Der unverschämte Gott…

Es gibt Bibelstellen, die einem beim Lesen den Atem verschlagen. Dies hier ist eine davon.

Im ersten Buch der Könige wird die Geschichte des Propheten Elija erzählt. Propheten waren keine Wahrsager oder Zukunftsdeuter, sondern sie waren Menschen, die im Namen Gottes sprachen und Heil oder Unheil ankündigten; oft waren es Menschen, die ein gutes Gespür hatten für Politik, für gesellschaftliche Entwicklungen und für Strömungen in der Seele der Bevölkerung. Sie hatten im Übrigen auch eine sehr genaue Vorstellung von dem Willen Gottes und wurden dadurch oft in die Nähe von gefährlichen Fanatikern und Extremisten gerückt. Erst im Nachhinein konnte man feststellen, ob das, was sie sagten, im Namen Gottes gesprochen war oder nach eigenem Gefühl und Wellenschlag.

Elija redete energisch gegen den damals in Israel regierenden König Ahab und auch gegen die Priesterschaft in den Tempeln der Städte in Israel, die unterschiedslos verschiedene Götter anbetete und den Gott Israels als nur einen unter vielen Göttern ansahen. Weil sich Elija im Namen seines Gottes mit den Mächtigen des Landes anlegte, musste er untertauchen und sich verstecken… In den kleinen Dörfern am Rande der Wüste fand er Zuflucht.

Aber dann kam eine längere Trockenzeit über das Land, und die Menschen begannen zu hungern. Dramatisch wird im Buch der Könige beschrieben, wie Seen und Bäche austrockneten, die Bäume an den leeren Flussbetten und die Pflanzen auf den Feldern verdorrten. Drei Jahre lang regnete es nicht. Wie immer traf der Hunger zuerst die Armen und Alleingelassenen am Stärksten.

Elija kommt zu der Witwe von Sarepta, die in einem kleinen Dorf mit ihrem Sohn lebte. Gemeinsam haben sie mühevoll ein bisschen Landwirtschaft betrieben, die gerade genug eingebracht hatte, um sie zu ernähren – bisher. Die Dürre hatte ihre Ernte vernichtet, und nun hatten sie gerade noch genug Mehl und Öl, um ein einziges, letztes Brot zu backen. Danach ist nichts mehr da, und Mutter und Sohn dachten daran, ihre letzte Mahlzeit miteinander zu teilen und dann aufzugeben und zu sterben.

In diese Situation hinein kommt nun der Prophet Elija, und das heilige Gebot der Gastfreundschaft gebietet es selbst den Hungernden, Elija als Gast aufzunehmen. Aber da ist nichts mehr, das sie ihm vorsetzen können als allein dieses, das letzte Brot. Sie erzählen Elia von ihrer Not, erzählen davon, dass sie dieses Brot selbst essen wollten, als letzte Mahlzeit vor ihrem Tod.

Aber Elia ignoriert das einfach! Er sagt: Gebt mir zu essen, danach könnt ihr essen! Wie unverschämt handelt hier der Prophet, wie unverschämt fordert Gott! Er sendet seinen Propheten in das Haus einer armen Frau und sagt „Ich habe ihr geboten, Dich zu versorgen!“

Es gibt Bibelstellen, die einem beim Lesen den Atem verschlagen. Dies hier ist eine davon.

Jesus zieht mit seinen Jüngern durch das Land, predigt von dem nahen Reich Gottes, heilt Kranke, beeindruckt die Menschen mit seinen klaren und aufrüttelnden Worten, mit eindrucksvollen Taten, die den Menschen nur als Wunder erscheinen können, mit einem Glauben, der die Herzen der Menschen berührt, mit einer Liebe, die ihnen Hoffnung macht und sie manchmal dazu bringt, ihr Leben zu verändern. Manche lassen alles stehen und liegen und folgen ihm und seiner kleinen Schar von Schülern nach. Sie ziehen als Schüler, als Jünger des Wanderpredigers Jesus durch Israel, Judäa und Galiläa… Er ist anziehend, faszinierend, verführerisch.

Ein Mann sagt zu ihm: Ich möchte mit Dir gehen, aber zuerst will ich meinen Eltern Lebewohl sagen. Ein anderer sagt: Ich will dir folgen, aber erlaube mir, mich zuerst von meiner Familie zu verabschieden. Und ein dritter sagt: Ich will dein Schüler sein, aber zuerst will ich meinen Vater bestatten, der gerade erst gestorben ist…

Und Jesus sagt: (Lukas 9, 57-62) Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Und dem Dritten sagt er gar: Lass die Toten ihre Toten begraben, Du aber folge mir nach!

Jesus redet unverschämt, so wie vor ihm Elija. Er fordert, er greift machtvoll ein in das Leben derer, die ihm begegnen. Gegen alle Sitten, gegen jeden Brauch, sogar gegen Gottes Gebot will er, dass es für den Suchenden nichts Wichtigeres geben soll als ihm, Jesus, zu folgen und in seinen Spuren Gott zu suchen.

