Die andere Wange…

In der fünften Klasse war ich der „Neue“. Wir waren gerade aus Braunschweig nach Berlin umgezogen, ich war elf Jahre alt und mir war alles unbekannt und fremd – die Wege zum Bäcker und zum Supermarkt, zur Schule und wieder zurück, zum Schwimmbad und zum Kino… Ich vermisste meine Freunde und meine Großeltern, und ich hatte Angst vor den Kindern in der Schule und auf den Spielplätzen. Ich war schüchtern und leise, und sie waren so selbstsicher und frech, und machten sich gern auf Kosten der Schwachen lustig…

Mehr als einmal lauerten mir einige Typen auf dem Weg zur Schule auf, um zu spotten und zu schlagen, einfach so, ohne Grund. Ich hatte Angst und wehrte mich nicht. Meistens versuchte ich, ihnen aus dem Weg zu gehen, machte Umwege und versteckte mich in Hauseingängen, aber manchmal fanden sie mich doch, schlugen mir die Mütze vom Kopf oder traten mir vors Schienbein…

Ein ganzes Jahr meiner Kinderzeit ging ich nur mit Herzklopfen und Angst zur Schule, wegen zwei oder drei Typen, die sich einen Spaß daraus machten, andere zu quälen.

Meine Eltern sagten zu mir: „Wehr dich, lass Dir doch nicht alles gefallen!“, aber ich war einfach nicht dafür gemacht, zurück zu schlagen; und ich war damals auch nicht schlagfertig genug, den anderen mit einem coolen Spruch den Wind aus den Segeln zu nehmen…

„Wenn Dir einer auf die rechte Wange schlägt, dem biete auch die andere dar… Wenn Dir einer den Mantel nehmen will, dem gib auch den Schal dazu. Widerstehe dem Bösen nicht…“ sagt Jesus seinen Jüngern und Nachfolgern und damit auch seiner Kirche.

Das ist so ungefähr das Gegenteil von dem, was meine Eltern mir rieten. „Schlag doch mal zurück!“, haben sie mir gesagt, „Setz Dich durch, dann werden sie Dir nichts mehr tun…“

Die Kirche hat sich im Lauf der Jahrhunderte mehr an den Rat meiner Eltern gehalten. Sie verbündete sich mit den Mächtigen und sicherte so ihre eigene Macht; und wenn sie konnte, bedrohte und bedrängte sie Menschen mit einer anderen Meinung und einem abweichendem Glauben – sie warf „Ketzer“ in den Kerker, folterte „Hexen“ und verbrannte „Abtrünnige“ auf dem Scheiterhaufen.

Nur ganz am Anfang der Kirchengeschichte war das anders. Die Gemeinden waren gastfreundlich und hilfsbereit, sie sammelten Geld für Obdachlose und „sozial Schwache“, unterstützten Witwen und Waisen und Heimatlose auf der Flucht. Selbst, wenn sie verfolgt wurden, wehrten sie sich meist nicht, und sie verehrten die Geduldigsten aus ihren Reihen als Glaubenshelden und Märtyrer.

Viele Menschen haben die Gemeinden wohl deshalb verlacht, haben ihre Sanftmut für Angst und ihre Demut für Furcht gehalten, manche haben sie auch ausgenutzt. Ein Schelmenroman aus dem ersten Jahrhundert erzählt von zwei römischen Soldaten, die sich durch halb Europa gaunerten – „wir lebten dabei von den Christen“ schrieben sie, „sie gaben uns kostenlos Speise und Obdach, und für ein paar fromme Worte gaben sie uns den Ehrenplatz an ihrem Tisch…“

Jesus war nicht schwach, aber er nutzte seine Macht nicht… Als die Jünger ihn mit dem Schwert verteidigen wollten, rief er aus: „Meint ihr nicht, mein Vater im Himmel könnte sofort eine Legion Engel zu meinem Schutz senden? Aber wer zum Schwert greift, der wird am Ende durch das Schwert umkommen!“

Jesus setzt andere Maßstäbe: Ihm waren die Schwachen wichtig. Kirche muss da sein, wo Jesus ist. Das erfordert Opferbereitschaft und Mut…

Wir haben oft gehört, dass in der islamischen Welt von „Jihad“ die Rede ist, vom „Heiligen Krieg“. Viele Vorurteile und Missverständnisse machen sich an diesem Wort fest. Worum es aber geht, ist eine Anstrengung des Glaubens, ein mutiger Einsatz, der aus dem Vertrauen auf Gott folgt. Denn ein Glaube, der nichts bewegt, ist kein Glaube.

