Kain und Abel – eine Geschichte vom Ursprung der Menschheit

Eine Geschichte vom Ursprung der Menschheit

Dies ist eine von den Geschichten vom Ursprung der Welt, eine der Erzählungen vom Anfang der Zeit, einer der Mythen vom Beginn der Menschheit. Diese Geschichten erzählen, wie wir, die Menschen, wurden, was wir sind – und wie die Welt, in der wir wohnen, so wurde, wie sie ist.

Noch war die Erde wüst und leer, da pflanzte Gott einen Garten in Eden, paradiesisch schön, vollkommen und fehlerlos. Und er setzte den Menschen hinein, Mann und Frau, Adam und Eva, dass sie den Garten bebauten und pflegten. Alles, was sie zum Leben brauchten, war dort vorhanden – genug und im Überfluss, denn dieser Garten war der Ursprung des Lebens, und alle Früchte durften sie essen, nur nicht – wer will fragen, was Gott tut und warum, wer will seine Taten beurteilen? – nur nicht die Äpfel vom Baum der Erkenntnis; aber sie sahen jeden Tag das Angesicht Gottes.

Doch sie übertraten sein Gebot und nahmen von den verbotenen Früchten; und sie verloren das Vertrauen zu Gott, ihren Glauben, und mit ihm den Garten und alles, was Gott ihnen geschenkt hatte, und fanden sich wieder in dieser Welt voller Mühsal und Arbeit. Und Adam wurde Ackermann, der dem Boden im Schweiße seines Angesichts sein Leben abkämpfen musste; und Eva wurde die Mutter aller Lebenden, aber mit Schmerzen und Angst gebar sie ihre ersten Kinder, Kain und Abel.

Trennung von Gott

Kain wurde Ackermann und erntete die Früchte, die Gott ihm wachsen ließ, und Abel wurde Hirte und hütete Schafe und Rinder, die Gott ihm geschenkt hatte. Und – lange Zeit später – brachten die beiden Dankopfer dar für Gott: Von ihm hatten sie es empfangen, ihm wollten sie es erstatten: Abel verbrannte das Fett und den Speck eines seiner Tiere, und Kain verbrannte Körner und Früchte, die er auf seinen Feldern geerntet hatte. Und Gott – wer will fragen, was er tut und warum, wer will seine Taten beurteilen? – sah Abel und sein Opfer an, aber Kain sah er nicht an.

Es gibt keine Erklärung. Beide Brüder wollten Gott mit ihren Gaben ehren. Warum sieht Gott den einen an und den anderen nicht? Auch wir fragen bis heute nach der Gerechtigkeit Gottes und verstehen seine Entscheidungen nicht. Warum wird der eine Mensch erwählt und der andere nicht? Warum muss der eine hungern und der andere lebt sorgenfrei und unbeschwert? Warum muss der eine arbeiten und kämpfen, während dem anderen alles in den Schoß fällt? Da sind die Gesunden – und die anderen sind krank, leiden und haben Schmerzen. Da sind die Glücklichen – und die anderen trauern, weil sie den liebsten Menschen verloren haben.

Es gibt keine Erklärung. Warum werden manche Völker unterdrückt, warum bereichern sich andere an ihrem Leiden? Warum haben manche wegen ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben? Da sind die Reichen – und anderen Menschen fehlen selbst Wasser und Brot. Da sind die Versorgten – und andere sterben an AIDS, weil ihnen einfache Medikamente fehlen. Da sind die Sicheren – und andere gehen auf Flüchtlingsbooten im Atlantik unter…

Warum sind manche Menschen gesegnet und so viele andere nicht? Es wird immer Unterschiede zwischen Menschen geben. Frauen und Männer sind verschieden, Kinder sind anders als ihre Eltern, Geschwister ergreifen verschiedene Berufe, schlagen unterschiedliche Lebenswege ein. Menschen aus verschiedenen Ländern haben unterschiedliche Traditionen, Maßstäbe und Werte. Aber muss es deshalb zu solch himmelsschreiender Ungerechtigkeit kommen? Und stimmt Gott zu? Ist es letztlich sein Wille, seine “Erwählung”, ob ein Mensch das Leben findet oder nur vor dem Tod flieht?

Und Gott – wer will fragen, was er tut und warum, wer will seine Taten beurteilen? – nahm Abels Opfer an, aber Kains Opfer nahm er nicht an.