Gibt es denn Wichtigeres, als den eignen Vater zu begraben, als der Mutter auf dem Friedhof beizustehen? Gibt es wichtigere Dinge im Leben, als sich um seine Familie zu kümmern, um Eltern, Geschwister, Frau und Kinder?

Gott erscheint unverschämt, fordernd und besitzergreifend. Er gebietet, und die Menschen gehorchen. Er spricht, und so geschieht es. Im alten Testament heißt es an einer Stelle: „Wenn der Löwe brüllt, wer fürchtet sich nicht? Wenn Gott spricht, wer wird dann nicht zum Propheten?!“

Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden…“ hat Benedikt von Nursia geschrieben, der im frühen Mittelalter den Orden der Benediktiner-Mönche gründete. Von ihm soll auch das bekannte Sprichwort „ora et labora!“ stammen: Bete und arbeite! So soll das gemeinsame Leben der Mönche mit Sinn erfüllt werden, hier werden Maßstäbe gesetzt und Prioritäten begründet: Beten und arbeiten, das macht das Leben vernünftig. Wichtiger als alles andere soll der Gottesdienst sein.

Benedikt von Nursia hat Jesus und auch den Propheten Elija auf seiner Seite. Was aber bedeutet Gottesdienst hier eigentlich? Geht es um ein Leben voller Gebet und Arbeit? Oder gibt es da noch mehr, das Hoffnung weckt und Sinn stiftet? Und ist mit dem Satz „Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden…“ wirklich gemeint, dass Gläubige das letzte Hemd und das letzte Stück Brot geben müssen, wenn es gefordert ist, gehorsam bis in den Tod hinein?

Elija ging zu der Witwe in Sarepta. Sie gibt ihm das Letzte, was sie hat: Aus Mehl und Öl bäckt sie ein Brot und bewirtet den Propheten. Und der kündigt ein Wunder an, wie aus einem Märchen: in deinem Krug soll immer genug Öl sein, in deinem Topf immer Mehl, solange diese Hungersnot dauert. Das Vertrauen der Witwe soll belohnt werden, es ist, als ob gesagt werden soll: Gott lässt die Seinen nicht im Stich. Mitten in der Not wird sie versorgt von Gott.

Die Jünger kamen eines Tages zu ihrem Meister, nachdem sie schon viele Monate mit ihm gezogen waren, und fragten ihn: „Was haben wir eigentlich davon, dass wir dir folgen? Was wird unsere Belohnung sein?“ Dabei kannten sie Jesus eigentlich, sie wussten, dass er nicht in solchen Kategorien dachte. Für mich klingt es ein bisschen spöttisch und geradezu belustigt, als er den Jüngern antwortete: „Im Himmel werdet ihr auf zwölf Thronen sitzen und über die zwölf Stämme Israels richten.“ Und dann wird er doch ernster: „Wer meinetwegen Vater oder Mutter, Brüder und Schwestern verlassen hat, der wird all das hundertfach wieder bekommen. Und er wird das ewige Leben erhalten. Denn die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten kommen zuletzt am Ende.“

Was wird die Belohnung sein? Das Leben in der Gemeinschaft, das Wissen um die bleibende Liebe Gottes, die Aussicht auf ein sinnerfülltes Leben, das sollte den Jüngern Anreiz genug sein, in den Spuren Jesu zu gehen.

Die Witwe musste in all ihrer Not keinen Hunger leiden; es wird sogar erzählt, dass später, als ihr Sohn krank wurde und starb, der Prophet ihn von den Toten auferweckte. Die Jünger lebten drei Jahre mit Jesus und lernten durch ihn die Wege Gottes und „Worte des ewigen Lebens“ kennen – so dass sie auch nach seinem Tod und seiner Auferstehung sagen konnten „Brannte nicht unser Herz in uns, während er uns das Wort Gottes erklärte?“

Gott ist „Jahweh jireh“, mein Versorger! So lautet eines der ältesten Glaubensbekenntnisse des Volkes Israel. Immer wieder haben sie erlebt, dass Gott sie mit dem Nötigen versorgt: Mit dem Fleisch von Lämmern und den bitteren Kräutern am Abend des Passahmahls vor der Flucht in die Wüste. Mit Brot vom Himmel und Wachteln auf dem Weg. Mit Milch und Honig in dem verheißenen Land… Gott hat Elija versorgt, als der sich verstecken musste am Bach Krit; er hat die Witwe versorgt mit einem märchenhaften Wunder. Gott ist der Ernährer, der sein Volk mit allem Nötigen versorgt.

Jesus hat sich selbst ganz gegeben und Nichts zurück behalten – als er das letzte Mahl mit seinen Jüngern aß, gab er ihnen Brot und Wein und sagte: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut; wenn ihr es esst und trinkt, tut ihr das, um euch an mich zu erinnern.“ Um wieder gegenwärtig zu machen, was ich für euch tat. Wenn ihr das austeilt und gemeinsam esst, bin ich selbst in eurer Mitte in Brot und Wein, in Leib und Blut. Darin werdet ihr das Leben und volles Genüge haben, bis ich es wieder mit euch essen werde im Reiche meines Vaters im Himmel…

Knocking on heavens door..