Die Anstrengung des Glaubens wendet sich aber nicht gegen andere, ist kein Krieg, sondern ist gerade der Einsatz für die Schwachen und Benachteiligten

Heftig wird zur Zeit darüber diskutiert, ob man die Ukraine im Kampf gegen russische Invasoren unterstützen soll, indem man schwere Waffen für den Krieg liefert. Spitzfindig wird um Feinheiten gestritten, weil man Angst hat, zu sehr in den Krieg hinein gezogen zu werden und selbst zum Ziel von Gewalt und „Gegenmaßnahmen“ zu werden. Dabei macht es doch wohl nicht wirklich einen Unterschied, ob man selbst Panzer, Artillerie und Raketenwerfer nach Kiew schickt oder ob man einige Milliarden Euro überweist und das ukrainische Militär dann die schweren Waffen kauft, die es braucht – sei es in Europa oder anderswo. Letztlich kommt dann diese „Entwicklungshilfe“ doch wieder der weltweiten Rüstungsindustrie zugute, die sowieso immer international agiert.

Was würde Jesus tun? Er würde sich wohl zuerst für die Menschen einsetzen, für die Wahrhaftigkeit, für die Wahrheit. Für das Leben. Die Wahrheit stirbt im Krieg immer zuerst; und es ist so schwierig, zu entscheiden, wem man glaubt und wen man noch glauben kann. Natürlich muss sich die Ukrainer verteidigen. Natürlich brauchen sie dazu jede Hilfe, die sie bekommen können. Aber die Wahrheit ist – wenn Europa, die USA oder der „Westen“ Waffen zum Kampf gegen Russland schickt, dann wohl vor allem, um sich so gut wie möglich selbst zu schützen. Um dafür zu sorgen, dass der Krieg dort im „Osten“ bleibt und nicht überschwappt auf das Gebiet der NATO, auf das Gebiet des europäischen Bündnisses. Wenn wir Waffen liefern, sind wir Partei im Krieg, Bündnispartner der Ukrainer, Kämpfer an der Grenze zu Russland. Und wir haben eigene Interessen, die es zu schützen gilt.

Vielleicht muss das so sein. Ich kann es gar nicht wirklich beurteilen. Raushalten können wir uns nicht. Und es ist nur zu leicht, „offene Briefe“ zu schreiben und zu urteilen, das Vernünftigste wäre jetzt, aufzugeben und zu kapitulieren. Zur Zeit sieht es so aus, als kennte der Irrsinn keine Grenze.

Wir sollten nur nicht denken, wir wären nicht schon Partei in diesem Krieg, nicht schon beteiligt am Töten…

Sonntags? Kirche…

Auf den Mittenwalder Modellbautagen…

Geplant war ein Gottesdienst in der Kirche von Rotberg. Aber außer dem Pfarrer war niemand in der Kirche von Rotberg. Also ist der Pfarrer ein paar Kilometer weiter nach Mittenwalde gefahren. Dort ist an diesem Wochenende eine Ausstellung mit kleinen und großen Modelleisenbahnanlagen zu sehen.

Zu den meisten Anlagen, egal ob klein oder groß, gehört auch eine Kirche. Manche sind einfach aus dem Modellbaukatalog rausgesucht, manche sind handgemacht und mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet. Da gibt es leuchtend bunte Kirchenfenster, flackerndes Kerzenlicht, manchmal Glockenklang und eine Uhr im Turm, die sogar die echte Zeit anzeigt.

Neben dieser Kirche gibt es einen kleinen Friedhof, auf dem gerade eine Bestattung stattfindet: der Pfarrer im schwarzen Talar mit Beffchen liest aus der Bibel vor; ein kleines Grüppchen Trauernder steht um das Grab herum und legt Blumen nieder.

Wenigstens hier kommen ein paar Leute zur Kirche!

Auf den Mittenwalder Modellbautagen…

Jesus Christus Superstar

I don’t know how to love him.
What to do, how to move him.
I’ve been changed, yes really changed.
In these past few days, when I’ve seen myself,

I seem like someone else.
I don’t know how to take this.
I don’t see why he moves me.
He’s a man. He’s just a man.

