupensuppe, aber inzwischen waren auch die Graupen alle, und es gab gar nichts mehr. „Nicht einmal mehr Würmer!“ sagte Stephanus, sein älterer Bruder, der immer noch Kraft hatte, zu spotten und dumme Witze zu machen. Aristo fing dann immer an zu weinen. Wenn es nicht einmal mehr Würmer oder Käfer gab, dann würden sie bestimmt bald verhungern, Stephanus und Livia, seine Schwester, und Mama und Papa und er, Aristo, am Ende auch. Die Eltern machten immer ein ganz sorgenvolles Gesicht; niemand lachte mehr im Haus, und gesungen wurde auch schon lange nicht mehr. Nicht nur Aristo und seiner Familie ging es so schlecht; alle in seiner Straße hatten Hunger, und in der Nachbarstraße und in allen anderen Straßen in Myra war es genau so. Nicht einmal der Bischof, so sagte es seine Mutter, nicht einmal der Bischof hatte noch etwas zu Essen auf seinem Teller, wenn er nach den Gottesdiensten im Dom wieder nach Hause kam.

Das Wetter war einfach zu schlecht in Myra und in der ganzen Gegend Kleinasien. Zwar war es warm und die Sonne schien jeden Tag, und eigentlich war das gut, denn die Kinder konnten draußen spielen, sich verstecken und sich gegenseitig fangen; und das Meer war ja nicht weit weg, so dass sie auch baden konnten, schwimmen und tauchen; aber die Pflanzen auf dem Land waren alle vertrocknet und auch die Tiere waren verhungert, weil sie nichts zu fressen fanden. Es war eine Dürre, die alle Pflanzen und Tiere sterben ließ, es war einfach zu wenig Wasser da, und das Wasser aus dem Meer konnte man nicht nehmen, um den Tieren zu trinken zu geben und die Felder damit zu bewässern, denn es war zu salzig. Klebulon, der Bauer, hatte eines seiner Felder mit dem Salzwasser bewässert, und alle Pflanzen waren eingegangen, und wo sie gestanden hatten, war jetzt nur noch eine Wüste. Aber inzwischen waren alle anderen Felder und Äcker auch so trocken und staubig und leer wie die Wüste.

Nicht überall war Hungersnot. Oben im Norden, in Griechenland, hatten sie genug Wasser, weil das Eis und der Schnee hoch in den Bergen schmolz und als Wasser hinunter in die Täler strömte, und die Sonne ließ Weizen, Gerste, Hafer und Roggen wachsen wie im Paradies, und sie hatten Schafe und Ziegen da oben und sogar Rinder… Sie hatten so viel davon, dass sie es sogar verkaufen konnten. Jeden Tag brachen große Segelschiffe aus dem Hafen in Thessaloniki auf, bis unter das Deck voll mit Weizen und Fässern voller Öl und Wein und Oliven und Zucker und Honig. Die Schiffe fuhren nach Israel und nach Ägypten, wo es reiche Kaufleute gab, die viel Geld für diese Köstlichkeiten bezahlten…

Die Leute in Myra aber waren arm, sie konnten gar nichts bezahlen, und darum fuhren die Schiffe fast immer vorbei an ihrer Stadt. Wenn man sich draußen an die Hafenmole stellte und über das Meer hinaus schaute, konnte man manchmal die Segel dieser Schiffe sehen. Stephanus hatte ganz aufgeregt davon erzählt; er ging oft an den Hafen und hatte es selbst gesehen: Weiß und leuchtend zogen die Segel am Horizont entlang, bis sie in der Ferne verschwanden. Die Leute auf dem Schiff wussten nichts von dem Hunger der Frauen, Männer und Kinder in Myra.

Aber eines Tages ankerte ein großes Segelschiff im Hafen von Myra. Irgendetwas war auf dem Schiff kaputt gegangen, und die Seeleute konnten nicht weiter segeln, solange es nicht repariert war. Stephanus und Aristo liefen mit ihrer Schwester an den Hafen, gleich als sie davon hörten. Sie sahen Männer, die große Bretter durch den Hafen trugen und dort auf einen Stapel legten, das Schiff stand groß und stolz am Kai, die Segel gerefft und ordentlich zusammengebunden, und hob und senkte sich mit den Wellen. Sehr tief lag es im Wasser, man konnte sehen, dass es voll beladen war. Viele Kinder aus Myra waren auch da und schauten mit großen Augen hungrig und hoffnungsvoll auf das Schiff, aber die großen Kräne bewegten sich nicht, die Luken waren verschlossen und blieben es auch, nicht ein einziger Sack Mehl, nicht ein einziges Fass Öl wurde an Land gebracht.