Gestern, am 16. Juli 2021, ist der britische Multimillionär Richard Branson zusammen mit fünf anderen Menschen vom „Weltraumbahnhof“ in New Mexico gestartet. Nach einer Entwicklungszeit von beinahe einem Jahrzehnt hat seine Firma Virgin Galactic eine Flugmaschine entwickelt, mit deren Hilfe touristische Flüge in die obere Grenze der Atmosphäre möglich werden. Während eines Unfalls bei einem Testflug ist ein Pilot gestorben…

Dieser Jungfernflug war kein wirklich beeindruckender Hopser… Das „Raumschiff“ Unity wurde von seinem Trägerflugzeug auf 15 Kilometer Höhe gebracht, dann wurde das Raketentriebwerk gezündet. Unity beschleunigte in ca. 3 Minuten auf dreifache Schallgeschwindigkeit…

Als das Triebwerk ausgebrannt war, folgten etwa fünf Minuten Parabelflug in der Schwerelosigkeit, am höchsten Punkt der Flugbahn war das Flugzeug etwa 90 Kilometer hoch. Kurz danach ging es mit anderthalbfacher Schallgeschwindigkeit zu Erde zurück. Wegen der vergleichsweise niedrigen Geschwindigkeit war ein Hitzeschild oder Ähnliches nicht nötig. Nach einem kurzen Landeanflug setzte Unity sanft auf der Landebahn in New Mexico auf. Schon nach einer Viertelstunde war alles vorbei. Für mich kein unvergesslicher Moment…

Die Berichterstattung des ZDF war sehr unbefriedigend. Informationen für das „Publikum“ wurden eher nicht gegeben, der Reporter auf dem Livestream vom ZDF hatte so ziemlich kaum Ahnung von dem, was er da kommentieren sollte; er verstand nicht einmal den Unterschied zwischen einem Suborbitalflug und einem Flug mit Eintritt in den Erdorbit, in eine Umlaufbahn. Die Berichterstattung hätte man viel besser machen können…

Bemerkenswert ist allenfalls, dass man mit diesem komplett wiederverwendbaren System zu einem vergleichsweise geringen Preis solche Suborbitalflüge anbieten kann. Andererseits – wer wird 250 000 Dollar für ein Abenteuer ausgeben, das nach einer guten Stunde schon wieder vorbei ist?

Vom „Weltall“, nicht einmal vom erdnahen Raum, kann man so jedenfalls nichts erfahren…

Wenn Gott eine Tür öffnet, werden wir sie nicht schließen…

Die Tür ist zu. Einen großen Krach hat es gegeben zwischen Gott und dem Menschen, zwischen dem Schöpfer aller Dinge und dem Mann und der Frau. Zorn brannte in der Luft. Schuld stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Aus Liebe war Angst geworden. Und aus Hoffnung Asche.

Es ging doch gar nicht wirklich um diese Frucht, die angeblich so klug machte. Es ging nicht um die Einflüsterungen der Schlange, die dem Menschen Verlangen und Begierde ins Herz goss. Es ging nicht einmal um das missbrauchte Vertrauen, obwohl das auch schon schlimm genug war. Es ging darum, dass die Menschen auf einmal glaubten, es gäbe Besseres als das, was ihnen Gott gegeben hat. Das er das Wertvollste noch für sich behalten wollte. Es ging darum, dass sie selbst Gott sein wollten an der Stelle Gottes. Weise und klug wie er wollten sie sein; selbst entscheiden, was gut und böse ist. Eigene Regeln und eigene Gesetze machen. Endlich erwachsen werden.

Aber als sie die Frucht aßen, erkannten sie, dass sie – nackt waren… Sie erkannten nicht ihre Kraft, nicht ihre Intelligenz und ihr Wissen, nicht ihre unendlichen Möglichkeiten, nicht ihre Schönheit – ihre Klugheit bestand allein darin, dass sie erkannten, wie hilflos und bedürftig sie in Wirklichkeit waren, wie schwach. Und nun hatten sie sich gegen Gott gestellt, waren zu Sündern geworden.

Und so glaubten sie, sich verstecken zu müssen. Und sie richteten eine Mauer auf zwischen sich und Gott, auch wenn es nur eine Trennwand aus Büschen und Blättern war.

Wenn ihr es so wollt, – so könnte Gott bei sich gedacht haben – dann könnt ihr eure Mauer haben. Voller Angst glaubt ihr nicht daran, dass ich euch vergeben will. In eurer Gier vergreift ihr euch an dem, was ich euch schenken wollte zu seiner Zeit. Ihr habt es an euch gerissen, obwohl ihr noch nicht reif dafür wart.

Und Adam und Eva wurden aus dem Garten ausgeschlossen, und das Tor wurde verschlossen, und davor stand der Engel mit dem Flammenschwert, um den Eingang zu bewachen.

Was in der Bibel nicht steht: Auch Gott hatte das Paradies verlassen. Er war nicht mehr bei den Lagunen und Palmen, nicht mehr über den saftigen Wiesen und den glitzernden Seen, nicht mehr dort, wo Quellen fröhlich sprudelten und die Bäume immer wieder neu Früchte trugen.