And I’ve had so many men before,
In very many ways,
He’s just one more.
Should I bring him down?

Should I scream and shout?
Should I speak of love,
Let my feelings out?
I never thought I’d come to this.

What’s it all about?
Don’t you think it’s rather funny,
I should be in this position.
I’m the one who’s always been

So calm, so cool, no lover’s fool,
Running every show.
He scares me so.
I never thought I’d come to this.

What’s it all about?
Yet, if he said he loved me,
I’d be lost. I’d be frightened.
I couldn’t cope, just couldn’t cope.

I’d turn my head. I’d back away.
I wouldn’t want to know.
He scares me so.
I want him so.

I love him so.

Text von Songtexte.de

Kirchenaustritt…

Es macht mich ziemlich traurig (und ärgert mich auch), dass die meisten Suchmaschinen das Wort „Kirche“ gleich und ungefragt zu „Kirchenaustritt“ ergänzen… Suchen wirklich die meisten Menschen, die bei G**gle, d*ckd*ck go, yah** und wie sie alle heißen vor allem nach der Möglichkeit, die Kirche zu verlassen, wenn sie nur die sechs Buchstaben eintippen?

Wenn ich das tue, suche ich nach einer Gemeinde, deren Gottesdienst ich besuchen kann, wenn ich in der Nähe Urlaub mache, oder ich suche nach der Adresse der Kirchengemeinde, in der ich bei einer Trauerfeier den Ortspfarrer vertreten soll; manchmal suche ich auch nach einem schönen Kirchenfenster oder einem interessanten Altarbild, aber niemals nicht zu einer Möglichkeit, aus meiner Kirche auszutreten…

Sicher, ich bin auch nicht hundertprozentig einverstanden mit allem, was in der Kirche zur Zeit so geschieht; ich weiß, dass viele Ehrenamtliche und andere Gemeindeglieder wirklich leiden, wenn Strukturen in der Gemeinde oder im Kirchenkreis eine effektive und gewaltfreie Kommunikation schwer machen, wenn Arbeit nicht gewürdigt wird, wenn Ideen und Wünsche auch nach Jahren nicht umgesetzt werden können… Ich habe in Seelsorgegesprächen viele Tränen gesehen von Menschen, deren Herz für die Kirche brennt und die von ihrer Gemeinde trotzdem nur zu oft die „kalte Schulter“ gezeigt bekamen.

Es gibt in der Kirche sicher viel zu verbessern… Aber – um Himmels willen! – deshalb brauchen wir doch die Menschen, die anders denken, die Phantasie, Träume und Visionen haben und die sich mit Zeit, Geld und Kraft dafür einsetzen, dass Kirche sich verändert. Ein Wandel der Kirche kann nur von innen kommen, kann nur angestoßen von Menschen, die in den Arbeitskreisen und Leitungsgremien den Mund aufmachen und gegen die Trägheit der Pfarrpersonen und der „Alteingesessenen“ anreden, auch mal auf den Tisch hauen, und zeigen, dass Manches auch ganz anders sein könnte…

Das ist doch ein viel besserer Plan, als auszutreten und aufzugeben. Sicher, Christ-Sein geht auch ausserhalb der verfassten Gemeinde, aber nicht ohne Gemeinschaft – und wenn man dann andere Menschen gefunden hat – in einer Freikirche, einem evangelikalen Hauskreis, einem spirituellen Bund oder wo auch immer – da entdeckt man doch in kurzer Zeit die gleichen Probleme… Wie unsere ehemalige Kita-Leiterin immer zu sagen pflegte: „Man nimmt sich selbst ja überall mit hin…“ Und überall sind nur Menschen mit ihren Schwächen und Eigenheiten…

Okay, es gibt auch wirklich seltsame Leute: Einmal hat mir eine Frau an der Tür des Pfarrhauses voller Wut gesagt, dass sie jetzt aus der Kirche austreten würde, weil der Hausmeister ihr verboten hatte, auf dem Gemeindeparkplatz zu parken… (Sie hatte gar nichts in der Gemeinde zu tun, aber der Parkplatz des Supermarktes nebenan war voll, darum wollte sie ihr Auto bei uns abstellen…) Ein anderer wollte aus der Kirche austreten, weil die Toilette auf dem Kirchhof verschlossen war und er nach dem Blumengießen am Grab seiner Mutter nicht „austreten“ konnte… Wer so leicht dazu gebracht wird, seine Gemeinde zu verlassen, hat eh nie wirklich dazu gehört. Sollen sie gehen…

Aber um die vielen Treuen, die nach harten und schmerzvollen Jahren gehen, um die weine ich. Sie fehlen.

