Breakfast all over the world

Das Auto ist gerade in der Werkstatt. Fleißige Hände montieren die Winterreifen und machen einen „Urlaubscheck“, damit die Flitzekiste wieder fit ist für die nächste Jahreszeit. Winter is coming…

Ich sitze derweil nebenan in einem türkischen Café und frühstücke. Ich war noch nie hier, aber es gefällt mir sehr. Nach allem, was ich weiß, ist es richtig authentisch, genau so geht es in den Restaurants in Istanbul oder Ismir zu. Es gibt heißen Tee mit viel Zucker, Sesamkringel und Oliven, Schafskäse und Tomaten. Ich habe Rührei bestellt und lehne mich zurück und genieße die Atmosphäre…

Schon immer war das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages für mich. Wenn ich Zeit habe, kann ich den ganzen Vormittag am Tisch sitzen, essen und trinken, Zeitungen lesen oder Musik hören… Schon als Student habe ich das getan, wann immer es möglich war.

Damals gab es Brötchen mit Butter, Honig und „Xäls“ – so heißt die Marmelade in Tübingen und überall im Schwabenland. In Berlin habe ich auch oft Mett mit Zwiebeln gegessen – Hackepeter nennt man das hier. Und manchmal gibt es auch Lachs oder Rollmops schon so früh am Morgen. Abgerundet wird das Ganze mit einem großen Glas Orangensaft.

Im Urlaub in der Türkei habe ich gelernt, Schafskäse, Oliven, Suçuk und Honig in der Wabe zum Frühstück zu essen. Auch in Griechenland kann man Ähnliches bekommen, und dazu gibt es schwarzen Tee oder Kaffee.

Ich liebe englisches Frühstück, obwohl das eher eine Ausnahme bleiben wird: Toast mit bitterer Orangenmarmelade, Rührei mit knusprigen Bacon, weiße Bohnen in Tomatensoße und dazu „Pudding“, der gar keiner ist, sondern eine sehr fette geräucherte Schwarzwurst. Das alles ist unglaublich lecker, aber man verträgt es nur einmal in der Woche.

Gewöhnungsbedürftig fand ich das Frühstück in Japan: dort gibt es grünen Tee, Gemüse und Fisch, in Algenblätter gewickelt, dazu Misu-Suppe und manchmal Ei, in der Pfanne gestockt… Als ich das zum ersten Mal gegessen habe, war mir hinterher schlecht, aber inzwischen finde ich es faszinierend und eine schöne Abwechslung.

Ich habe kein Problem damit, allein im Café zu essen, noch schöner ist es aber mit der Familie, wenn man beim Essen diskutieren, Geschichten erzählen und Pläne schmieden kann. Oder sich die Zeitung teilt. Da passt es gut, dass meine Frau lieber den politischen Teil liest und ich den Teil mit Wissenschaft, Kultur und Kunst. Und die Rätsel.

Die krassesten Frühstück-Buffets gibt es – wie erwartet – in Nordamerika: da gibt es alles, was man in Kontinentaleuropa erwartet, außerdem englisch breakfast, alles vom Mittelmeer, und dazu noch afrikanisches und asiatisches Frühstück. Der amerikanische Beitrag sind die Pancakes mit Sirup und der Instantcoffee, der mir allerdings nicht so gut schmeckt. Aber so ist Amerika. Hauptsache schnell und stark.

Nicht verstehen werde ich, warum es in italienischen Hotels den schlechtesten Kaffee in der ganzen Welt gibt – und in den Cafés gleich an der nächsten Ecke dann den allerbesten Cappuccino oder Espresso des Solarsystems… Ich werde nie wieder in einem italienischen Hotel frühstücken. Dafür gibt es dort die Bistros. Ihr werdet mir dankbar sein für diesen Tip.

In Frankreich und Spanien wissen die meisten Menschen ein gutes Frühstück nicht zu schätzen, da gibt es nur einen Kaffee und einen Croissant. Das wars dann schon. Dafür ist dort das Abendessen unübertroffen. Vielleicht werden spanische Mägen und französische Gaumen erst am Nachmittag wach und verschlafen das Frühstück…

So! Ich werde jetzt mal sehen, ob mein Auto fertig ist. Liebe Grüße an Euch alle. Und guten Appetit!