Die Tür war verschlossen und der Engel mit dem Flammenschwert bewachte es, aber Gott war draußen bei seinen Menschen, um mit ihnen durch die Welt und die Geschichte zu gehen, auch, wenn sie es nicht wussten und nicht mehr zu hoffen wagten. Und als Adam sein Brot erarbeitete im Schweiße seines Angesichts, war es Gott, der Samen wachsen ließ und den Regen gab zu seiner Zeit.

Und während Eva Kinder gebar, war es Gott, der im Segen seine Hand über Mutter und Kind hielt und das Leben schuf, immer wieder neu, seinen Atem hinein hauchte in diese so zarten, zerbrechlichen, empfindlichen Wesen, die er so sehr liebte. Und ohne die er nicht sein wollte.

Die Tür ist zu. Noah hatte mit seiner Frau, seinen Söhnen und deren Frauen die Tiere in die Arche gebracht, den Samen der Zukunft, den Hoffnungsschimmer Gottes – aber Gott selbst war es, der das große Tor der Arche schloss, bevor die großen Schleusen des Himmels sich auftaten und die Erde überflutet wurde von einem nie zuvor gekannten Regen…

Wieder hatten sich die Menschen gegen Gott gewendet. Sie sind böse von Jugend an – so lautete das Urteil. Sie lebten ohne Gott, ja sogar gegen Gott. Und gegen ihre Mitmenschen. Wichtig war ihnen nicht das Leben, nicht die Liebe, nicht die Mitmenschlichkeit. Wichtig war ihnen Macht, Gier und Größe, das Gefühl, mehr, mächtiger und wichtiger zu sein als andere. Wichtig waren ihnen Stärke und Sicherheit und das Selbstbewusstsein, auf die Hilfe Gottes nicht angewiesen zu sein.

Aber auch sie erfuhren, dass sie allein nicht sicher sein konnten, dass sie immer noch verletzlich und schwach waren und den Naturkatastrophen nichts entgegensetzen konnten. Hitze, Dürre und Feuer schadeten ihnen ebenso wie Hagel, Sturm und Fluten, die immer wieder die Ernten zerstörten und Hungersnot über die Menschen brachten. Alle Planung, alle Vorbereitung half da nicht. Und beten wollten sie nicht.

Gott selbst hat die Tür geschlossen, so wird es erzählt. Draußen waren die Verlorenen, die sich von Gott abgewandt hatten, die nur Böses kannten von Geburt an. Und drinnen in der Arche war Noah und seine Familie. So konnte Noah nicht sehen, was draußen geschah, als die Wasser stiegen und die Arche sich schließlich in der Flut aus ihrem Baugerüst erhob; er spürte nur, wie die Wellen das große Schiff hin und her warfen, aber den tausendfachen Tod draußen konnte er nur ahnen. Und vielleicht stellte er sich da schon die Frage, die auch uns so oft bewegt: Wie kann Gott das zulassen?

Ich bin überzeugt, dass Gott auf beiden Seiten war – er war bei den Tieren und den Menschen in dem großen Schiff, er war aber auch denen in ihren letzten Minuten, die in den Fluten ihren Lebensatem verloren, erstickten, starben, vielleicht mit einem Fluch auf den Lippen. Denn Gott liebt den Sünder nicht weniger als den Gerechten…

Ich bin die Tür, sagte Jesus zu seinen Jüngern. Diese Tür ist nicht verschlossen. Jesus ist die ausgestreckte Hand Gottes. Er ist die menschlich gewordene Liebe des Vaters. Er war offen für jede Frau und jeden Mann, die nach Gott suchen. Er hat niemanden weg geschickt, der den Vater sehen wollte in ihm. Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! ruft er, ich will euch erquicken!

Andere haben ihm genau das vorgeworfen. Sie konnten seine Offenheit nicht ertragen. Gerade die Frommen hatten dieses Problem: „Mit den Zöllnern und Sündern isst er!“ empörten sie sich, „mit den Feinden des Volkes und den Prostituierten, den Betrügern und mit den Gottlosen hat er an einem Tisch gesessen!“ Sie haben nicht verstehen wollen, dass Gottes Liebe und Erbarmen, seine Zugewendetheit zu den Menschen größer ist als alles, was sie sich vorstellen konnten.

Gottes Gnade ist nicht gerecht. Sie kommt nicht nur zu den Guten, Frommen, moralisch einwandfrei Lebenden. Sie kommt zu den Heiligen und zu den Sündern; ja, da ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die Umkehr und Veränderung nicht brauchen. Gottes Gnade wird nicht erworben oder „verdient“. Seine Liebe ist kostenlos, seine Gnade ist gratis, und seine freundliche Zuwendung ist bedingungslos.

Die Tür ist offen. Jesus sagt: „Ich bin die Tür. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben…“

Ein sichtbares Zeichen dafür ist die Taufe. Auch sie hat keine andere Bedingung als den Glauben. „Wer glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ schreibt der Apostel Paulus. „Es ist da kein Unterschied: dieses Versprechen Gottes gilt für Sklaven und Freie, Juden und Heiden, Frauen und Männern.“ Es gilt allen.