Neben dem großen Gebäude, in dem die Hafenmeisterei arbeitete, stand ein Mann, ganz in weiße Gewänder gehüllt und mit einem zusammengewickelten Tuch auf dem Kopf. Er sah vornehm aus und war bestimmt sehr reich, er hatte einen dicken Bauch und einen vollen, eindrucksvollen pechschwarzen Bart, bestimmt hatte er noch nie im Leben gehungert. Aber jetzt sah er wütend aus, und seine dunklen Augen blitzten. „Nein, ich kann nichts von meiner Ladung hier abladen, nicht einen einzigen Sack. Auch die Amphoren und die Fässer sind alle abgezählt. Wenn auch nur eins fehlt, werde ich in Kairo wegen Diebstahls verurteilt. Die Kaufleute werden denken, ich sei ein Lügner und Betrüger, und ich werde nie wieder Handelsware über das Meer fahren. Wahrscheinlich würde ich sogar in das Gefängnis kommen. Es geht einfach nicht!“ Um den Mann herum standen Frauen und Männer aus Myra und weinten, jammerten und bettelten; aber der Kapitän – denn das war er, der Kapitän des großen Schiffes – aber der Kapitän ließ nicht mit sich reden. Obwohl er selber reich und vornehm war, hatte er Angst vor den mächtigen Kaufleuten Ägyptens.

Zuletzt aber kam der Bischof, Nikolaus von Myra. Klein war er, seine Haare und sein Bart waren grau und dunkelbraun war seine Haut, und das Alter und der Hunger hatten viele Falten und Runzeln in sein Gesicht gezeichnet. Seine schwarzen Augen leuchteten unter dicken Brauen hervor. Er war in ein einfaches graubraunes Tuch gehüllt und hatte eine schwarze Kappe auf dem Kopf. Er sah aus wie ein ganz gewöhnlicher Bauer oder Fischer aus dem Ort, er hätte auch Ziegenhirte sein können. Aber er hatte seinen Bischofsstab dabei, aus hellem Holz geschnitzt und mit einem weißen Fisch aus Elfenbein verziert. Ehrfurchtsvoll machten die Leute aus Myra für ihn Platz, als er auf den Kapitän zuging. Aristo und seine Geschwister standen still am Rand und versuchten, zu verstehen, was da besprochen wurde.

Der Bischof sagte zu dem Kapitän: „Ich bitte dich um Christi willen! Gib uns einen Teil deiner Ladung, damit wir zu essen haben! Die Frauen und Männer hungern hier seit Wochen, und die Kinder werden sterben, wenn sie nicht bald wieder etwas Nahrhaftes bekommen. Es geht zu Ende mit unserer Stadt – die Dürre wird der Tod sein für Myra!“ Aber auch vor dem Bischof Nikolaus änderte der Kapitän seine Meinung nicht. So, wie er vorher zu den Männern und Frauen gesagt hatte, antwortete er auch jetzt. „Ich kann dir und den deinen nichts geben. Wenn auch nur eine einzige Kiste fehlt, wenn ich in Kairo ankomme, wird man mich entlassen. Ich werde mein Schiff verlieren, meine Mannschaft, meinen Beruf und meine Ehre. Ich kann dir nichts geben.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und drehte dem Bischof den Rücken zu. Der aber sank auf seine Knie und betete: „Gott, unser Vater im Himmel, und Jesus Christus, unser Herr, Gott gleich und mit ihm in Ewigkeit verehrt und gepriesen, erbarme dich über uns. Sieh unsere Not und unser Elend, unseren Hunger und unseren Durst. Ohne dich, Gott, sind wir nichts; machtlos und schwach sind deine Geschöpfe, denn ohne deine Liebe und ohne deine Barmherzigkeit leben wir nicht einen einzigen Tag. Jeder Atemzug, den wir tun, ist ein Geisthauch von dir. Darum bitte ich dich, Gott: Zeige heute deine Kraft in unserer Mitte, wende das Herz derer, die von dir nichts wissen und deine Macht nicht kennen. Nimm denen die Angst, die nur auf ihr eigenes Vermögen vertrauen, und ermutige die, die der Verzweiflung nahe sind.“