Enttäuscht, beleidigt, zornig ließ Kain sein Opfer liegen, brennende Asche ohne Wert auf einem sinnlos gewordenen Altar – aber helle, lodernde Wut brannte in ihm; Wut gegen Gott, von dem er sich verlassen glaubte, und Wut gegen seinen Bruder, den Gott ihm vorgezogen hatte.

Was man uns zutrauen kann

Kann man diesen Zorn nicht nachvollziehen? Wäre es nicht geradezu unmenschlich, nicht in Zorn zu geraten angesichts dieser Ungerechtig-keit? Wer kann da kaltes Blut behalten, in dem noch ein Herz schlägt! Ohnmächtig, hilflos muss man die Ungerechtigkeit ertragen, in der Tasche ballt sich die Hand zur Faust. Mühsam hält man die dünne Fassade der Zivilisation aufrecht, doch inwendig schreit etwas Älteres, Wilderes nach Ausgleich: Wo ich nicht Frieden und Recht bekommen kann, da werde ich kämpfen.

Doch so wird ein Mensch dem anderen zum Wolf; hier erkennt der Mensch in den anderen plötzlich nur noch Feinde. Hier haben Kriege und Freiheitskämpfe, Terrorismus und Widerstandsbewegungen ihren inneren Grund: Wenn ich nicht bekomme, was mir rechtmäßig zusteht, nehme ich mein Schicksal selbst in die Hand.

“Gottesvergiftung” hat der Theologe Tilman Moser einmal dieses Gefühl genannt, wo wir meinen, Gott werde uns zum Feind. “Gottesvergiftung” ist der Zustand, in den wir geraten, wenn wir uns in die Ecke getrieben sehen – von einem Gott, der zu viel fordert, der uns übermächtig wird, der uns zu nahe kommt – oder auch von einem Gott, der unverständlich und dunkel bleibt, der willkürlich und unnachvollziehbar reagiert, der fern und abwesend ist, unerreichbar und hart. “Gottesvergiftung” erlebt hier Kain, dessen Welt und dessen Glaube zerbricht dadurch, dass Gott ihn nicht ansieht. Mit seinem Dankopfer weiß er seine ganze Existenz in Frage gestellt. Was ist sein Leben mehr als der rauchende Haufen Asche, der ihm auf seinem Altar geblieben ist?… Kain glaubt nicht mehr, sein Vertrauen ist zerbrochen, und in Gott sieht er den, der zum Verräter geworden ist an ihm…

Doch Gott sprach noch mit ihm: “Warum dieser Zorn? Wozu diese Wut?” Gott war noch da, und noch konnte Kain ihn hören: “Willst Du nicht aufsehen, mir in die Augen schauen? Wendest Du dich ab von mir?” Gottes Worte erreichen Kain nicht mehr; zu stark ist seine Enttäuschung und zu unerhört die Forderung: “Die Sünde lauert dir auf, Du aber herrsche über sie…”

Gewalt und Tod

Abel ging mit seinem Bruder – doch da war nichts Brüderliches mehr zwischen ihnen. Aus Neid und Wut war Hass geworden, aus Angst und Zweifel war Mordlust erwachsen. “Das wollen wir doch mal sehen; Gott, ob Du damit durchkommst! Hier, sieh, was ich ihm antue, deinem Liebling, deinem Erwählten, den du mir vorgezogen hast…” Rotes Blut tränkt plötzlich die Ackerkrume, Abels Leben versickert im Lehm, er haucht seinen letzten Atem aus, dann ist es vorbei. Zum ersten Mal war es geschehen, was Gott zu Adam sagte jenseits von Eden: Du bist Erde, und zu Erde wirst Du werden…. Dies also war der Tod….

Am Ende also – Tod. Gott – wer will fragen, was er tut und warum, wer will seine Taten beurteilen? – hat sich noch immer nicht abgewendet. Nicht von Abel, nicht von Kain. “Wo ist Dein Bruder?” Als ob du es nicht wüsstest! “Was hast du ihm angetan?!” Als ob es dir nicht das Herz zerrissen hätte! “Sein Blut schreit zu mir von der Erde!” Ja, dieses Opfer kannst du nicht übersehen! “Verflucht! Verflucht bist du, Kain, denn dir wird kein Leben mehr wachsen aus dieser Erde, die das Blut deines Bruders getrunken hat. Dir wird kein Leben mehr wachsen, denn Du hast den Tod gebracht in diese Welt, und Tod wird dir folgen, wohin du auch gehen wirst.” – – –

Wußte Gott nichts anderes zu sagen? Fluch über Kain, den Mörder seines Bruders? Tod aus Tod geboren, und immer wieder neuer Tod? Hat Kain nicht sogar Recht, gegen diesen Gott zu rebellieren, ihn abzulehnen, anzuklagen, ihn seinerseits zu verdammen und sich loszusagen? Gab es für ihn – Gott – keinen anderen Weg, als nun den Täter zum Opfer zu machen und damit sich selbst zum Täter?