Geht hin in alle Welt. Ruft die Menschen! Wo Gott keine Unterschiede macht, sollen wir keine Mauern aufrichten. Wo Gott alle ruft, sollen wir keine Grenzen setzen. Wo Gott die Tür öffnet, können wir sie nicht schließen. Ladet sie ein, die Menschen aus aller Welt! Tauft sie, macht sie zu meinen Schülerinnen und Schülern, zu Menschen, die mit mir auf dem Weg sind. Denn die Tür steht offen für alle!

Er öffnet die Tür. Für alle.

Türen in unserer Kirche…

Ich habe diesen Text vor zehn Jahren für einen „Glaubenskurs“ in meiner früheren Gemeinde geschrieben. Im Kirchenraum gibt es acht Türen; Eingänge und Ausgänge zu sehr unterschiedlichen Räumen und Orten. Wir sind im Kirchenraum umher gegangen und haben die Türen betrachtet. Jede hat ihren ganz eigenen Charakter, eine besondere Aufgabe, einen sehr spezifischen Sinn. So wie wir auch…

Dies ist die Haupt-Eingangs-Tür…

Sie ist groß und schwer, die meisten Leute brauchen beide Hände, um sie zu öffnen.

Sie schützt unsere Kirche, sie trennt und verbindet Außen und Innen.

Wer außen ist, ist „irgendwo“, unterwegs, am anderen Ort, aushäusig, in der Fremde.

Wer innen ist, ist im Haus Gottes, am Versammlungsort der Gemeinde, ist dort, wo die Taufe gefeiert und das Abendmahl geteilt wird.

Wenn wir Gottesdienst feiern, steht diese Tür weit offen.

Die Türklinken sind künstlerisch gestaltet und sehen aus wie Fische, wie das Symbol der ersten Christen für Jesus Christus, den Herrn und Erlöser.

Dies ist die Tür zum Kirchhof…

Sie ist eine Tür durch eine Wand aus Glas, durch die man hindurchsehen kann. Man weiß, was einen auf der anderen Seite erwartet, schon bevor man sie öffnet.

Sie führt aus der Kirche auf den Friedhof, wo die Toten ruhen und wo die Lebenden um die Toten trauern.

Wenn wir Ostern feiern, gehen die Kinder durch diese Tür, um die draußen versteckten Ostereier zu finden.

Manchmal kommen Menschen durch diese Tür in die Kirche, denen der Weg durch den Haupt-Eingang zu anstrengend ist.

Diese Tür ist gleichzeitig der Not-Ausgang, ein Fluchtweg, falls es nötig sein sollte, die Kirche schnell zu verlassen.

Diese Tür führt in die Kapelle…

Sie ist kaputt, manchmal läßt sich das Schloss nicht öffnen. Dann kann man nicht durch diese Tür gehen und muss einen Umweg durch zwei andere Türen nehmen.

Manchmal geht sie aber auch ohne Probleme auf, und wir haben noch nicht herausgefunden, wie man sie dazu „überreden“ kann.

Diese Tür ist unzuverlässig und sorgt immer wieder für Ärger – aber niemand repariert sie.

Hinter dieser Tür liegt der Raum, in dem wir die „Familienkirche“ feiern – sie ist eine Verbindung zwischen zwei verschiedenen Bereichen unserer Gemeinde-Arbeit. Wenn wir feiern, bleibt sie geschlossen, damit wir uns nicht stören

Diese Tür führt in die Kerzenkammer.

Hier werden die Kerzen gelagert, die wir im Gottesdienst anzünden, hier werden die Anzeigetafeln vorbereitet, die die Gemeinde braucht, um die Lieder im Gesangbuch zu finden, die während der Gottesdienste gesungen werden.

Hier sind auch die Sicherungskästen und die Lichtschalter für die Beleuchtung der Kirche.

Dieser Raum ist nicht für die Allgemein-heit bestimmt; hier gehen nur die Menschen hinein, die den Kirchdienst tun.

Der Raum hinter dieser Tür ist unaufgeräumt und schmuddelig.

Wenn wir Weihnachten feiern, werden hier die Kerzen angezündet, die wir an die Ge-meinde verteilen, um zu bezeugen: In ihm ist das Licht Gottes in die Welt gekommen

Dies ist die Tür zum Glockenturm…

Hinter dieser Tür gibt es eine Treppe, die nach oben führt – zur Glockenempore, von wo man die Vater-Unser-Glocke läutet; – und noch weiter hinauf in die Glockenstube, wo die vier großen Glocken hängen, und von wo man dann bis zur Spitze des Kirchturms steigen kann, wo das Kreuz ist – ich kenne aber niemanden, der dort oben schon gewesen ist. Der Weg ist gefährlich.

Hier steht immer jede Menge Kram rum: Eimer, Schaufeln, Schubkarren, Leitern…

Der Raum hinter dieser Tür ist ungemütlich und dreckig.

Diese Tür ist gleichzeitig der Not-Ausgang, ein Fluchtweg, falls es nötig sein sollte, die Kirche schnell zu verlassen.