Alt werden ist etwas für Menschen mit Hoffnung

Predigt am 21. Sonntag nach Trinitatis – 17. Oktober 2021

9.30 Uhr Schönefeld – 11.00 Uhr Großziethen

Predigttext: Prediger 12, 1-7

Manche Leute erledigen ihre Aufgaben immer sofort. Sie schieben nichts auf die lange Bank und schreiben keine To-Do-Listen. Ihr Arbeitsplatz ist immer aufgeräumt, sei es Schreibtisch, Küche oder Werkstatt. Ihr Lieblingsspruch ist: „Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen…“ Wenn etwas zu tun ist, tun sie es gleich. Sie lieben es, immer gut vorbereitet zu sein und für jeden Fall einen Plan zu haben. Gut Schlafen können sie erst, wenn sie in Gedanken alles Wichtige abgehakt haben und den nächsten Tag sozusagen bei Null anfangen können. Sie sind verlässlich, effektiv und fleißig…

Und dann gibt es Leute wie mich. Das sind die Leute, die ihre Seminararbeiten kurz vor dem Abgabetermin in den Copy-Shop bringen, die ihre Steuererklärung erst im September des nächsten Jahres machen und für die das Wort „Prokrastination“ kein Fremdwort ist. Aufschieberitis – keine Krankheit, sondern ein Lebensstil. Immer mit der Ruhe, morgen ist auch noch ein Tag. Leute, die erst nach drei Tagen auf eine Email antworten und die den Müll erst runter bringen, wenn die Frau mit Scheidung droht. Leute, die unter Zeitdruck am besten funktionieren und total gut improvisieren können. Aber auch solche Leute erledigen ihre Aufgaben und tun, was sie tun müssen – meistens…

Zu welcher Sorte gehören Sie? Zu den fleißigen „Alles-sofort-Machern“? Oder zu den entspannten „Auf-den-letzten-Drücker-Arbeitern“? Ich will weder das eine noch das andere besonders loben. Jeder Mensch hat seinen eigenen Stil, mit dem er meistens gut zurecht kommt; und hat sich mit dem eigenen Arbeitsrhythmus eingerichtet. Die meisten Leute, die ich kenne, stehen sowieso zwischen den beiden Extremen, tun das schnell, was sie lieben und gerne tun, trödeln und improvisieren bei Dingen, die unangenehm sind oder uninteressant.

Reibungen gibt es meistens erst dann, wenn so unterschiedliche Leute zusammenarbeiten müssen… Wenn sich die Langsamen verschätzt haben und dann am Ende nicht mehr schaffen, was sie tun müssen, wenn sie immer noch packen, obwohl der Möbelwagen schon vor der Tür steht, wenn sie dem Zug nur noch hinterher sehen können, der ohne sie abgefahren ist.

Gerade die „Fleißigen“ verschieben aber auch Vieles: Sie sagen sich selbst: Ich bin jetzt viel zu beschäftigt und habe keine Zeit für „Spielereien“. Meine Hobbies, all das, was ich schon immer mal gern tun würde, – na ja, vielleicht in ein paar Monaten, wenn ich Urlaub habe. Bücher laufen ja nicht weg, Konzerte wird es auch in fünf Jahren noch geben. Endlich Französisch lernen oder Gitarre spielen? Heiraten und Kinder bekommen? Das kann ich ja später auch noch. Die schöne Reise verschiebe ich, bis ich in Rente sein werde. Dann habe ich das nötige Geld und die nötige Zeit dazu. Dabei merken sie gar nicht, wie das Leben an ihnen vorbei geht und sie mehr und mehr Richtung Burnout und Überarbeitung schleudern.

Denn Ruhe und Entspannung halten sie oft nicht für wichtig. Erst einmal durchatmen, bevor die notwendigen Schritte und Handgriffe getan werden; zurücktreten und einen prüfenden Blick auf das Ganze werfen, nach dem Sinn und dem Ziel ihrer Tätigkeit fragen – das haben die bienenfleißigen Arbeiter oft nicht im Blick.