“Diese Strafe ist unerträglich! Mein Leben ist jetzt schon vorbei, und was mir bleibt, ist eine kurze Flucht vor Dir und allen Menschen und dann der schnelle Tod. Jeder, der mich findet, kann mich so erschlagen. Welche Chance bleibt mir noch? Wo finde ich Schutz?”

Kain protestiert gegen weitere Ungerechtigkeiten; ja, er fordert Gott auf, sich wenigstens hierin treu zu bleiben, dass er der Gott des Lebens ist. Hat er – Kain – schon den Tod in diese Welt gebracht durch seine Tat, so soll Gott ihn doch wenigstens davor bewahren, dass sich nun die ganze Menschheit gegen ihn richtet, dass sein Mord fortwirkt in neuem Hass und weiterem Töten.

Was man Gott zutrauen kann

Gott – wer will fragen, was er tut und warum, wer will seine Taten beurteilen? – macht ein Zeichen an Kain, Drohung und Schutz zugleich, Erinnerung an seine Strafe und doch auch ein Zeichen bleibender Zuwendung: Kain hat getötet, doch siebenfache Rache wird den treffen, der seine Hand an Kain legt…

Tod aus Tod geboren, Mord und Rache auch hier. Was Kain in die Welt brachte, lässt sich nicht mehr ungeschehen machen. Ein Rad ist ins Rollen gekommen, und es sieht so aus, als ob nicht einmal Gott diesem Rad in die Speichen greifen will… Immer und immer wieder berichtet die Bibel, wie Menschen Gott verlassen, wie sie zu Tätern werden und andere zu Opfern machen, wie das Gericht Gottes sie trifft, wie aus Angst und Hass Tod geboren wird: Gibt es keine andere Möglichkeit? Müssen wir entweder Kain sein oder Abel?

Noch im neuen Testament hält Paulus den Menschen den Spiegel der Geschichte Gottes und der Menschen vor Augen: “Da ist keiner, der gerecht ist, nicht ein einziger.” Und die Folge der Sünde ist der Tod. Doch die Geschichte Gottes mit den Menschen geht so nicht zuende.

Ein neuer Mensch

Gott selbst hat diesen teuflischen Kreislauf gebrochen, der nichts anderes kennt als “Auge um Auge, Zahn um Zahn.” Christus ist geboren, Gott mitten unter den Menschen. Er hat einen neuen Weg geöffnet. Keinen leichten und einfachen Weg, aber einen Weg, der zum Frieden führt.

Jesus hat hingesehen und geholfen, wenn die Opfer am Wegrand lagen. Jesus hat sich mit Gottes Liebe denen zugewendet, die wie einst Kain ruhelos und haltlos durch das Land und ihr Leben irrten, auf der Flucht vor ihrer Schuld und auf der Suche nach Gott. Jesus hat geliebt bis zum Äußersten, bis er selbst zum Opfer der Härte der Menschen wurde. Bis er am Kreuz starb.

Jesus Christus ist die bleibende Zuwendung Gottes. Durch seinen Opfertod hindurch bleibt er seiner Liebe zu uns treu. Denn die Liebe ist stärker als der Tod. Und der Tod ist überwunden, er hat das Leben, ewiges Leben ans Licht gebracht.

Uns bleibt also nicht nur die Alternative: Kain oder Abel, Täter oder Opfer. Adam und Eva haben ein drittes Kind geboren, Seth, der der Stammvater war der Linie, die durch die Väter Israels zu König David und von dort zu Christus führte. Uns bleibt der dritte Weg: den Spuren Christi zu folgen, der gesagt hat: “Was Ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.” – “Laßt Euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem.” – “Liebet einander, wie ich euch geliebt habe.” – und auch: “Bei den Menschen ist dies unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.”

Taufe

Durch die Taufe sind wir mit hineingenommen in dieses Geheimnis des Glaubens, das Christus umgibt: Wir sind mit ihm gestorben und sind als Menschen auferstanden, die in neuer Weise das Bild Gottes sind, so wie er die Menschen gemeint hat: Schwestern und Brüder, Gottes Kinder.