Diese Tür führt in die Sakristei…

Hier bereiten sich die Liturgen auf den Gottesdienst vor: Sie ziehen sich um, sie beten gemeinsam, sie bereiten die Abendmahls-Geräte vor.

Nach dem Gottesdienst wird hier die Kollekte gezählt; und die Anzahl der Gemeindeglieder, die zum Gottesdienst gekommen sind wird in ein Buch eingetragen – für die Statistik. Unsere Gottesdienste sind eher schlecht besucht.

Meistens ist es unordentlich in diesem Raum; niemand fühlt sich wirklich verantwortlich für Ordnung und Sauberkeit.

Diese Tür ist gleichzeitig der Not-Ausgang, ein Fluchtweg, falls es nötig sein sollte, die Kirche schnell zu verlassen.

Hinter dieser Tür ist die Treppe,

die hinunter in den Keller der Kirche führt.

Dort sind die Toiletten, die man während der Gottesdienste benutzen kann…

Dort ist der Betriebsraum für die Heizung der Kirche.

Dort sind einige Räume, in denen zusätzliche Stühle und die Requisiten für die „besonderen“ Gottesdienste gelagert werden: Krippenspiel, Martinsfest, Erntedank, Osternacht…

Dies ist die Schwingtür, die den Gottesdienst-Raum von dem Vorraum der Kirche trennt.

Man kann sie nicht abschließen.

Sie ist groß und schwer, die meisten Leute brauchen beide Hände, um sie zu öffnen.

Sie quietscht laut, was es immer ein bisschen peinlich macht, wenn jemand zu spät zum Gottesdienst kommt: Die ganze Gemeinde bekommt es mit…

Niemand hat sie in den letzten zwei Jahren geölt. Sie quietscht aber auch, WENN man sie ölt…

Sie schützt den Kirchraum vor Kälte und Wind.

Diese Tür ist gleichzeitig der Not-Ausgang, ein Fluchtweg, falls es nötig sein sollte, die Kirche schnell zu verlassen.

Dreißig Jahre sind kein echtes Jubiläum…

Der Bischof sagte zu mir: Bruder Horn, so kann ich sie aber unmöglich aus der Kirche lassen. Ich muss ihn sehr verblüfft angeguckt haben, denn er grinste und zeigte auf meinen Krawattenknoten. Den hab ich noch nie im Leben ordentlich hinbekommen; also hat er mir diesen Knoten gebunden.

Ich bin bestimmt weltweit der einzige Pfarrer, dem ein Bischof den Knoten für die Krawatte bei seiner Ordinationsfeier gebunden hat.

Heute ist für mich ein besonderer Tag, denn vor genau dreißig Jahren habe ich als Pfarrer meine Arbeit begonnen. Ich glaube nicht, dass sich irgend jemand daran erinnern wird, wir haben hier schon wichtigere Jubiläen „verpennt“ und dreißig Jahre ist ja irgendwie auch kein richtiges Jubiläum.

Weil es in der evangelischen Kirche einerseits keine Priesterweihe gibt und andererseits das „allgemeine Priestertum aller Getauften“ gilt, ist es gar nicht so einfach, zu erklären, was die Ordination eigentlich ist.

Nach dem Beamtenrecht ist es die Aufnahme in ein Dienstverhältnis auf Lebenszeit. Seit einiger Zeit gibt es zwar auch Pfarrer, die Angestellte ihrer Gemeinde oder ihres Kirchenkreises sind, aber in der Regel ist ein Pfarrer Kirchenbeamter. Und sie werden fast genauso behandelt und es gelten für Kirchenbeamte fast die gleichen Rechte wie für Staatsbeamte – nur dass wir Gehaltserhöhungen meistens erst ein halbes Jahr später bekommen, wodurch die Kirche jedes mal ein paar Millionen insgesamt spart…

Nach kirchlichem Recht ist die Ordination die Aufnahme in den Pfarrerstand, verbunden mit der Berechtigung und der Verpflichtung, zu predigen und die Sakramente zu „verwalten“, das heißt, Abendmahlsgottesdienste zu feiern und ordnungsgemäß zu taufen. Und die Pfarrerinnen und Pfarrer verpflichten sich dabei, sich in ihrer Verkündigung an die Lehre und an das Bekenntnis der Kirche zu binden und vor allem an die Heilige Schrift – also nichts zu predigen, was der Bibel und dem Glaubensbekenntnis widerspricht. (Trotzdem gab und gibt es immer wieder Pfarrer, die von den Kanzeln herab sagen, Jesus sei gar nicht von den Toten auferstanden und Gott gäbe es ja eigentlich auch gar nicht – jedenfalls nicht so, wie es in der Bibel steht; und auch die werden in der Regel nicht rausgeschmissen, höchstens mal strafversetzt…)

Von der Ordination verschieden ist die Einführung in das Pfarramt, denn das Pfarramt ist immer an eine bestimmte Gemeinde gebunden, wo man dann eben der Pfarrer ist, die Ordination ist aber ganz allgemein die Berechtigung zum Ausüben des Pfarrberufes.