Eine Zeit lang war es ganz still auf dem Platz vor der Hafenmeisterei. Alle Menschen hatten dem Gebet des Bischofs zugehört. Nun warteten sie darauf, ob etwas geschehen würde. Der Bischof kniete lange, mit geschlossenen Augen, und auch der Kapitän rührte sich nicht.

Dann richtete sich Bischof Nikolaus wieder auf und sagte zu dem Kapitän: „Ich verspreche dir: Wenn du uns jetzt und hier etwas gibst von dem, was dein Schiff transportiert – es wird nichts fehlen, wenn du in Kairo ankommst. Kein Sack, kein Fass, keine Amphore und keine Kiste wird dir fehlen. Es wird alles da sein, was die Kaufleute und Handelspartner von dir fordern. Ich verspreche dir das im Namen Jesu Christi und im Namen des Gottes, dem ich diene. Ich bin Nikolaus, der Bischof von Myra. Ich bitte dich!“

Ohne ein Wort ging der Kapitän zu seinem Schiff. Er nahm ein Stück Kohle aus einem Eimer, der dort stand, und machte damit einen schwarzen Strich in der Höhe der Wasserlinie an den Rumpf des Schiffes, genau dort, wo die Wellen des Hafenbeckens an das Holz schlugen. Dann stieg er die Leiter zum Oberdeck empor und gab dort einige Befehle an die Seeleute, die dort warteten. Nach kurzer Zeit setzte sich der Kran in Bewegung, und aus dem Schiff wurden einige Paletten mit Säcken voller Weizen, Roggen und Gerste abgeladen, dazu auch eine ganze Menge Fässer mit Öl und sogar eine Amphore mit Wein. Viel war es nicht, aber man konnte doch deutlich sehen, dass das große Schiff ein Stück leichter geworden war, der schwarze Strich aus Kohle lag jetzt eine gute Hand breit über dem Wasser.

Der Kapitän kam wieder herab zu den Menschen, die jetzt laut jubelten und ihm dankbar zuwinkten. Der Kapitän aber schaute mit finsterem Blick auf den Kohlestrich, der unmissverständlich zeigte, dass nun das Schiff leichter war und ein Teil der Ladung fehlte. Dann sah er Bischof Nikolaus ins Gesicht und murmelte: „Du hast mir etwas versprochen…“

Während das Schiff in Ordnung gebracht wurde und der Stapel mit dem Holzbrettern am Kai immer kleiner, verteilte Bischof Nikolaus Öl und Getreide an die Bewohner der Stadt. Heute würde es einen Grund zum Feiern geben, denn heute würden sie alle satt werden. Es blieben sogar einige Säcke Getreide übrig. Nikolaus gab sie dem Bauern Klebulon, Er sollte die Körner auf seinen Feldern aussäen, nur nicht auf dem, das er mit Meerwasser versalzt hatte.

Am Abend gab es ein Fest in der Stadt, auch am Hafen brannten Feuer. Die Leute hatten die Körner zu Mehl gemahlen, aus Mehl und Öl Brot gebacken, Nun sollte es ein Festessen geben. Nikolaus lud auch die Matrosen und Arbeiter von dem großen Schiff ein, aber niemand kam; auch der Kapitän nicht. Der lag in seiner Kajüte und konnte nicht schlafen, denn er machte sich Sorgen. In einer Woche wurde sein Schiff mit der ganzen Ladung in Kairo erwartet…