Kirche kommt dann oft erst ganz am Schluss der niemals geschriebenen Liste. Gottesdienst, Bibelkreis, Chor oder Engagement in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – manch guter Vorsatz wird vertagt bis zum Fest des Heiligen St. Nimmerlein. Mich in kirchlichen Organisationen einzusetzen für Menschen in Flüchtlingsheimen, in Krankenhäusern, für Obdachlose oder Strafgefangene – das ist so weit ausserhalb meiner Lebensrealität, dass ich es mir nie vorstellen könnte; es kommt mir nicht einmal entfernt in den Sinn, in tausend Jahren nicht…

Und die „großen Fragen des Lebens“ spielen vielleicht bei einer weinseligen Nacht am Grill im Garten bei Freunden eine Rolle, aber sonst? Glaube ich an Gott? Wirklich oder nur aus „Tradition“? Und verändert dieser Glaube meine Einstellung zur Welt, zu mir selbst, zu den Prioritäten, den wichtigen Dingen in meinem Leben? Ist „Spiritualität“ für mich nur ein Wort aus dem Wellnessurlaub, den ich vor drei Jahren gemacht habe? Denke ich, dass es mir gut tun würde, regelmäßig zu beten?

Das Buch des „Predigers“ ist eine Sammlung von philosophischen Weisheiten für junge Leute, die von einem Lehrer gesammelt wurden, der Politiker, Pädagogen, Priester und Philosophen ausgebildet hat, „Führungskräfte“ würde man sie wohl heute nennen. Und neben vielen nützlichen Tipps für den Arbeitsalltag nennt er am Ende auch dies: „Gedenke an Gott in deiner Jugend, solang noch Zeit dafür ist.“

Der weise, alte Mann spricht zunächst die Jungen an: Denk an deinen Schöpfer in der Jugend – ehe das Alter kommt. Man ist nur einmal siebzehn – ein ganzes Jahr lang, aber auch das siebzigste Jahr und alle Jahre davor, dazwischen und danach sind gute Jahre, wenn man sagen kann: Ich lebe gern – jetzt. Nicht morgen oder übermorgen, nicht erst, wenn ich einen Führerschein habe, nicht erst, wenn ich einen tollen Beruf erlernt habe, nicht erst, wenn ich ein Haus gebaut habe – nein jetzt. Ich lebe jetzt gern und freue mich darüber, was mein Schöpfer mir schenkt Jahr für Jahr – Tag für Tag. Denk daran! Und dann beschreibt der Prediger das Alter in ungewöhnlichen und verfremdenden Bildern und doch so einfühlsam:

Die bösen Tage nennt er das Alter, wenn das Licht, Sonne, Mond und Sterne finster werden. Regentage – an denen die Kälte in die Knochen zieht. Die Sonne kommt nach den Wolken nicht wieder. Es geht nicht mehr aufwärts.

Die Hüter des Hauses zittern: Ein Bild für die Hände und Arme – was haben sie alles angepackt in diesem Leben, gearbeitet, wie oft jemanden gestreichelt, einen lieben Menschen umarmt. Jetzt zittern sie, die Hüter des Hauses.

Die Starken krümmen sich: Die Beine und Füße: Wie schwer fällt so mancher Schritt und erst recht das Treppensteigen. Da sehnt sich eine zurück, wie leichtfüßig sie so manchen weiten Weg gelaufen oder gerannt ist, zwei Treppenstufen auf einmal nehmen konnte und sich beim Tanzen mühelos gedreht hat. Jetzt fällt jeder Schritt schwer, die Starken, die Beine krümmen sich.

Man fürchtet sich vor Höhen und ängstigt sich auf dem Weg: Unsicher ist das Leben geworden, ängstlich geht man auf die Straße, man findet sich nicht mehr zurecht und manch einer seinen Weg nicht mehr. Die äußere Welt ist einem nicht mehr vertraut, die kleinen, alltäglichen Lebenstechniken werden zu großen Problemen.

Müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind: Wie kraftvoll konnte man früher zubeißen, jetzt ist man vorsichtig, auch mit den dritten Zähnen und überlegt, was man in den Mund schieben kann.

Finster werden sie, die durch die Fenster sehen: Fast blind ist die alte Frau, die ich besucht habe. Ein Leben lang hat sie gerne gelesen, es war ihre Leidenschaft. Nun kann sie kaum noch die Buchstaben entziffern, auch nicht mit Brille und Vergrößerungsglas. Trübe sind ihre Augen geworden. Die Welt rückt ihr in die Ferne, auch die Menschen, die sie nicht mehr richtig sehen und hören kann.

Die Türen an der Gasse schließen sich: So beschreibt der Prediger die Ohren. Was alles ist in ihrem langen Leben an ihre Ohren gedrungen: Musik, Stimmen, Worte wie: Ich brauche dich. Ich liebe dich. Oder ein Versprechen, das sich tief in ihr Herz gelegt hat, Gottes Versprechen zum Beispiel. Ich will dich tragen bis ins Alter (Jes 46,4). Ist sie dafür nun taub? Hoffentlich klingt das in ihrem Herzen nach.

Die Stimme der Mühle wird leiser und wenn sie sich hebt, klingt es, wie wenn ein Vogel singt: Undeutlicher, leiser wird die Stimme, die einmal so kraftvoll erzählen und rufen und singen konnte. Jetzt klingt sie wie ein Vögelchen, hoch und leise.
Zutreffend beschreibt der Prediger das Alter mit ungewöhnlichen Bildern, die verschiedene Deutungen zulassen.

Ich kenne keinen anderen Text, der das Alter so stimmig und zärtlich beschreibt wie dieser aus dem Alten Testament:

Ja, es ist wohl so, wie es dieser weise Mann beschreibt. Und dazu kommt die große Angst: Ich werde nicht mehr gebraucht, was man wie eine Unverschämtheit empfinden kann. Dass ich im Alter immer mehr Dinge nicht mehr kann, abgeben muss, das verschärft die Frage: Wozu bin ich denn noch da?

Es ist alles eitel, ein Haschen nach dem Wind – vergebliche Liebesmühe, umsonst, sinnlos… Ist das wirklich alles, was am Ende gesagt werden kann?

Ich kannte einen Kirchenmusiker, der sein Leben lang wundervolle Arbeit getan hat. Er hat in seiner Kirche eine große Orgel konzipiert, eine solche gibt es in Berlin nicht noch einmal und in ganz Deutschland nur ein paar wenige in gleicher Qualität. Er hat eine große Kantorei aufgebaut, mit über hundert Sängerinnen und Sängern, und sie über Jahrzehnte zusammengehalten. Sie haben auf sehr hohem Niveau gesungen, selbst die Leute vom SFB waren immer wieder einmal da, um Aufnahmen von dieser großartigen Kantorei und der wundervollen Orgel zu machen. Immer wieder veranstaltete der Kirchenmusiker vielbeachtete Konzertreihen in dieser Kirche, sogar Organisten aus der Schweiz, aus Österreich und aus Frankreich kamen nach Berlin, im an dieser Orgel in dieser Kirche zu spielen.

Dann wurde er 65 Jahre alt, und es war Zeit für ihn, in Rente zu gehen. Aber er konnte sich von seiner Arbeit nicht lösen. Er hatte Angst um seinen Chor; er fürchtete um die Qualität der kirchenmusikalischen Arbeit in der Gemeinde, und er hatte Angst, dass seine Orgel vernachlässigt und nicht mehr wertgeschätzt wird. Noch fünf Jahre hat ihn der Gemeindekirchenrat auf seinem Platz belassen, und er hat seine Arbeit fortgesetzt. Aber dann empfand die Mehrheit der Ältesten, dass es Zeit war, mit einem jungen, ebenso exzellenten und mutigen Musiker einen neuen Anfang zu setzen…