Ich kann mich an meine Ordination gut erinnern, es gibt auch ein Video davon, das damals irgend jemand aufgenommen hat, aber ich habe die Kassette nicht wieder gefunden, obwohl ich gestern zwei Stunden danach gesucht habe… Das weiß ich noch: Ich war damals so aufgeregt wie ein Teenie vor der Konfirmation.

Wir feiern nach dem Gottesdienst

Für mich war das wirklich eine ganz besondere Feier, so etwas wie die Aufnahme in den geistlichen Stand. weil ich noch ein Baby war, als ich getauft wurde, ist dies außer meiner Konfirmation die einzige kirchliche Feier, die es für mich gab…

Das Wort vom Kreuz – kraftvoll und dynamisch

Predigt am 4. Juli 2021 in den KGn Kiekebusch und Brusendorf
Predigttext: 1. Korintherbrief 1, 18-25

Versteht ihr das?

Wir bringen unsere Kinder zur Taufe. Wir gießen Wasser über sie und sprechen Segensworte aus der Bibel über ihnen aus. Wir vertrauen sie Gott an und hoffen, dass er ihnen Kraft und Hoffnung gibt, die Energie, in guten wie in schweren Zeiten an ihm festzuhalten und aus dem Glauben an ihn zu leben. Wir wünschen uns, dass Gott unsere Kinder schützt und durch ihr Leben begleitet und sie vor dem Bösen bewahrt. So nehmen wir die Getauften in unsere Gemeinde, in Gottes Kirche auf.

Medizin des ewigen Lebens hat man die Taufe genannt, das Wasser der Wiedergeburt, Geheimnis des Glaubens, ein heiliges Sakrament. In der Taufe stirbt der alte Adam, der sündige Mensch, der von Gott nicht weiß und nicht wissen kann, und der Mensch wird neu geboren aus Wasser und Geist, ein neuer Mensch, dem Gott das Leben schenkt. Wie ein Siegel legen wir den Namen Gottes auf unsere Jüngsten und freuen uns, dass Gott wieder mit einem Menschen diesen wunderbaren Weg beginnt, dass er aufs Neue sagt wie schon so oft: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du gehörst zu mir…“

Ist es nicht nur Wasser? Wie kann es so große Dinge tun?

Christen sehen tiefer.

Versteht ihr das?

Unsere Jugendlichen lassen sich konfirmieren. Was sie selbst noch kaum verstanden haben, dafür stehen sie ein vor Eltern und Paten, Großeltern und Geschwistern, vor Freundinnen und Freunden. Was sie kaum mit eigenen Worten ausdrücken können, bekennen sie mit den seit Jahrhunderten weiter gegebenen Sätzen „Ich glaube an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist.“ Aufgeregt und nervös, manchmal kichernd und oft sehr bewegt knien sie vor dem Altar Gottes und lassen sich ihren Konfirmationsspruch vorlesen: Siehe, ich habe Dir gesagt, dass Du unverzagt und hoffnungsvoll sein sollst, vertraue mir und fürchte Dich nicht, denn ich, Gott, werde bei dir sein, was immer du dir vornimmst…

Sie, die aufgeklärten, kritischen Individualisten wagen kühn den Sprung und lassen sich fallen in die Gemeinschaft der Christen und Christinnen, in eine Gemeinde, in die Kirche – und sie hoffen, dass diese Gemeinschaft sie trägt und erträgt, ihnen zur Heimat wird und ihnen den Freiraum und die Freiheit gibt, selbst ihre Kirche mit zu gestalten und in ihr zu wachsen und aufs neue Worte, Bilder und Lieder des Glaubens zu finden, die sie weiter geben können an eine nächste Generation.

Geht es nicht nur um Worte, um einen überkommenen Brauch? Hilft all das den jungen Leuten wirklich zu einem sinnvolleren, zu einem guten Leben?

Christen sehen weiter.

Versteht ihr das?

Eine Frau und ein Mann, oder auch zwei Frauen oder zwei Männer kommen in die Kirche, um um den Segen Gottes für ihre Ehe zu bitten. Sie wissen, wie schwer es sein wird, gemeinsam zu leben, sich zu lieben und einander zu achten, auf Augenhöhe miteinander zu streiten, immer wieder Versöhnung zu suchen, miteinander für ihre Lebensziele einzutreten und sich in Freude wie im Leid treu zu bleiben. Sie bitten um die Kraft, die aus Gott kommt, um den Geist des Friedens, das Band der Liebe, die bleibt. Sie wollen lernen, genau hin zu sehen, die und den anderen zu erkennen und in ihr den Menschen zu sehen, den Gott ihnen geschenkt hat.

Was Gott zusammen gefügt hat, das wird der Mensch nicht scheiden – das glauben und bekennen sie, und sie hoffen sehr, dass Gott ihnen in ihrer Schwachheit helfen wird, wenn es einmal hart auf hart kommt.

Ist es nicht nur Wunschdenken? Kann diese Hoffnung im Alltag bestehen?

Christen sehen schärfer…

Versteht ihr das?