Am nächsten Morgen wurden die Segel gesetzt und ein kräftiger Wind blies das Schiff aus dem Hafen hinaus aufs Meer. Und am Tag darauf kam der Regen, der die Dürre beendete. Schwere Tropfen prasselten auf das Hafenpflaster, wo Bischof Nikolaus gebetet hatte, auf die staubigen Straßen, in denen Aristo und Stephanus und Livia mit ihren Freundinnen und Freunden spielten. Die Tropfen prasselten auch auf die Felder des Bauern Klebulon, wo in einigen Wochen grüne Pflänzchen ihre Blätter aus der Ackerkrume schieben würden. Und – schon ziemlich weit entfernt – prasselten die Tropfen auch auf das große Handelsschiff des Kapitäns aus Thessaloniki. Das Holz wurde nass, die Segel hingen feucht und schwer am Mast, und das Schiff sank tiefer in den Meeresspiegel. Es regnete vier Tage und drei Nächte. Als das Schiff nach einer Woche in den Hafen von Kairo lief, war der Kohlestrich wieder genau an der Wasserlinie, wo die Wellen gegen das Holz des Schiffes schlugen, genau da, wo der Kapitän sie im Hafen von Myra auf den Rumpf gezeichnet hatte…

Unheilige Portraits: Zachäus, der Zöllner…

Mein Name ist Zachäus. Ich bin Jude, ich glaube an den Gott Israels. Auch meine Mutter und mein Vater waren Juden, und meine Großeltern und die ganze Familie… Seit Generationen leben wir hier in Jerusalem. Meine Eltern waren angesehene Menschen und haben ihr Geld mit ihrer Hände Arbeit verdient. Aber dann haben sie sich über den Tisch ziehen lassen durch diesen Betrüger aus Rom, einem Makler, der ihnen Anteile an einem großen Geschäftsprojekt mit äthiopischen Händlern verkauft hat; der Gewinn war minimal, das Geschäft ging pleite und auf einmal war meine Familie arm. Wir haben von der Mildtätigkeit unserer Freunde gelebt. Meine Eltern sind bald darauf gestorben, meine Schwestern und Brüder haben sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Nur ich bin in Jerusalem geblieben. Ich lebte Jahrelang von der Hand in dem Mund, als Tagelöhner, als Bettler, als Fremdenführer…

Eines Tages fiel ich einem römischen Beamten auf, der mein Talent zu Verhandlungen und meine natürliche Autorität erkannte. Denn obwohl ich von der Körpergröße her eher klein bin, habe ich eine Stimme und einen Gestus, die den Menschen Respekt einflößen. Mir wurde eine Stelle in dem hiesigen Zollamt angeboten. Ich kratzte meine letzten Sesterzen zusammen und kaufte die nötige Lizenz, danach war ich offiziell berechtigt, im Namen des Kaisers in Rom Brückenzoll, Wegegeld und die Steuer an den Stadttoren zu erheben. Die Summen waren jeweils nicht sehr hoch, denn der Kaiser möchte zwar den Reichtum der Städte abschöpfen, aber Handel und Kommerz nicht behindern. Aber die Masse machte es, an manchen Tagen verdiente ich so viel wie meine Eltern in einer Woche.

Bald aber merkte ich, dass meine Freunde mich mieden. Gemeinsame Sache mit den Römern zu machen, mit den verhassten Vertretern der Besatzungsmacht, mit Menschen unreinen Glaubens, das machte mich in ihren Augen untragbar. Niemand mag einen Steuereintreiber, keiner mag mit einem Finanzbeamten befreundet sein, aber mit einem Nutzniesser eines despotischen Systems, das die Früchte der Arbeit der eigenen Bürger nimmt und sie in feindliches Ausland transportiert… So einer wird bald selbst zum Feind.

Ich überspielte meine Einsamkeit mit Maßlosigkeit. Ich nahm nicht nur gnadenlos die Steuer und den Zoll von allen, auch von denen, die von den Abgaben eigentlich befreit waren, den Armen und Sozialfällen; ich nahm immer den höchstmöglichen Betrag, der mir erlaubt war; und bald auch das doppelte und dreifache davon. Niemand konnte sich dem Widersetzen, denn was galt das Wort eines galiläischen Bauern gegen das eines lizensierten Staatsbeamten? Sie mussten zähneknirschend zahlen.