„Ihr zerstört mein Lebenswerk!“, klagte der alte Musiker, „Ihr macht kaputt, was ich in vielen Jahren aufgebaut habe…“ Er konnte nicht einsehen, dass sein Lebenswerk nicht die inzwischen alt gewordene Kantorei war, nicht das immer kleiner werdende Netz an Musikern aus Paris, Zürich, Wien und München… Sein Lebenswerk waren die Jahrzehnte voller Musik, die nicht nur die Gemeinde bereichert und gestärkt hat, die Tausende von Menschen für geistliche Musik begeistert hat, die sicher auch einige dazu gebracht hat, über die wirklich wichtigen Dinge im Leben nachzudenken – vielleicht sogar mehr, als es den Pfarrern an dieser Gemeinde möglich war. Musik ist eben noch einmal eine ganz andere Ebene…

Aber er konnte das nicht einsehen, und leider ist er am Ende trotz vieler Gespräche, trotz vieler Versuche, zu vermitteln und zu trösten, traurig und verbittert in den Ruhestand gegangen. An den Tasten seiner Orgel hat er dann nie wieder gesessen.

Alles vergebliche Mühe? Eitles Haschen nach dem Wind?

Ich habe in der Vorbereitung auf diese Predigt gelernt, dass es nicht unbedingt darauf ankommt, was am Ende bleibt. Sicher ist es schön, wenn wir Spuren hinterlassen konnten, wenn es etwas Greifbares gibt, das sagen kann „Hier hat jemand gearbeitet, und das hat er geschaffen…“

Manchmal aber bleibt nichts als Erinnerung – die Erinnerung daran, Menschen ein bisschen glücklicher gemacht zu haben, ein bisschen nachdenklicher, ein bisschen weiser.

Ich habe vorige Woche im Einkaufszentrum einen ehemaligen Konfirmanden getroffen; seit Jahren habe ich ihn nicht gesehen, in der Kirche schon gar nicht. Aber als er mich erkannte, kam er freudestrahlend auf mich zu und sagte: „Ich erinnere mich oft an meine Zeit mit ihnen, an die schönen Reisen, an die Diskussionen in der Gruppe und an den tollen Schlußgottesdienst!“ Es hat mir gut getan, das zu hören, denn Sichtbares bleibt bei der Arbeit, die ein Pfarrer tut, selten zurück. Aber ich habe eine Spur in der Seele dieses jungen Mannes hinterlassen können; wenn ich es auch nicht erkennen konnte, hat Gott ihn berührt.

Was an ihm und an vielen anderen geschehen ist, war nicht eitel, nicht vergeblich. Viel öfter, als wir es für möglich halten, hat Gott unsere Arbeit gesegnet. Und wenn über die Jahre auch die Haare grau geworden sind und die Augen nicht mehr scharf sehen wie früher, wenn die Schritte unsicher werden und die Arme nicht mehr so stark sind, wenn auch die Zeit, die uns in dieser Welt noch bleibt kürzer ist als die Zeit, die wir schon hinter uns haben – Gott hat uns das Leben gegeben, um es zu genießen und jeden Tag wieder das zu tun, was er uns aufgetragen hat. „Böse Tage“ müssen auch die letzten Jahre nicht sein. So wahr mir Gott helfe!

Lebhafte Farben aus Tunis

Anfang Oktober waren meine Frau und ich im Urlaub im „Lieblichen Taubertal“. So heißt die Gegend ganz offiziell. Es gibt dort eine Menge anerkannter Kurorte, sehenswerte Dörfer und Städte mit schönen Marktplätzen und Fachwerkhäusern – und man kann über Weinberge wandern und den Wein dann in den Gasthäusern probieren. Zurück zum Hotel fährt man dann am Besten mit dem Zug oder mit dem Bus.

In einem der Gasthäuser sind uns die schönen Gemälde aufgefallen, die dort an den Wänden hingen, und als wir nachfragten, wurde uns erzählt, dass eine ortsansässige Künstlerin sie gemalt hat, die sich auch freuen würde, wenn man sie einmal in ihrem Atelier besucht.

