So fangen die großen Geschichten an: jemand klopft an die Tür, erzählt von einem verborgenen Schatz, von einer entführten Prinzessin, von einer anderen großen, herausfordernden Aufgabe, und ein paar Tage später macht sich ein unerfahrener, kleiner Held auf die Reise, ein junger Ritter, ein noch furchtsamer Krieger, ein zögernder Entdecker oder auch nur ein Hobbit, um Drachen zu jagen, Piraten zu überlisten oder böse Zauberer zu bekämpfen.
Meistens eher widerwillig verlassen sie ihre Höhle, ihre Unterkunft, ihre Burg, in der sie sich sicher gefühlt haben, und machen sich auf den Weg in die ferne Fremde, wo Unerwartetes auf sie wartet, Dinge, auf die sie sich nicht vorbereitet haben… Wie Pilger sind sie auf dem Weg, gezogen von etwas, das größer ist als sie selbst. Dessen Macht können sie sich nicht entziehen, auch wenn sie im Anfang noch nicht genau wissen, was sie da antreibt.
Erst während der Reise entwickeln sie sich, zeigen ihre verborgenen Talente, ihren Mut und ihr Geschick. In der Not und oft unter Schmerzen entfalten sie ihr Potential und werden so zu den Menschen, die sie eigentlich schon immer waren. Erst im Widerstand wächst die eigene Kraft. In der Konfrontation mit dem Unbekannten wächst Wissen und Verständnis…
Die Straße gleitet fort und fort
Weg von der Tür, wo sie begann
Weit überland, von Ort zu Ort
Ich folge ihr, so gut ich kann…
J.R.R. Tolkien
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„Geh!“ – Abraham, den Juden wie Muslims als Stammvater ehren, fühlte sich von Gott angesprochen. Der Geist des Ewigen klopfte an seine Tür: Geh! Verlasse, was Du hast, was die vertraut ist, was dich dein ganzes Leben lang umgeben hat. Verlasse deine Gewohnheiten, die festen Mauern, die dich schützen, die dich aber auch einengen und beschränken. Ich suche jemanden für ein Abenteuer. Bist Du es?
„Geh aus deinem Vaterhaus in ein Land, das ich dir zeigen werde…“ Du wirst dort fremd sein. Du wirst dort deinen Platz behaupten müssen. Unbekannt und neu ist dir dort das Licht und die Nacht, der Geruch des Windes und das Flimmern des Grases auf dem Feld. Die Geräusche der Nacht, der Glanz der Sterne, der Gesang der Vögel und die Wege der Tiere im Dickicht kennst Du noch nicht. Ich suche jemanden für ein Abenteuer. Bist Du es?
„Geh!“ – Habe den Mut, alte Konzepte noch ein mal zu überdenken. Trau dich, noch einmal neue Lösungen für alte Probleme zu finden. Suche die Freiheit, auch wenn das bedeutet, ins Ungewisse hinaus zu gehen und die eingefahrenen Wege zu verlassen. Ich suche jemanden für ein Abenteuer. Bist Du es?
Mach dich auf und geh! Ich werde bei dir sein, denn ich bin der Gott, der mit geht…
Das Aug, das Feuer sah und Schwert,
Gefahr und Greuel ohne End,
Nun schaut es wieder, heimgekehrt,
Baum, Bach und Hügel, die es kennt.
J.R.R. Tolkien
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Enden gute Geschichten so?
Nach vielen tausend Seiten im Buch lese ich, wie mein Held verändert zurückkehrt, verwundet durch Stich, Zahn und eine schwere Bürde, die er viel zu lange tragen musste… Aber er ist jetzt reicher an Erfahrung (und vielleicht auch an Geld und Gold), gewissermaßen erwachsen geworden, reif, vielleicht sogar in einem gewissen Sinn „erleuchtet“. Er kommt zurück in die Heimat (oder er findet eine neue Heimat in einer Fremde, die zu ihm passt…), aber er selbst ist nicht mehr Derselbe, der er einst war. Die Scherben des sehr zerbrechlichen Lebens glitzern im Licht, aber „alle Pferde des Königs und all seine Männer“ können sie nicht wieder zusammen setzen.
Selbst, wenn man doch wieder heil und ganz und gesund wird und viele Jahre lebt mit der Erfahrung und dem Wissen, das man sich erarbeitet hat, mit dem Erfolg, den man verdient hat – am Ende bricht man wieder auf, denn da sind noch andere Schätze, nach denen man gräbt, andere Ringe, die man tragen wird, vielleicht sogar andere Drachen, mit denen man sich messen muss…
Daheim verblasst, die Welt rückt nah,
Mit vielen Pfaden liegt sie da
Und lockt durch Schatten, Trug und Nacht,
Bis endlich Stern um Stern erwacht.
Dann wiederum verblasst die Welt –
Daheim! Wie mir das Wort gefällt…
J.R.R. Tolkien
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Das Abenteuer ist nicht vorbei. Die Geschichten des wahren Lebens haben kein wirkliches Ende. Meist muss man Dinge halbfertig zurücklassen, weitergeben an andere, die dort weiter arbeiten, wo man selbst an Grenzen gestoßen ist. In der „Unendlichen Geschichte“ heißt es dann: Dies ist aber eine andere Geschichte, und sie soll ein anderes Mal erzählt werden…
Wer seinen Kinderglauben verloren hat, wer sich aufgemacht hat aus dem Haus des Vaters, sucht immer weiter nach einem Ort, den er „Daheim“ nennen kann, wo Brot und Wurst auf dem Tisch steht und wo man dann zu Bett geht… „Wir haben hier keine bleibende Stadt; die Zukünftige suchen wir…“ heißt es schon in der Bibel, im Brief an die Hebräer. Denn auch ein erwachsener Glaube ist immer noch ein Vertrauen auf Gott, dem man ein Wunder zutraut…
Die Straße gleitet fort und fort,
weg von der Tür, wo sie begann,
doch um die Ecke kommt’s mir vor,
da führt noch ein geheimes Tor
zu Pfaden, die wir nie gesehn,
es kommt der Tag, da muss ich gehn
und unbekannte Wege ziehn,
wohl Mond vorbei und Sonnen hin…
J.R.R. Tolkien
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Die Wunden, die man erleidet, heilen nie wirklich. Wenn es gut geht, kann man damit eine Weile leben. Aber je älter ich werde, desto mehr wird mir die Vorläufigkeit alles Irdischen bewusst. Der letzte Weg, das letzte Abenteuer führt aus dieser Welt hinaus, in das „unentdeckte Land“, von dem schon Shakespeare dichtete.
Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –
Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet…
(…)
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,
Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Shakespeare, Hamlet, 3. Akt, 1.Szene
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Ich suche jemanden für ein Abenteuer. Wie in jeder großen Geschichte ist der Weg selbst das Ziel. Als Pilger ist man nicht unterwegs, um am Ende in irgendeiner Kirche den „Jakob“ zu umarmen. Der Weg selbst ist Gebet und Glaubensbekenntnis, ist Lobgesang und Anbetung, ist Taufe und Kommunion, ist Gottesdienst im wörtlichen Sinn. Wir sind Pilger – das ist wahr…