Ich war reich, konnte mir alles leisten, ein wunderbares Haus, Diener, das feinste Essen, Kunstwerke und Schätze… Doch ich war einsam und allein, und bald weinte ich mich in den Schlaf, jede Nacht. Ich hatte keine Freude mehr am Leben; der Tod erschien mir immer mehr als die bessere, ja, die einzige Alternative…

Doch dann hörte ich von diesem Wanderprediger aus Galiläa, aus Nazareth, dem Sohn des Zimmermanns…

Unheilige Portraits: Petrus – Verrat in der Nacht der langen Messer…

Ich bin Petrus. Ich war Fischer am See Genezereth, ich hatte ein eigenes Boot, ein eigenes Auskommen. Ich konnte meine Familie ernähren und sogar noch die Ärzte für meine Schwiegermutter bezahlen. Die war immer wieder krank, niemand konnte ihr wirklich helfen. Und die Ärzte wollten immer erst Geld sehen für ihre Bemühungen. Aber es war alles nutzlos.

Jeden Tag segelte ich aufs Meer hinaus, warf die Netze in elegantem Bogen über die Wellen, kam mit Fässern voller Fische ans Ufer zurück. Als Fischer war ich einer der Besten. Doch dann kam ER.

An diesem Tag war es schlecht gelaufen. Wir hatten die ganze Nacht gearbeitet, doch es war wie verrückt. Immer wieder zogen wir das Netz leer ins Boot zurück. Ich weiß nicht, was in die Fische gefahren war, welche Macht sie aus dem See vertrieben hatte; all meine Erfahrung und meine Kunst hat mir in dieser Nacht nichts genutzt. Wir haben aufgegeben, ruderten müde und erschöpft ans Ufer zurück. Da stand dieser Wanderprediger aus Galiläa und redete. Hunderte von Leuten waren gekommen, um ihn zu hören, und er redete laut und klar. Von dem Reich Gottes. Davon, das das Leben wichtiger ist als das Gesetz, der Geist wichtiger als der Buchstabe… Ich habe nur die Hälfte verstanden, aber ich habe gespürt: Hier beginnt etwas Großes. Dieser Mensch kann Herzen bewegen…

Da kam er auf einmal zu mir, wollte in mein Boot. Ich ruderte ein Stück weit ins Meer und er sprach aus dem Boot zu den Menschen. Dann sagte er zu mir: Fahr noch einmal hinaus, wirf noch einmal dein Netz aus, ein letztes Mal. Das war doch Quatsch, diese Nacht war die Schlechteste aller Zeiten gewesen, und niemand fängt Fische am Morgen… Aber ich war schon beeindruckt von ihm. Wenn ER es sagt…

Das Netz war voll, die Fässer liefen über, die Fische lagen auf dem Boden des Bootes, beinahe schwappte das Wasser über die niedrige Sillwand in das Schiff… Nur ein Fisch mehr, und das Boot wäre selbst zu den Fischen gegangen, wenn Du weißt, was ich meine…

Ich wollte ihn schon um Verzeihung bitten, mit Propheten, Gottesmännern, Heiligen habe ich nichts zu tun; ich bin doch nur ein Mensch, ein Sünder, einer, der von Gott und so nichts weiß… Doch er sagte: Ich will, dass du Menschen für mich fängst, so wie du heute die Fische gefangen hast. Sei ein Menschenfischer…

Ich habe viel mit ihm erlebt. Doch nun redete er auf einmal von seinem Tod. Nun redete er von Verrat und von seiner Kreuzigung. Die Römer waren hinter ihm her, die Tempelwache, die Häscher der Pharisäer, alle. Und es kam, was kommen musste. Sie verhafteten ihn, brachten ihn vor Kaiphas, vor Pilatus, vor den Hohen Rat. Wir hatten alle Angst. Und dann war da diese Frau, die zu mir sagte: Du gehörst doch auch zu ihm. Das Herz rutschte mir in die Hose, niemals im Leben hatte ich so einen Schiß. Ich wollte nicht da stehen, in Ketten, im Verließ, die Kreuzigung vor Augen. Ich wollte neben ihm stehen, aber als Gewinner, nicht als Gefangener. Darum habe ich gesagt: Ich kenne ihn nicht. Nie von ihm gehört. Sogar bei dem Namen Gottes habe ich geschworen… Und nun weiß ich: Ich habe ihn verraten…