In diesem Jahr können wir das dreißigste Jubiläum des Mauerfalls feiern. Die „alt-eingesessenen“ Gemeindeglieder können sich noch an diese aufregende Zeit erinnern, als der Grenzübergang im Norden Schönefelds geöffnet wurde und man voller Staunen und auch ein bisschen ängstlich diesen so lange ersehnten Weg begehen konnte – hinüber nach Rudow und von dort nach Schönefeld, Großziethen, Waßmannsdorf und die anderen kleinen Orte rund um den Flughafen.
In diesem Jahr wollen wir – die Kirchengemeinden in Großziethen und Schönefeld und die Kirchengemeinde in Rudow – am Himmelfahrtstag einen Gottesdienst feiern, draußen unter freiem Himmel, in der Nähe des ehemaligen Kontrollpostens. Wir wollen Gott danken dafür, dass diese Grenze, die Familien zerrissen und Freunde getrennt hat, die so viele Tränen gesehen hat und an der auch Menschen gestorben sind, nicht mehr existiert, dass es möglich war, ohne Gewalt und Blutvergießen die deutsche Einheit wieder zu erreichen.
Politische Ereignisse wie dieses sind immer zwiespältig zu bewerten, vor allem im Rückblick sehen wir auch Vieles, was hätte besser laufen können. Die Grundstücksreform, die Abwicklungen der volkseigenen Betriebe durch die Treuhand, der wachsende Einfluss der Großstadt in das Gebiet der kleinen Dörfer hinein – so manches wurde von den Menschen hier misstrauisch beobachtet oder auch mit Vehemenz abgelehnt. Der Versuch, Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland zu vereinen, scheiterte – nicht ohne Grund.
Was man in den Monaten nach dem Mauerfall noch froh und dankbar als „Wunder“ bezeichnet hat, zeigte sich im Laufe der Jahre in seiner Ambivalenz, und nicht wenige haben sich sogar alte Zeiten zurück gewünscht – die Erinnerung hat für viele die schlimmen Erfahrungen von Kontrolle und Unterdrückung durch die Staatsmacht gelöscht.
War hier die Hand Gottes am Werk? War die Wiedervereinigung ein Wunder? Oder war es doch nur menschengemachte, fragwürdige und trotzdem dankbar zu feiernde Folge des gemeinsamen politischen Willens und der gemeinsamen Anstrengung der Menschen in Ost und West?
Viel könnte man darüber streiten, aber vielleicht ist auch die Frage einfach falsch gestellt. In der Geschichte des Volkes Israel sehen wird, dass Gott mit seinen Auserwählten durch gute und durch schwere Zeiten geht und die historischen Umwälzungen gemeinsam mit ihnen aushält. Zu Moses sagt er: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ – und die Auslegerinnen und Ausleger auf jüdischer wie auf christlicher Seite verstehen diesen Namen Gottes als ein Zeichen seines bleibenden Da-Seins, seiner Gegenwart, die keine Bedingungen stellt und keine Grenzen kennt.
„Es ist keiner wie du, und ist kein Gott außer Dir!“ bekennt auch der König David, der in seiner Regierungszeit durch viele Höhen und Tiefen gegangen ist und der in 2. Buch Samuel, wo seiner Geschichte erzählt wird, erstaunlich realistisch und wenig geschönt beschrieben wird. Sein Loblied war oft genug ein „zerbrochenes Halleluja“ und ist doch niemals ganz verstummt.
Auch Christus stimmt in die Worte Gottes ein, wenn er sagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Durch die Leidenszeit hindurch, trotz und gerade wegen seines Todes am Kreuz bleibt er uns Menschen verbunden, und die Auferstehung Christi, seine Himmelfahrt und das Pfingstfest sind Zeichen der beständigen Treue des lebensspendenden Gottes.
Man mag die Maueröffnung als ein glückliches Wunder sehen oder auch als Beginn der schwierigen Zeit der wachsenden Einheit – deutlich aber ist in jedem Fall, dass Gott mit uns durch dieses besondere Kapitel unserer Geschichte geht und uns auf unserem Weg behütet und segnet.
Unterschiedliche politische Einstellungen sollten darum gerade unter Christen nicht ein Grund für hasserfüllte Diskussionen sein und schon gar nicht ein Grund, Autoreifen aufzuschlitzen, Fenster einzuwerfen oder Internetbotschaften mit Todesdrohungen zu senden. „Freundliche Reden sind Honigseim, süß für die Seele und heilsam für die Glieder.“ heißt es im Buch der Sprüche Salomos. Heilsame Worte sind besonders solche, die unterschiedliche Meinungen nicht vertuschen und Probleme klar benennen – und dennoch die Gemeinschaft nicht in Frage stellen. Nur so kann zusammen wachsen, was zusammen gehört.