Gekommen, um zu bleiben…


So, und jetzt? Ostern ist vorbei! Die Eier sind versteckt, gesucht und gefunden worden. Schokohasen aus goldener oder lila Folie haben ihre Ohren verloren und gucken vorwurfsvoll aus papiergrasgrünen Osternestern. Der Festtagsbraten wurde gestern schon aufgegessen, für heute gibt es nur noch ein paar Reste. Die Verwandtschaft hat sich heute früh auf den Heimweg gemacht. Ostern ist vorbei.

Und jetzt? Noch klingen die Lieder aus der Osternacht in den Ohren, noch leuchtet die Flamme der Osterkerze und strahlt in die Dunkelheit. Wir erinnern uns an die ermutigenden Worte der Predigt, von Auferstehung, vom neuen Leben, vom Ende der Todesfurcht. Aber das alles war gestern. Ostern ist vorbei. Was jetzt?

Petrus und die anderen Jünger, die früher mal Fischer gewesen sind, kehren zu ihren Booten zurück, werfen ihre Netze aus, als ob es erst gestern war, als ob erst gestern Jesus am Ufer stand und darum bat, in seinem Boot zu den Menschen sprechen zu können. War es wirklich erst drei Jahre her, dass er gesagt hat „Folge du mir nach, von nun an wirst du Menschen fischen!“?

Am Ende starb er und mit ihm erlosch alle Hoffnung. Ein Traum war es, wie im Rausch verging die Zeit, und der Glaube, die Zuversicht schien einen festen Grund zu haben. Doch der geriet ins Wanken im Hof des Hauses des Hohenpriesters, als er Jesus verleugnete und sagte „Ich kenne diesen Menschen nicht…!“ Alle Fundamente versanken, als er sah, wie Jesus starb, und es war nicht mehr wichtig,  ob er nun sagte „Es ist vollbracht!“ oder „Mein Gott,  warum hast du mich verlassen!“… So oder so,  Jesus war gescheitert. Er ist gestorben und begraben, tief unten im Bauch der Erde, in der Höhle des Grabes des Joseph von Arimathäa. Die Hoffnung, er wäre der Retter, der König von Israel, hatte sich nicht erfüllt. Was blieb Petrus und den anderen noch, als zum Alltag zurück zu kehren. Zurück zu den Booten, zurück zu den Netzen.

Weihnachten, Ostern, Pfingsten – die großen Feste des Kirchenjahres kommen alle Jahre wieder und erinnern uns an die Zeichen der Hoffnung, an die großen Worte, die uns sagen: Gott ist da! Gott ist uns ganz nah! Gott hat unser Leben berührt; nun kann alles ganz anders werden.

Aber schon am 2. Feiertag, spätestens nach einer Woche, ist der Alltag wieder da, der Glanz verblasst, die Freude wird grau, das Fest ist vorbei und in der Küche wartet der Abwasch. Zurück zu den Booten, zurück zu den Netzen.

Doch selbst da, in einem hoffnungslosen Alltag, steht nun Jesus am Ufer und sagt: Werft noch einmal das Netz aus. Und wer das tut, wird es erleben: die Netze sind so voll, dass sie anfangen zu reißen. Die Boote werden so voll, dass sie fast sinken. Und die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar, mitten im Alltag.

Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Das ist das Versprechen des Auferstandenen.

In diesen Tagen fällt uns die Hoffnung oft schwer, der Glaube spinnt sich ein und die Liebe tut weh. Wo ist Gottes starke Hand, wo bleibst du Trost der ganzen Welt? Immer noch rechnen wir nur mit menschlichen Möglichkeiten. Wir sitzen wie Jona im Bauch des Fisches und singen an gegen die Dunkelheit, gegen den Gestank, gegen die Angst. Wir richten uns ein in einer Welt, die nicht so ist, wie sie sein könnte. Auch nach Ostern leben wir, als ob es Gott nicht gäbe. Als ob er diese Welt nie berührt hatte. Als ob er niemals gesagt hätte: Seht; ich lebe, und ihr werdet auch leben.

