Jeder weiß – theoretisch zumindest – dass manche Christinnen und Christen zwischen Aschermittwoch und Ostern fasten. Sie verzichten sieben Wochen lang „um Gottes Willen“ auf Dinge, die sie in den anderen Wochen des Jahres genießen – sie leben vegetarisch oder sogar vegan, verzichten auf Alkohol oder Süßigkeiten, sehen weniger oder gar nicht fern oder nehmen sich etwas ganz anderes vor, um die Fastenzeit zu einer Erfahrung zu machen, die ihnen den Glauben an Gott bedeutsamer und wichtiger macht.
Auch die Adventszeit vor dem Weihnachtsfest ist eigentlich eine Fastenzeit – die ganzen Süßigkeiten, die wir im Advent essen, sind ursprünglich ein Ausgleich gewesen für die nahrhaften, fetten Speisen, auf die die Mönche im Kloster während dieser Zeit verzichteten. In den ungeheizten Zellen war es aber im Winter so kalt, dass sie auf eine andere Art die nötige Energie zu sich nehmen mussten, und da half der Zucker in dem Pfefferkuchen, dem Marzipan, den Spekulatiuskeksen und den anderen Leckereien…
Was aber kaum jemand weiß: Auch die sieben Wochen nach Ostern, zwischen der Osternacht und dem Pfingstfest, sind eine traditionell besonders geprägte Zeit. Die „österliche Freudenzeit“ hat eine besondere Liturgie, in der das „Halleluja“ und das „Christ ist erstanden!“ im Gottesdienst eine hervorragende Stellung einnimmt. Nachdem man in der Fastenzeit auf so vieles verzichtet hat, strahlt und leuchtet die Kirche jetzt ganz besonders schön, die Orgel jubelt und singt, und die Dichter, die vor Wochen noch den „Schmerzensmann“ besungen haben, preisen jetzt den „Sieger, der den Tod überwunden“ und „die Schlüssel zu den Toren der Hölle erobert“ hat.
Wie die Sonntage der Fastenzeit haben auch die Sonntage der Osterzeit ihre lateinischen Namen im Kalender des Kirchenjahres. Sie orientieren sich an den Wechselgesängen zwischen Pfarrer und Gemeinde, die am Beginn der Liturgie vor dem Psalmengebet gesungen werden. An ihnen und an der dazu passenden Evangeliumslesung orientiert sich die Predigt und alles, was sonst noch im Gottesdienst stattfindet.
Die österliche Freudenzeit beginnt mit dem
Sonntag Quasimodo geniti (Wie die neugeborenen Kinder)
An diesem Tag wurden früher viele Kinder und oft auch Erwachsene getauft, denn in der Fastenzeit fanden solch fröhliche Feiern nicht statt. Sie mussten bis nach Ostern warten. Die Taufe wurde als ein Sterben und Neu-Geboren-Werden verstanden. Noch Luther schrieb: „So wird denn der alte Adam, der sündige Mensch, im Wasser der Taufe ersäuft; und es kriecht aus der Taufe hervor ein neuer Mensch, neu geboren nach dem Willen Gottes.“ Was an Christus geschehen ist, geschieht auch an den Menschen, die sich zum Glauben an ihn bekennen.
Wie neugeborene Kinder, als ganz junge Christenmenschen, werden die Neugetauften in der Gemeinde feierlich und jubelnd begrüßt. Die Kinder werden in einem ganz gewissen Sinn als Vorbilder für die Gemeinde gesehen; auch Jesus selbst ermahnte ja seine Jünger: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Reich Gottes kommen.“ Die Kinder mit ihrem Verlangen nach der „reinen Milch der guten Botschaft Gottes“ werden als ein Beispiel beschrieben, wie die ganze Gemeinde sich um die Lehre, die Predigt, das verbindende Glaubensbekenntnis versammelt.
Es folgt der
Sonntag Misericordias Domini (Barmherzigkeit des Herrn)
An diesem Tag denkt die Gemeinde an Jesus, der gesagt hat: „Ich bin der gute Hirte…“ Mit diesen Worten hat er ein ganz altes, schon vorchristliches Bild aufgenommen und auf sich selbst gewendet. Er, der der Sohn Gottes ist, leitet und führt seine Gemeinde, so wie ein Hirte seine Schafherde zum frischen Wasser und auf die grünen Weiden führt. Als Hirte, der seine Schafe liebt, ist er auch bereit, sein Leben für sie zu lassen. Hier steht im Hintergrund nicht das romantisch-schön verklärte Bild des Hirten, der mit seinem Stab und seinen Hunden die Herde durch Schwarzwaldtäler führt, sondern die Erinnerung an die kampfbereiten Halbnomaden, die am Rand der Wüste Schafe und Ziegen bewachen, sie gegen wilde Tiere und räuberische Banden verteidigen und im Extremfall auch Verletzungen und sogar den Tod erleiden.