Solange wir in dieser Welt leben, sind wir nicht vollkommen; wir sind Sünder und Gerechte zugleich. Immer noch sind Kain und Abel in uns. Wenn wir die Nachrichten sehen, erkennen wir jeden Tag, wie dünn die Schicht der Zivilisation immer noch ist. Noch immer ist der Mensch dem anderen ein Wolf. Doch hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Mit dem Wagnis der Liebe.

Nachtgebet, im Dunklen zu singen…

GLORY to Thee my God, this night,
For all the Blessings of the Light;
Keep me, O keep me, King of Kings,
Under Thy own Almighty Wings.

Mein Gott, eh nun die Nacht anbricht
will ich dir danken für dein Licht.
Breit über mich die Flügel dein
und lass mich ganz geborgen sein.

Forgive me Lord, for Thy dear Son,
The ill that I this day have done,
That with the World, my self, and Thee,
I, e’r I sleep, at peace may be.

Wenn ich heut Böses hab getan,
Herr, rechne mir die Schuld nicht an,
dass ich im Frieden bin mit mir
und mit der Welt und auch mit dir.

Teach me to live, that I may dread
The Grave as little as my Bed;
Teach me to die, that so I may
Triumphing rise at the last day.

Lehr leben mich, dass ich ohn Graun
den Tod kann wie den Schlaf anschaun.
Und sterben, dass am jüngsten Tag
ich herrlich auferstehen mag.

O may my Soul on Thee repose,
And with sweet sleep mine Eye-lids close;
Sleep that may me more vig’rous make,
To serve my God when I awake.

Wenn meine Seele geht zur Ruh
schließ sanft mir meine Augen zu
mit süßem Schlummer, der mich stärk
zu tun, wenn ich erwach, dein Werk.

When in the night I sleepless lie,
My Soul with Heavenly Thoughts supply,
Let no ill Dreams disturb my Rest,
No powers of darkness me molest.

Wenn ich des Nachts voll Sorge bin,
zieh meine Seele zu dir hin,
dass Dunkelheit mich nicht verschlingt,
dein Licht in meine Träume dringt.

Praise God from whom all Blessings flow,
Praise Him all Creatures here below,
Praise Him above y‘ Angelick Host,
Praise Father, Son, and Holy Ghost.

Lobpreis sei Gott, der uns erhält,
preist ihn, Geschöpfe dieser Welt,
ihr Engelsscharen, lobt und preist
den Vater, Sohn und Heilgen Geist.

Quelle: Musixmatch
Kenneth Brown / Thomas Tallis Songtext von Glory to Thee, My God, this Night ©

Deutsche Übersetzung: Maria Hoymann

Der Geist in der British Library und andere Geschichten aus dem Folly

Dies ist ein Sammelband mit Kurzgeschichten zu der Reihe der Kriminalromane um den jungen Polizisten Peter Grant, der in einer ganz besonderen Abteilung der Londoner Polizei Ganoven jagt und Verbrechen aufklärt – er ist der Schüler des letzten Zauberers der Stadt. Zusammen mit seinem Lehrer und Mentor Thomas Nightingale stellt er sich Trollen und Kobolden, Feen und Magiern und auch leibhaftigen Göttinnen in den Weg, um die Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten. Nicht gerade hilfreich dabei ist es, dass ausgerechnet die Mutter seiner Freundin in die Ermittlungen eingreift – aus nicht ganz uneigennützigen Motiven. Sie ist eine der Göttinnen der Flüsse in London…

Nebenfiguren aus den Romanen haben in diesen Kurzgeschichten ihren großen Auftritt und glänzen in einem ganz eigenen Licht… Die Haushälterin des „Folly“, der geheimen Zentrale des „Büros für absonderliche Angelegenheiten“ der Metropolitan Police, ein adoptiertes Kind mit besonderen Fähigkeiten, diverse Geister und andere seltsame Figuren kommen hier endlich zu ihrem Recht: nämlich dem, endlich einmal im Mittelpunkt einer – wenn auch kurzen – Geschichte zu stehen…

Ben Aaronovitch hat seine Bücher humorvoll, spannend und mit einer großen Prise Ironie geschrieben. Wer als Teenie „Harry Potter“ gelesen hat, wird als Erwachsener diese Bücher lieben.