Ich habe gedacht, ich würde deinen Tempel niemals wieder sehen. So singt Jona. Es ist vorbei; ich will fischen gehen. So spricht Petrus. Ostern war gestern. So denken wir. Aber so ist es nicht!

Als ich verzweifelte, hast du mir geholfen! Auch das bekennt der Prophet. Es ist der Herr! Auch das erkennt Petrus angesichts des übervollen Bootes. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Auch das erkennt seine christliche Gemeinde wieder und wieder durch die Jahrhunderte. Auch wir haben erkannt, dass Gott uns in schwierigen Zeiten nahe ist.

Lasst uns an der österlichen Freude festhalten und das Vertrauen nicht wegwerfen, das eine große Belohnung hat.

Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Die Herrschaft des Todes ist gebrochen, Christus hat das Leben in Fülle ans Licht gebracht.

Ostern ist gekommen, um zu bleiben! Der Tod ist tot, Christus ist unser Sieg! Und wenn wir zurückkehren zu den Netzen, an die Zeichenbretter, zu Maschinen und Computern, in die Küchen und Werkstätten, in die Kliniken und die Gärten, dann werden wir es immer wieder erleben: es ist der Herr, der unserem Tun Sinn gibt. Der leuchtet über unseren Weg. Der uns aus dem Dunkeln der Nacht in den neuen Tag führt.

So! Und jetzt?

Die Zeit rast…

Schon wieder ist eine Woche vorbei. Ich habe mir gewünscht, in diesen Tagen etwas Ruhe zu finden, aber es ist mir nicht gelungen. Die Zeit ist flirrend an mir vorbei gerauscht, ein Tag nach dem anderen und es fällt mir schwer, mich zu erinnern, was ich erlebt und getan habe…

Wollt Ihr mir einen Moment zuhören?

Der letzte Sonntag war Palmarum, Palmsonntag. Gottesdienst fand nur in Selchow statt, in Wassmannsdorf ist niemand gekommen. Ich habe die Zeit genutzt, in meinem Büro ein bisschen die Gedanken zu sortieren. Sieben Leute waren in der Kirche, auf die Selchower Landfrauen ist Verlass. Nachmittags habe ich geschlafen, abends fern gesehen.

Am Montag war ich noch einmal beim Arzt, weil ich immer noch Schmerzen habe. Die Wunde will nicht so recht verheilen und blutet immer wieder mal ein bisschen. (Genaueres will ich hier nicht erzählen…)

Der Rest des Tages sah mich vor dem Computer, ich habe die Andacht für den Rotberger Kindergarten geschrieben und ein paar Artikel für das Gemeindeblatt komponiert.

Dienstag war ich mit den Kindern aus der Rotberger Kita in der Kirche, wir haben Osterlieder gesungen und von der Auferstehung erzählt, vom neuen Leben und vom leeren Grab. Ich glaube, das war für die Kinder ein schöner und besonderer Moment, für mich war es der Höhepunkt der Woche. Ich habe ein schönes Geschenk bekommen: eine leere Eierschale, aus der zartgrüne Kresse heraus wächst…

Nachmittags kam noch einmal ein Handwerker und ölte die Holzdielen auf dem Balkon ein, damit sie lange ihre schöne Farbe behalten. Wenn das Öl eingezogen ist, kann Klein Palermo endlich eröffnet werden.

Danach musste ich eilends in die Kirche von Großziethen, wo dreißig Leute zum Seniorengeburtstagsfest gekommen sind. Ich habe die Andacht vom Kindergarten mit Änderungen noch einmal gehalten, es passte auch hier ganz gut. Die Stimmung war sehr gut, wir haben viel Spaß gehabt. Mit achtzig Jahren auf dem Buckel noch so frohgemut! Wie schön für diese Leute…

Mittwochs war ich Einkaufen, für mich, für meine Schwiegermutter und für die Gemeinde. Ich habe eine Besonderheit für den Gottesdienst zum Gründonnerstag geplant, es soll Abendmahl im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens in der Kirche von Brusendorf geben. Zu Brot und Wein gibt es auch Käse und Trauben, Paprika und Oliven, und viel Zeit für Reden, Lachen und Diskutieren…

Nachmittags noch zwei Krankenbesuche. Nach dem Abendessen mit meiner Frau schaue ich „Die Passion“ auf RTL, aber es ist unerträglich. Nach zwanzig Minuten schalte ich ab. Ich gehe früh schlafen, ich habe es nötig.