Auch die „Hirten der Gemeinde“ selbst, also Pastorinnen und Pastoren, sind manchmal Thema in diesem Gottesdienst, denn sie müssen sich genau so vor Gott verantworten wie Regierende und andere Menschen in Leitungsämtern. Hinter ihnen allen steht Gott, der der oberste Hirte ist und jeden über sein Tun zur Rechenschaft ziehen wird.
Der dritte Sonntag nach Ostern ist der
Sonntag Jubilate (Jubelt!)
Die Gemeinde feiert im Gottesdienst an diesem Tag, dass Gott durch das, was an Ostern geschehen ist, einen neuen Anfang machte. Wie in der Schöpfung am Anfang der Zeit ist der Mensch neu war, so ist er auch durch die Auferstehung neu geworden, verändert, verwandelt. Gott hat von sich aus die Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf neu bekräftigt. Er hat das Leben wiedergebracht. Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Durch die Auferstehung ist das Alte vergangen – es ist alles neu geworden.
Das Bild vom Weinstock und den Reben steht dafür, dass die Menschen ohne Gott nichts tun können, das bleibende Kraft hat für Zeit und Ewigkeit. Er selbst ist der Weinstock, der uns „zuströmt Kraft und Lebenssaft.“ Es ist diese Kraft Gottes, die die Gemeinde in einem Glauben eint und mit Gott verbindet.
Die Halbzeit der österlichen Freudenzeit bildet der
Sonntag Kantate (Singet!)
„Wer singt, betet doppelt…“ Dieser Überzeugung soll schon der Kirchenlehrer Augustinus gewesen sein, der im vierten Jahrhundert nach Christus lebte. Schon immer hat Musik und Gesang im Gottesdienst eine große Rolle gespielt, Melodien und Rhythmus öffnen ja Türen in den menschlichen Geist und in die fühlende Seele hinein, die Worte allein so nur selten finden.
Im Gesang vereinen viele Christinnen und Christen ihre Stimmen zu einem einzigen Lobpreis des ewigen Gottes. „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder!“ Der Dank und die Freude über den auferstandenen Christus bricht sich in diesem Gottesdienst Bahn und nimmt den Jubelauf, der im Gottesdienst der vergangenen Woche begann.
Die fünfte Woche beginnt mit dem
Sonntag Rogate (Betet!)
Auch, wer nicht singt, betet, wem das Singen und das Sprechen vergangen ist, ruft trotzdem zu Gott – das Gebet kennt viele unterschiedliche Formen. Alles, was Menschen in schönen, freudigen und erhebenden Erfahrungen fühlen, kann seinen Weg in ihr Gebet finden. Genau so aber auch Not und Schmerz, Angst und Verzweiflung. Zwischen jubelndem Lobpreis und zornigem Klageruf bewegt sich das Gebet – nichts Menschliches ist ihm fremd.
Der Sonntag Rogate kann darum sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben, aber es geht immer um die Nähe des glaubenden Menschen zu Gott, der in guten wie in schweren Zeiten den Kontakt nicht abbricht. Der Geist Gottes selbst wohnt im Herzen der Beter und vertritt uns auch da noch „mit unaussprechlichen Worten“, wo wir selbst nicht mehr wissen, wie wir beten können.
Und der letzte Sonntag vor Pfingsten hat den Namen
Sonntag Exaudi (Erhöre mich, Gott!)
In der Erwartung, dass Gott seinen Heiligen Geist sendet, blickt die Gemeinde an diesem Sonntag zurück auf die großen Taten, die Gott getan hat. So, wie er sie bewahrt und behütet, getröstet und geführt hat, wird es es weiter tun, auch wenn nach dem Pfingsttag die österliche Freudenzeit beendet ist. In gewisser Weise ist ja jeder Sonntag ein kleines Osterfest, ein Gedenken an die Auferstehung und das neue Leben, das von Gott kommt.
Der Geist ist Gottes Trost, Gottes Liebe, Gottes Barmherzigkeit: Wer ihn anruft, der wird gehört. Durch ihn erkennen die Glaubenden die vielen Dimensionen des Handelns Gottes in der Welt…