Auf den Friedhöfen kommen wir zusammen, um die zu bestatten, die der Tod uns genommen hat. Wir teilen unsere Trauer und trösten uns durch das gemeinsame Singen, Beten und Still-Werden, wo Worte nicht mehr weiter helfen. Wir legen Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub. Wir wollen uns gegenseitig neue Kraft geben, damit wir weiter leben können ohne diesen Menschen, den wir geliebt haben und immer lieben werden und der in unserem Leben so sehr fehlt.

An den Gräbern hören wir das Versprechen Gottes, dass der Tod uns nicht halten wird, dass seine Liebe stärker ist als alles, was uns von ihm trennt. Wir versichern uns gegenseitig, dass Christus auferstanden ist von den Toten und dass er auch uns auferwecken wird zu neuem und ewigen Leben. Er ist auferstanden, wahrhaftig auferstanden, und wer an ihn glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. In den Kreuzen auf unserem Friedhof – und über alle menschliche Vernunft hinaus – sehen wir Zeichen der Hoffnung.

Christen sehen durch den Horizont.

Für viele Menschen sind alle diese Dinge, die wir in der Kirche tun, unverständliche Rituale. Ja, nicht einmal wir selbst haben alles bis ins Letzte verstanden. Wir wissen, dass die Dinge, die Gott tut, für uns nicht selbstverständlich sind, nicht zu begreifen, unverfügbar. Gottes Gnade bleibt frei, seine Barmherzigkeit gilt denen, welchen er sie schenken will. Um seinen Segen können wir nur bitten. Wenn es um seinen Segen geht, sind wir unmündig wie Kinder; wir können nur dankbar annehmen, was er uns schenkt.

Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung sind nur vom Kreuz Jesu her wirklich verstanden. Das Kreuz ist das Zeichen der Liebe Gottes, die kein Ende hat, das Symbol seiner Gnade, die keine Grenzen kennt. Christus ist gestorben, damit wir das Leben haben; er ist auferstanden, damit der Tod kein Recht mehr hat an uns. Das opfer Christi ist die Grundlage und höchster Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes.

Dieser Gedanke war schon zur Zeit der ersten Christen ein Skandal, ein Stein des Anstoßes, eine törichte Dummheit. Gott am Kreuz – das war für keinen vernünftigen Menschen zu verstehen. Für einen gläubigen Juden schmeckte das nach Gotteslästerung; für die durch Vernunft und der Suche nach dem Wahrem und Schönen geprägten Griechen war es Irrsinn – das war kein nachvollziehbarer Glaube, das war purer Unfug.

Ist es heute anders? Wenn wir heute über unseren Glauben sprechen, wenn wir versuchen, einem anderen Menschen begreiflich zu machen, was uns im Leben und auch im Angesicht des Todes trägt, leitet und uns Kraft verleiht, dann stoßen wir auf Unverständnis und oft auch Spott: Ist denn unser Glaube mehr als eine Art Pfeifen im Dunklen, ist Gott mehr als der „unsichtbare Spielgefährte“, den wir uns in unseren Kindertagen eingebildet haben?

Uns aber, so schreibt Paulus, ist das Wort vom Kreuz eine Gotteskraft. Es steht quer zu der alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit, es durchkreuzt alles Erfahrungswissen der Experten des Zeitgeistes, es ruft uns weg aus unserer eigenen Realität und stellt uns hinein in die Wirklichkeit Gottes. Diese Gotteskraft, diese göttliche Dynamik vertreibt uns aus der Wohlfühlzone und gibt uns Kraft und Antrieb hinaus aus der Bequemlichkeit, in der wir uns eingerichtet haben.

Das Kreuz ist das christliche Zeichen der Menschenfreundlichkeit Gottes und der Versöhnung der Welt. Das macht seine Aktualität aus und hat auch politische Sprengkraft. Es darf aus christlicher Sicht keinen Zweifel geben, dass jegliche Menschenfeindlichkeit — sei es im Namen wiedererwachender Nationalismen oder auch im Zuge wachsender Konflikte zwischen den Religionen — inakzeptabel und unvereinbar mit dem christlichen Glauben ist. (Zitat Bedford-Strohm)

Versteht ihr das?

Das Holz auf Jesu Schulter ist von der Welt verflucht; aber weil Jesus es trug, wurde es zum Baum des Lebens. Es trägt Frucht in unserer Gemeinde und in der weltweiten Kirche – und es ist gute Frucht. In ihm ist das Leben.

Wir erkennen das – nicht, weil wir die besseren oder klügeren Menschen wären, sondern weil er es so wollte – wir erkennen das durch die Gnade Gottes, durch seine Kraft, durch seinen Geist. Und wir beten, dass Gott allen Menschen dieses Geheimnis offenbaren möge. Soviel an uns liegt, wollen wir es weiter sagen, werben, einladen und unsere Türen offen halten. Wir wollen genau hinsehen – tiefer, weiter, schärfer und durch den Horizont hindurch – wo der Geist Gottes wirkt, wo er vielleicht auch durch uns wirken kann. Denn in ihm ist das Leben. In dieser Welt – und in der Welt, die kommt.