Donnerstag vergeht der Vormittag mit Kleinkram, ich verbröselige mich im Papierkrieg und habe Mittags das Gefühl, nichts geschafft zu haben. Nachmittags ein eiliger Hausputz, Saugen, Wischen, Aufräumen… Am Ende gerate ich in Hektik. Ich muss los zum Osterfeuer.

Hier feiern viele Leute das Osterfeuer schon am Gründonnerstag, liturgisch ist das völlig falsch, aber mach was… Mein Grußwort bleibt ohne erkennbare Reaktion, alle halten sich an ihrem Bier fest. Die meisten Menschen habe ich noch nie gesehen. Mit Kirche haben sie nichts am Hut, mit dem Pfarrer auch nicht.

Das Abendessen in der Kirche war aber schön, wenn auch nicht wirklich besinnlich. Wir reden darüber dass früher viele Dinge besser waren, als man sich nicht fürchten musste vor Corona und vor Putin…

Zuhause dann Streit, weil die Wohnung nicht wirklich sauber war…

Karfreitag – um elf war ich beim Kollegen im Gottesdienst, der Vikar hält die Predigt. Sie ist wirklich gut, ich bin milde begeistert.

Zum Mittagessen gibt es richtig lecker Fisch, Zanderfilets in Senfsoße, mit Salat und geröstetem Brot. So ist das Fasten auch angenehm…

Nachmittags fahre ich nach Selchow, eine kurze Andacht ist auf dem Friedhof geplant. Sie wird wirklich sehr kurz, denn es nieselt, die Art von Regen, den man nicht spürt und der einen trotzdem in ein paar Minuten total durchweicht… Ich lese die Passionsgeschichte des Lukas, wir singen zwei Lieder, danach gehen wir wieder nach Hause.

Ostersonntag habe ich frei. Das war so nicht geplant, ich habe einfach Glück gehabt. Oder Pech. Wie man es eben sehen will.

Ich werde also heute Abend zu meinem Kollegen in die Osternacht gehen und morgen ausschlafen. Dann ist die Schwiegermutter da zum Brunch. Und am Nachmittag bleiben Computer und Handy aus.

Wahrscheinlich werde ich schlafen…

Die Passion…

Nach zwanzig Minuten habe ich abgeschaltet. Dabei fand ich die Idee eigentlich gut, und ich war sehr gespannt, wie das Ganze praktisch umgesetzt wird…

RTL bringt in Essen die Passionsgeschichte auf die Bühne, viele Stars sind mit dabei, Thomas Gottschalk moderiert und es gibt jede Menge Extras, Filmeinspielungen, Mitmach-Aktionen… Ein großes, leuchtendes Kreuz aus Glas und Plastik wird von 250 Menschen durch die Stadt getragen… Hier wird geklotzt und nicht gekleckert…

In der Art eines Musicals oder eines Oratoriums wird die Passionsgeschichte erzählt und mit bekannten Schlagern ergänzt… Fast wie in Oberammergau, aber moderner und dichter am Musikgeschmack der Massen… Sehr professionell und aufwändig organisiert…

Eine schöne Idee, eigentlich… ABER…

Es ist einfach nicht gut gemacht. Thomas Gottschalk redet viel zu viel, die Filmeinspielungen lenken eher ab und sind ziemlich störend. Die Stars singen live und ziemlich schlecht… Alle möglichen Klischees werden da verbraten, es geschieht wenig Überraschendes oder Interessantes. Die Moderation biedert sich an… Und immer wieder steht unausgesprochen der Vorwurf im Hintergrund: „In der Kirche ist es ja langweilig und weltfremd, aber wir bringen euch die größte Geschichte aller Zeiten so in euren Fernseher, dass ihr sie ertragen und vielleicht sogar genießen könnt. Ausdrücklich wird gesagt, dass die Veranstaltung kein Gottesdienst ist und niemand die Hände falten muss…

