Kindheitserinnerungen! Wenn auf einer Party mal der Gesprächsstoff auszugehen droht, ist das ein sicheres Mittel, die Leute wieder zum Reden zu bringen: Erzähl doch mal, wie war das früher…
Hitparade: Gehörte einfach dazu. Einmal die Woche versammelte sich die ganze Familie vor dem Fernseher, um dem Schnellquassler Dieter Thomas Heck zuzuhören und die geradezu verbrecherisch schlechte Musik zu hören, die er ankündigte. In der Schule hätte man das nie zugegeben, damals; aber noch heute kann man die Texte auswendig und könnte sie auf Kommando singen, sollte man mal nachts um halb drei geweckt werden…
Vom „Lied der Schlümpfe“ bis „ANITA!“, von „Der Junge mit der Mundharmonika“ bis „Tränen lügen nicht“, von „Karamba, Karacho, ein Whiskey“ bis „Eine Mark für Charley“ ist alles noch da und ich gewinne damit jeden Karaokewettbewerb…
Heute ist Dieter Thomas Heck übrigens achtzig Jahre alt geworden. Und auch, wenn er das hier wohl nicht lesen wird – Danke, alter Knabe! Du hast meine Kindheit musikalisch gemacht…
Poesiealbum: Hatten damals wohl nur die Mädchen. Aber die Jungs mussten immer was reinschreiben. Da war man froh, dass ein nettes Mädchen sich für einen interessierte, man lief herum wie ein glückliches Honigkuchenpferd und verlor wegen der frühpubertären Hormonschwankungen Herz und Verstand, man wollte beeindrucken und imponieren und dann kam SIE und wollte, das man was in ihr Poesiealbum schreibt…
Man war ja kein Denker mit fünfzehn und Dichter noch viel weniger, und darum blieb es meist bei „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken…“ und vielen bunt gemalten Herzchen. Meist war die junge Liebe nach ein paar Wochen dann schon wieder vorbei.
Mein Poesiealbumgedicht, das ich bei meinen Freundinnen ins Album schrieb, war in der Regel dies: In nur vier Zeilen was zu sagen / erscheint zwar leicht, doch ist es schwer. / Man braucht ja nur mal nach zu schlagen / die meisten Dichter brauchen mehr…
Erst später hab ich bei Ernst Jandl, Kurt Marti, Rose Ausländer und anderen gelernt, dass sich ein modernes Gedicht nicht unbedingt reimen muss, und da fing ich dann an, auch eigene Gedichte zu verfassen.
Aber das ist eine andere Geschichte, und die soll an einem anderen Ort erzählt werden.
Tagebücher: Oh ja! Ich hab ein gefühltes Dutzend mal angefangen, Tagebuch zu schreiben. Jedesmal, wenn ich in der Stadtbücherei auf das Tagebuch eines halbwegs berühmten Menschen stieß, war ich begeistert. Luise Rinser, Hermann Hesse, Thomas Mann und noch einige andere, die ich längst wieder vergessen habe – welche Tiefe der Gedanken, welcher Reichtum des Empfindens, welcher Sinn für Kultur und welch Bewunderung für Schönheit sprach aus diesen Zeilen zu mir! Und dann dachte ich immer – das kannst Du doch selbst auch!
Dann fing ich an, zu schreiben: „Liebes Tagebuch! Heute ist eigentlich nichts besonderes passiert. Am Nachmittag war ich bei Oma, das war schön. Ich hab ein Glas Eierlikör bekommen, und jetzt bin ich müde. Bis morgen.“ In dieser Art ging es ungefähr zwei Wochen lang weiter, in keinem meiner Tagebücher sind mehr als die ersten fünf Seiten vollgeschrieben.
Ich glaube nicht, dass ich einer Veröffentlichung dieser Zeilen zugestimmt hätte.
Aber mein erstes Blog (das es inzwischen nicht mehr gibt) hieß „Pfarrers Tagebuch“.
…und mehr von früher…: Der eigentliche Grund für diesen Blogeintrag ist, dass ich Euch auf ein Podcast aufmerksam machen wollte, in dem erwachsene Menschen Dinge vorlesen, die sie als Kinder geschrieben haben. Das Podcast heißt darum auch: „Erwachsene lesen Dinge, die sie als Kinder geschrieben haben.“ Leider ist es in englischer Sprache; aber – hey – was die Kinder mit vierzehn oder fünfzehn Jahren geschrieben haben, das versteht man doch als Erwachsener auch ohne Oxford Certificate…
Viel Spaß damit!