Das haben wir an einem der nächsten verregneten Tage dann auch getan. Eine freundliche, alte Dame mit weißen Haaren, glitzernden Augen und einem Lächeln im Gesicht öffnete und und ließ uns dann auch in ihre Wohnung. Dort hingen hunderte sehr ansprechender Bilder von sehr unterschiedlicher Art – manche eher abstrakt, die durch die Zusammenstellung der Form und der Farbe auf der Leinwand kraftvoll wirkten; andere, zum Beispiel Landschaftsportraits, direkt nach der Natur gemalt; es gab kunstreich zusammengestellte Stilleben mit Pflanzen, Früchten und Tieren. Die Bilder zu betrachten und sich von der Künstlerin selbst erklären zu lassen, das war eine echte Freude!

Mit vielen der Bilder verbindet Anneliese Sack-Meixner Erinnerungen an Reisen, an Erfahrungen mit geliebten Menschen, an religiös geprägte Begegnungen oder an Auseinandersetzungen mit der Bibel. Von einigen der Bilder will sie sich nicht trennen, weil sie zu persönlich sind und ihr allein gehören sollen, aber vieles möchte sie auch verkaufen – zu sehr freundlichen Preisen…

Anneliese Sack-Meixner

Dieses Bild haben wir gekauft, es ist während einer Reise der Künstlerin nach Algerien entstanden. Es vermittelt einen Eindruck von einem Gewürzmarkt in Tunis. Mich erinnert es auch an unsere eigene Reise nach Marokko, wo wir auch solche Märkte besucht haben, die mit Farben, Düften und Geschmack die Sinne berauschen können. Jetzt hängt dieses Bild in unserem Wohnzimmer und erinnert uns mit seinen lebhaften Farben an diese schöne Begegnung an einem verregneten Tag.

Noch vor einem Jahrzehnt war Anneliese Sack-Meixner gut bekannt und stellte ihre Bilder in großen Galerien aus und wurde zum Beispiel auch eingeladen, Büroetagen und Geschäftsräume mit ihren Gemälden zu verschönern. Jetzt, sagt die Neunzigjährige, ist es eher still um mich geworden. Der Kunstmarkt sucht nach jüngeren Talenten, die älteren werden nach und nach vergessen. „Alles hat seine Zeit.“ sagt sie – mit einem gewissen Bedauern.

Aber das halbfertige Gemälde, das im Atelier neben der Küche der Künstlerin entsteht, spricht eine andere Sprache. Auch nach über tausend Werken warten noch immer Ideen und Phantasie in der Seele von Anneliese Sack-Meixner darauf, ans Licht und auf die Leinwand zu kommen.

Mit dem Finger auf der Landkarte…

Manchmal erinnere ich mich gern an frühere Zeiten, blättere in meinen alten Tagebüchern und Fotoalben; ich sehe alte Emails durch und lese mich durch archivierte Briefe… Ich habe früher viel aufgehoben.

Manchmal gehe ich mit G**gle-Maps auf Reisen durch die Vergangenheit. Ich sehe mir das Haus an, in dem ich als Kind gewohnt habe, meine erste Grundschule, die Kirche, in der ich getauft wurde und immer wieder auch das Haus, in dem ich jetzt wohne. Das Auto steht nicht auf dem Parkplatz. Wer weiß, wohin ich gerade unterwegs war, als dieses Bild aufgenommen wurde.

In Mölln steht das christliche Ferienhaus, in dem die Konfirmandenfreizeit stattfand, während der ich mich entschieden habe, Christ zu sein, direkt neben dem See, an dessen Ufer ich zwei Jahre später aus Liebeskummer geweint habe.

Nach Irland haben wir unsere Hochzeitsreise gemacht, meine Frau und ich. Das Hotel im Süden Irlands gibt es auch heute noch. Es besteht in einer alten Farm, die Gäste wohnen in einem umgebauten Schweinestall und im Speisesaal standen früher Pferde…

Ich betrachte das Studentenwohnheim in Tübingen, in dem ich drei aufregende Semester verbracht habe, und das Hotel in Rhodos, in dem wir seit fünfzehn Jahren immer wieder zu Gast waren…

Euch interessiert es vermutlich wenig, aber mir rufen diese „Satellitenbilder“ Erinnerungen hervor, sie wecken Gefühle und manchmal auch Herzklopfen und Bauchkribbeln… Schöne Zeiten und gute Gedanken…

Es macht Spaß, so in die Vergangenheit einzutauchen, und irgendwann werde ich auch die Urlaubsorte meiner Zukunft in den Bildern von Street view suchen… Warum auch nicht?