Insgesamt… Naja, vielleicht hat die Inszenierung noch Fahrt aufgenommen, aber ich fand die ersten zwanzig Minuten schon unerträglich. Zum Fremdschämen…

Ich träume schon lange davon, dass die Karwoche und die Ostergeschichte einmal inszeniert wird wie zum Beispiel der „Ring des Nibelungen“. Drei oder vier abendfüllende Veranstaltungen am Palmsonntag, am Gründonnerstag, am Karfreitag und in der Osternacht. Mit abwechslungsreicher Musik, von Oper bis Pop, von Gospel bis Metal, aber überlegt und durchdacht eingesetzt. Mit Schauspielerinnen und Schauspielern, die etwas können und wissen was sie tun und warum sie es tun. Mit zeitgemäßen und nachdenklich machenden Texten. Mit Szenen zum Weinen und Momenten zum Lachen. Und wenn dann Etwas von „Gottesdienst“ und mit spirituellem Anspruch dabei wäre… Ich könnte mir vorstellen, dass viele Zusehende und Miterlebende nach einigen so intensiven Abenden berührt und verändert wären…

Ich habe es genossen, dass in meiner Gemeinde diese „Events“ in der Karwoche und an Ostern sehr liebevoll inszeniert wurden, aber trotzdem hat fast niemand alle vier Gottesdienste mit gefeiert. Das erfordert schon eine große Mmenge an Konzentration und Hingabe… Für die drei Abende des „Rings“ nehmen sich manche Leute sogar Urlaub, tauchen in die Phantasiewelt der germanischen Sage und in die Musik Richard Wagners ein… Als Pfarrer habe ich auch das Privileg, mich in diesen Tagen ganz auf die Gottesdienste zu konzentrieren, alle anderen Verpflichtungen zu vertagen und mich ganz hinein zu werfen in die Vergangenheit des Neuen Testaments… Aber ich finde wenige Leute, die diesen Weg mit gehen können…

Drei Gedanken über die Liebe und eine ketzerische Frage…

Wenn in der Kirche von der Liebe geredet wird, wirken die Worte oft seltsam blutleer und blass. Es geht dann meist um die moralische Verantwortung, um die Verpflichtung zur Nächstenliebe, um die Gebote Gottes „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst…“ und um Regeln für ein menschenfreundliches und nachhaltiges Zusammenleben in der Gesellschaft. Es geht um die christliche Ethik, die Handlungsanweisungen, die in der Bibel mit dem Willen Gottes begründet werden, die aber auch die Grundlage unserer sehr weltlichen Gesetzgebung sind. Es ist besser für alle Menschen, wenn jeder Einzelne nicht tötet, nicht stiehlt, vor Gericht keine falschen Behauptungen aufstellt und sich „anständig“ benimmt. Was da gesagt wird, ist richtig und wichtig, und es ist gut, dass in der Kirche von dem allen die Rede ist.

Was mir aber in all diesen Worten fehlt, sind die Gefühle, das Hingerissen-Sein, die Sehnsucht und das Verlangen, kurz – das Herz. Liebe ist ganz sicher nicht nur eine Sache der Vernunft und des Willens, sondern auch eine Sache des Gefühls, des Herzens, die Bibel würde sagen: der Eingeweide. „Schmetterlinge im Bauch“ – oder auch Flugzeuge – wer hat als Teenager nicht dieses wundervolle Gefühl gespürt, dass plötzlich die ganze Welt in einem anderen Licht strahlt, die Luft duftender riecht und die Seele sich leichter hebt, nur, weil man verliebt ist?

Geht es uns wenigstens hin und wieder auch so, dass das Herz schneller schlägt, wenn wir an Gott denken? Dass ein Lied oder ein Bibelvers unsere Seele in Aufruhr bringt, weil wir plötzlich verstanden haben, dass Gott uns mit seiner Liebe ganz nah gekommen ist? Dass wir Nächstenliebe nicht nur als christliches Prinzip ansehen, sondern sie ganz real erfahren, wenn wir uns nach langen Monaten der Isolation wegen der Viruskrankheit endlich wieder von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen?

