Es gibt Bibelstellen, die einem beim Lesen den Atem verschlagen. Dies hier ist eine davon.
Im ersten Buch der Könige wird die Geschichte des Propheten Elija erzählt. Propheten waren keine Wahrsager oder Zukunftsdeuter, sondern sie waren Menschen, die im Namen Gottes sprachen und Heil oder Unheil ankündigten; oft waren es Menschen, die ein gutes Gespür hatten für Politik, für gesellschaftliche Entwicklungen und für Strömungen in der Seele der Bevölkerung. Sie hatten im Übrigen auch eine sehr genaue Vorstellung von dem Willen Gottes und wurden dadurch oft in die Nähe von gefährlichen Fanatikern und Extremisten gerückt. Erst im Nachhinein konnte man feststellen, ob das, was sie sagten, im Namen Gottes gesprochen war oder nach eigenem Gefühl und Wellenschlag.
Elija redete energisch gegen den damals in Israel regierenden König Ahab und auch gegen die Priesterschaft in den Tempeln der Städte in Israel, die unterschiedslos verschiedene Götter anbetete und den Gott Israels als nur einen unter vielen Göttern ansahen. Weil sich Elija im Namen seines Gottes mit den Mächtigen des Landes anlegte, musste er untertauchen und sich verstecken… In den kleinen Dörfern am Rande der Wüste fand er Zuflucht.
Aber dann kam eine längere Trockenzeit über das Land, und die Menschen begannen zu hungern. Dramatisch wird im Buch der Könige beschrieben, wie Seen und Bäche austrockneten, die Bäume an den leeren Flussbetten und die Pflanzen auf den Feldern verdorrten. Drei Jahre lang regnete es nicht. Wie immer traf der Hunger zuerst die Armen und Alleingelassenen am Stärksten.
Elija kommt zu der Witwe von Sarepta, die in einem kleinen Dorf mit ihrem Sohn lebte. Gemeinsam haben sie mühevoll ein bisschen Landwirtschaft betrieben, die gerade genug eingebracht hatte, um sie zu ernähren – bisher. Die Dürre hatte ihre Ernte vernichtet, und nun hatten sie gerade noch genug Mehl und Öl, um ein einziges, letztes Brot zu backen. Danach ist nichts mehr da, und Mutter und Sohn dachten daran, ihre letzte Mahlzeit miteinander zu teilen und dann aufzugeben und zu sterben.
In diese Situation hinein kommt nun der Prophet Elija, und das heilige Gebot der Gastfreundschaft gebietet es selbst den Hungernden, Elija als Gast aufzunehmen. Aber da ist nichts mehr, das sie ihm vorsetzen können als allein dieses, das letzte Brot. Sie erzählen Elia von ihrer Not, erzählen davon, dass sie dieses Brot selbst essen wollten, als letzte Mahlzeit vor ihrem Tod.
Aber Elia ignoriert das einfach! Er sagt: Gebt mir zu essen, danach könnt ihr essen! Wie unverschämt handelt hier der Prophet, wie unverschämt fordert Gott! Er sendet seinen Propheten in das Haus einer armen Frau und sagt „Ich habe ihr geboten, Dich zu versorgen!“
Es gibt Bibelstellen, die einem beim Lesen den Atem verschlagen. Dies hier ist eine davon.
Jesus zieht mit seinen Jüngern durch das Land, predigt von dem nahen Reich Gottes, heilt Kranke, beeindruckt die Menschen mit seinen klaren und aufrüttelnden Worten, mit eindrucksvollen Taten, die den Menschen nur als Wunder erscheinen können, mit einem Glauben, der die Herzen der Menschen berührt, mit einer Liebe, die ihnen Hoffnung macht und sie manchmal dazu bringt, ihr Leben zu verändern. Manche lassen alles stehen und liegen und folgen ihm und seiner kleinen Schar von Schülern nach. Sie ziehen als Schüler, als Jünger des Wanderpredigers Jesus durch Israel, Judäa und Galiläa… Er ist anziehend, faszinierend, verführerisch.
Ein Mann sagt zu ihm: Ich möchte mit Dir gehen, aber zuerst will ich meinen Eltern Lebewohl sagen. Ein anderer sagt: Ich will dir folgen, aber erlaube mir, mich zuerst von meiner Familie zu verabschieden. Und ein dritter sagt: Ich will dein Schüler sein, aber zuerst will ich meinen Vater bestatten, der gerade erst gestorben ist…
Und Jesus sagt: (Lukas 9, 57-62) Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Und dem Dritten sagt er gar: Lass die Toten ihre Toten begraben, Du aber folge mir nach!
Jesus redet unverschämt, so wie vor ihm Elija. Er fordert, er greift machtvoll ein in das Leben derer, die ihm begegnen. Gegen alle Sitten, gegen jeden Brauch, sogar gegen Gottes Gebot will er, dass es für den Suchenden nichts Wichtigeres geben soll als ihm, Jesus, zu folgen und in seinen Spuren Gott zu suchen.