Einmal im Jahr…

…kommt ein Handwerker von unserer Heizungsfirma vorbei und überprüft die Anlage, die Fußbodenheizung und die Luft/Wärmepumpe draußen auf dem Dach. Er füllt Wasser nach, guckt, ob noch alles dicht ist und ob die elektronische Steuerung optimal eingestellt ist.

Dieses Jahr sind es sogar zwei – der Meister hat einen Lehrling mitgebracht. Und während da geschraubt und gemessen wird, sitze ich in meinem Büro und denke darüber nach, wie gut es mir geht: ich muss nicht frieren, habe ein Dach über dem Kopf, werde jeden Tag satt und lebe größtenteils ohne Angst…

Ich erinnere mich an die Zeit vor fünfzig Jahren, als ich täglich Kohlen aus dem Keller geholt habe, damit meine Oma den Ofen anheizen konnte. Der Ofen in der guten Stube wurde sorgfältig mit Papier und Holz gefüttert, und dann immer wieder eine Schippe Steinkohle dazu… Die heiße Luft rumpelte fauchend durch das Ofenrohr in den Kamin, es wurde gemütlich warm. Und ich erinnere mich auch an diesen ganz besonderen Geruch, nach verbranntem Holz, Kohlenstaub und heißem Metall…

Wenn wir Badetag hatten, wurde im Badezimmer der schmale hohe Badeofen angeheizt; es dauerte fast zwei Stunden, bis das Wasser in dem Boiler richtig heiß war. Der Inhalt reichte dann gerade für eine Wanne voll mit warmen, duftenden Schaumbad, in dem alle Kinder, wir drei, zusammen planschen konnten. Das war ein Höhepunkt in der Woche, denn an den anderen Tagen gab es nur kalte Wäsche mit dem Waschlappen und der Kernseife…

Nach dem Umzug hatten wir eine Wohnung, die mit Erdgas beheizt wurde. Dafür gab es eine Therme im Badezimmer, in der dauernd eine kleineblaue Zündflamme brannte, ein ewiges Licht, fast wie in der Kirche. Immer, wenn jemand den heißen Wasserhahn aufdrehte, gab es ein bellendes Geräusch, „WUFF“, und dann brannte eine ganze Reihe hellblauer Flammen, leuchtend nebeneinander wie Zähne in einem Mund. Manchmal hat mich dieses „Wuff“ mitten in der Nacht geweckt, denn die Therme wärmte auch die Heizkörper in der Wohnung und ging manchmal ohne Vorwarnung los…

Heute höre ich manchmal die Wärmepumpe auf dem Dach surren, ähnlich wie die Lüfter im meinem Computer. Ich habe mir erklären lassen, dass sie ungefähr so funktioniert wie ein Kühlschrank, nur dass es hier auf die Wärme ankommt, die in der Wohnung bleibt, während die Kälte draußen aus dem Kasten aus dem Dach geblasen wird. Die Wärme wird nicht „erzeugt“, sondern von draußen nach drinnen „gepumpt“, darum heißt das Ding ja auch Wärmepumpe.

Sie ist energiesparend und umweltfreundlich, und außerdem billiger als eine Zentralheizung mit Erdöl, wie die Nachbarn sie haben.

In den sechs Kirchen meiner Gemeinden haben wir ganz unterschiedliche Heizungssysteme, manchmal elektrisch, manchmal mit Gas, eine Kirche kann gar nicht geheizt werden… Auch da geht jedes Jahr ein Handwerker nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Zum Glück sind da gerade keine großen Probleme zu erwarten. Renoviert werden muss auch so genug…

Ich glaube, hier in der Wohnung sind die Techniker gleich fertig, ich gehe noch einmal Kaffee machen, um sie zu verabschieden….