Drei Beispiele habe ich in den Monatssprüchen für die Sommermonate erkannt:

Ich wünsche Dir in jeder Hinsicht Wohlergehen und Gesundheit, so wie es deiner Seele wohlergeht!“ So heißt es im 3. Johannesbrief, im Monatsspruch für den Mai. Liebe sorgt sich um den anderen, um ihr Gegenüber, und wünscht „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen, Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei…“

Das bekannte Geburtstagslied wünscht dem Geburtstagskind das, was jeder Liebende dem anderen wünscht: Wohlergehen. Wohlstand heißt ja nicht, dass jemand viel Geld hat und reich an materiellen Dingen ist – wie viele reiche Menschen sind in ihrer Seele traurig und verletzt! Wohlstand ist, wenn es um die wichtigen Dinge des Lebens wohl steht: Wenn man im Frieden leben kann, wenn man Menschen um sich herum hat, die einem gut tun, wenn Familie und Freunde gesund sind, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. So zeigt sich der Segen Gottes, so zeigt sich Wohlstand, und nicht nur darin, dass man ein dickes Auto fährt oder eine große Villa bewohnt…

Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm; denn Liebe ist stark wie der Tod.“ Aus dem Hohen Lied der Liebe stammt dieser Vers, der im Juni Monatsspruch der Kirche ist. Das Liebeslied singt wie kein anderer Abschnitt der Bibel auch von dem Verlangen, der Hitze, der erotischen Seite der Liebe. – Sign your name across my heart... singt der Popsänger Terence Trent D‘Arby. Zur Liebe gehört Hingabe und Vertrauen. Wer liebt, gibt ein Stück weit seine Selbstständigkeit auf, vertraut sich einem anderen an. Liebe sieht den anderen, kennt seinen Namen und sein Wesen und nimmt ihn so an, wie er ist. Diese Liebe stellt keine Bedingungen. Diese Liebe kennt keine Zweifel und lässt sich nicht enttäuschen. Die Bibel sagt: Wer liebt, achtet den andern höher als sich selbst.

Der andere darf seinen Namen auf das eigene Herz schreiben. Nicht zuletzt deshalb tragen viele Menschen im Ehering den Namen des anderen eingraviert. Das will sagen: Wir gehören zusammen, ich bin Dein, Du bist mein. Nur der Tod kann dich und mich trennen Zur Liebe gehört Hingabe, die Bereitschaft, Opfer zu bringen, sich anzustrengen für die, die man liebt.

Dies ist ein hoher Anspruch; und nicht jeder ist bereit, sein Herz so sehr zu öffnen, sich so sehr verletzlich zu machen. Manchmal wäre es auch nicht gut, andere könnten diese Offenheit ausnutzen. Darum auch steht die Liebe unter dem besonderen Schutz Gottes, aber auch unter seinem Gebot. Die Liebe soll nicht für den eigenen Egoismus missbraucht werden.

Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott.“ seufzt der betende Dichter im Psalm 42. Im Monatsspruch für den Juli spricht die Sehnsucht aus dem Mund des Psalmendichters, das unbändige, ungebändigte, durstige Streben zu Gott hin. Liebe erkennt an, dass ich mir selbst nicht genug sein kann, dass ich allein ohne ein Gegenüber unvollständig bin. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, ich will ihm ein Gegenüber schaffen, das ihm gleich ist.“ heißt es im ersten Buch der Bibel. Der Mensch ist zur Gemeinschaft, zur Ehe, zur Liebe geschaffen.

Könnte es ein, dass der Mensch auch hierin ein Bild Gottes ist? Könnte es sein, dass die Liebe Gottes genau so Sehnsucht hatte nach einem Gegenüber; dass also diese Liebe letztlich der Grund ist, aus dem Gott die Menschen schuf? Könnte es sein, dass auch Gott nicht vollständig ist ohne die Menschen, sein Ebenbild, das er geschaffen hat um der Liebe willen?

Du hast uns zu dir hin geschaffen,“ schreibt der große Kirchenvater Augustin, „Du hast uns zu dir hin geschaffen, und unsere Seele ist unruhig, bis sie Ruhe findet in dir!“ Der mutige Denker und ausdauernde Beter Augustin hat vielleicht auch dieses Bild gewagt: Wo Liebe ein Ziel findet und sich mit diesem verbindet, ist keine der beteiligten Personen noch ganz für sich. Sie ist Teil dieses unverbrüchlichen Bundes, der stärker ist als der Tod. Am Ende bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Und die Liebe ist die Größte unter ihnen…