Gibt es denn Wichtigeres, als den eignen Vater zu begraben, als der Mutter auf dem Friedhof beizustehen? Gibt es wichtigere Dinge im Leben, als sich um seine Familie zu kümmern, um Eltern, Geschwister, Frau und Kinder?
Gott erscheint unverschämt, fordernd und besitzergreifend. Er gebietet, und die Menschen gehorchen. Er spricht, und so geschieht es. Im alten Testament heißt es an einer Stelle: „Wenn der Löwe brüllt, wer fürchtet sich nicht? Wenn Gott spricht, wer wird dann nicht zum Propheten?!“
Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden…“ hat Benedikt von Nursia geschrieben, der im frühen Mittelalter den Orden der Benediktiner-Mönche gründete. Von ihm soll auch das bekannte Sprichwort „ora et labora!“ stammen: Bete und arbeite! So soll das gemeinsame Leben der Mönche mit Sinn erfüllt werden, hier werden Maßstäbe gesetzt und Prioritäten begründet: Beten und arbeiten, das macht das Leben vernünftig. Wichtiger als alles andere soll der Gottesdienst sein.
Benedikt von Nursia hat Jesus und auch den Propheten Elija auf seiner Seite. Was aber bedeutet Gottesdienst hier eigentlich? Geht es um ein Leben voller Gebet und Arbeit? Oder gibt es da noch mehr, das Hoffnung weckt und Sinn stiftet? Und ist mit dem Satz „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden…“ wirklich gemeint, dass Gläubige das letzte Hemd und das letzte Stück Brot geben müssen, wenn es gefordert ist, gehorsam bis in den Tod hinein?
Elija ging zu der Witwe in Sarepta. Sie gibt ihm das Letzte, was sie hat: Aus Mehl und Öl bäckt sie ein Brot und bewirtet den Propheten. Und der kündigt ein Wunder an, wie aus einem Märchen: in deinem Krug soll immer genug Öl sein, in deinem Topf immer Mehl, solange diese Hungersnot dauert. Das Vertrauen der Witwe soll belohnt werden, es ist, als ob gesagt werden soll: Gott lässt die Seinen nicht im Stich. Mitten in der Not wird sie versorgt von Gott.
Die Jünger kamen eines Tages zu ihrem Meister, nachdem sie schon viele Monate mit ihm gezogen waren, und fragten ihn: „Was haben wir eigentlich davon, dass wir dir folgen? Was wird unsere Belohnung sein?“ Dabei kannten sie Jesus eigentlich, sie wussten, dass er nicht in solchen Kategorien dachte. Für mich klingt es ein bisschen spöttisch und geradezu belustigt, als er den Jüngern antwortete: „Im Himmel werdet ihr auf zwölf Thronen sitzen und über die zwölf Stämme Israels richten.“ Und dann wird er doch ernster: „Wer meinetwegen Vater oder Mutter, Brüder und Schwestern verlassen hat, der wird all das hundertfach wieder bekommen. Und er wird das ewige Leben erhalten. Denn die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten kommen zuletzt am Ende.“
Was wird die Belohnung sein? Das Leben in der Gemeinschaft, das Wissen um die bleibende Liebe Gottes, die Aussicht auf ein sinnerfülltes Leben, das sollte den Jüngern Anreiz genug sein, in den Spuren Jesu zu gehen.
Die Witwe musste in all ihrer Not keinen Hunger leiden; es wird sogar erzählt, dass später, als ihr Sohn krank wurde und starb, der Prophet ihn von den Toten auferweckte. Die Jünger lebten drei Jahre mit Jesus und lernten durch ihn die Wege Gottes und „Worte des ewigen Lebens“ kennen – so dass sie auch nach seinem Tod und seiner Auferstehung sagen konnten „Brannte nicht unser Herz in uns, während er uns das Wort Gottes erklärte?“
Gott ist „Jahweh jireh“, mein Versorger! So lautet eines der ältesten Glaubensbekenntnisse des Volkes Israel. Immer wieder haben sie erlebt, dass Gott sie mit dem Nötigen versorgt: Mit dem Fleisch von Lämmern und den bitteren Kräutern am Abend des Passahmahls vor der Flucht in die Wüste. Mit Brot vom Himmel und Wachteln auf dem Weg. Mit Milch und Honig in dem verheißenen Land… Gott hat Elija versorgt, als der sich verstecken musste am Bach Krit; er hat die Witwe versorgt mit einem märchenhaften Wunder. Gott ist der Ernährer, der sein Volk mit allem Nötigen versorgt.
Jesus hat sich selbst ganz gegeben und Nichts zurück behalten – als er das letzte Mahl mit seinen Jüngern aß, gab er ihnen Brot und Wein und sagte: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut; wenn ihr es esst und trinkt, tut ihr das, um euch an mich zu erinnern.“ Um wieder gegenwärtig zu machen, was ich für euch tat. Wenn ihr das austeilt und gemeinsam esst, bin ich selbst in eurer Mitte in Brot und Wein, in Leib und Blut. Darin werdet ihr das Leben und volles Genüge haben, bis ich es wieder mit euch essen werde im Reiche meines Vaters im Himmel…