My very fractal life…

„Wir bestehen alle nur aus buntscheckigen Fetzen , die so locker und lose aneinanderhängen, dass jeder von ihnen jeden Augenblick flattert, wie er will; daher gibt es ebenso viele Unterschiede zwischen uns und uns selbst wie zwischen uns und den anderen.“

michel de montaigne

„der höchste grad an spannung, den eine person oder kultur aushalten kann, ist meiner meinung nach der wichtigste und produktivste psychische zustand eines individuums in der menschlichen kultur.“

thomas berry



die vielen stimmen in mir, wie kann ich sie leben, alle, ohne dass mich die gegensätze zerreissen?

m.l.

Ach, Gott, du weißt schon…

Warum ich bete, ist schwierig zu erklären. Jemand, der selbst auch gläubig ist, wird auch selbst beten und wird selbst wissen, warum er das tut. Jemandem, der nicht an Gott glaubt, wird schwer klar zu machen sein, warum ein Gebet etwas anderes ist als ängstliches Pfeifen im Dunklen oder ein Gespräch mit dem unsichtbaren Phantasiefreund in der Kinderzeit.

Als erwachsener Mensch mit einer modernen, auch in den Naturwissenschaften geübten Bildung fällt es mir nicht ein, in meinen Gebeten ganz einfach Bitten um ein übernatürliches Eingreifen Gottes auszusprechen, so wie ich es als Kind eine Zeit lang ziemlich selbstverständlich getan habe: Wenn ich einen Schlüssel verloren habe, wenn ich mir eine gute Note in einer Prüfung gewünscht habe, wenn ich Zahnschmerzen habe – dann habe ich gebetet. Es steht doch schon in der Bibel: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich hören, und du sollst mir danken!“ Mir fällt aber oft nicht mehr ein als innerlich zu seufzen: „Ach Gott… Du weißt schon!“

Auch viele erwachsene Christenmenschen beten so, und wenn ich mir die Gebete in den liturgischen Büchern der Kirchen in Deutschland ansehe, ist es auch in den gemeinsamen Gebeten im Gottesdienst nicht anders. Um Frieden in der Welt wird da gebetet, um genügend Nahrung für alle Menschen, um Gesundheit und Glück für die Menschen in der Gemeinde und um ein glaubwürdiges und wahr-nehmbares Anteilnehmen der Kirche an den Aufgaben der Gesell-schaft. Wir beten um Schutz für unsere Kinder, um Bewahrung während einer Reise, um Erfolg bei unserer Arbeit und um einen sanften und schmerzfreien Tod für die, denen nichts anderes mehr helfen kann.

Wer aber ernsthaft so betet, der glaubt auch, dass Gott in den Alltag der Glaubenden eingreift, sozusagen Schutzengel schickt, die Unfälle verhindern und Viren unwirksam machen; wer betet, der glaubt, dass Gott Generälen, Politikern und Wirtschaftsbossen neue Gedanken und Ziele in die Köpfe pflanzt, damit sie das Wohl der Umwelt und der Völker über ihren Egoismus stellen… Wer ernsthaft so betet, der erwartet Wunder.

Wenn ich nicht mehr an diese Art Wunder glauben kann, kann ich dann auch nicht mehr beten? Wenn ich das Gefühl habe, dass Gott ganz weit weg oder sogar unerreichbar für mich ist, wer hört dann mein Gebet? Wenn ich glaube, dass die Welt nach mathemathischen und physikalischen Gesetzen funktioniert und selbst Gott diese Regeln nicht bricht, weil jemand betet – welchen Sinn hätte das Gebet dann noch? Wenn ich erfahre, dass mein Gebet unerhört und wirkungslos bleibt, habe ich dann nur nicht ausdauernd genug, nicht kräftig und energisch genug gebetet? Hat es mir an dem wahren Glauben gefehlt?

Im Lukas-Evangelium wird erzählt, dass die Jünger Jesus fragten, wie man denn „richtig“ beten solle. Jesus antwortete ihnen, dass das Gebet nicht eine Art Schauspiel sein soll, eine Performance, mit der wir andere Menschen beeindrucken wollen. Gott hört uns nicht besser, wenn wir viele Worte machen; und wir sollen unser Gebet nicht missbrauchen, um Frömmigkeit zu demonstrieren und unsere Glaubenskraft anderen vor Augen zu stellen. Wer so betet, sagt Jesus, der hat seinen Lohn schon dahin.

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Als Beispiel für ein richtiges und angemessenes Gebet gibt Jesus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern das „Vater unser“. So sollt ihr beten, nicht mit vielen Worten, nicht gierig oder selbstgerecht, sondern glaubend und vertrauend, weil ihr wisst, dass ihr in Gottes Händen seid und von Seiner Gnade lebt:

Der Anfang des Gebets setzt eine tiefe, vertraute Beziehung voraus. Jesus sagt: „Ihr dürft Gott Vater nennen!“ Gebete richten sich nicht an eine unpersönliche Macht, nicht an eine nebulöse Geistkraft, nicht an das Universum. Unser Gebet hat eine Adresse, ein egenüber, jemanden, der zu hört. Gebete sind nicht nur Meditation oder Atem-übungen. Wer betet, vertraut auf die Treue und die Liebe Gottes. Jesus ist dafür zuerst das Bild vom Vater in den Sinn gekommen; er hat wohl immer so gebetet: „Abba! Lieber Vater!“ Seine Hände haben uns geschaffen, in seinen Händen leben wir, in seine Hände kehren wir zurück. Ohne ihn sind wir nichts, aber durch ihn ist uns alles gegeben. Darauf sollen wir vertrauen, dies ist der Grund unserer Hoffnung.

Aber die Bitten, die Jesus seinen Jüngern in den Mund legt, sind nicht die diesseitsbezogenen Wünsche, die wir so oft vor Gott bringen. Die erste Bitte beginnt bei Gott und bleibt auch gleich bei Gott stehen. Dein Name werde geheiligt. Geehrt und gewürdigt sein soll der Name Gottes, nicht mißbraucht, um Menschen zu verführen oder zu manipulieren. Gott soll nicht benutzt werden, um eigene Ziele zu erreichen, auch sein Name soll nicht eigene Fehler beschönigen oder Hintergedanken vertuschen. Mit Ehrfurcht und Respekt soll der Name genannt werden.

Martin Luther schreibt zu dieser Bitte: „Der Name Gottes ist zwar in sich selbst heilig und würdig, darum bräuchte es diese Bitte eigentlich nicht; wir bitten aber, dass er auch bei uns geheiligt werde.“ Gerade im Gebet wird der Name Gottes auf die richtige Art geheiligt, nämlich darin, dass wir ihn voller Vertrauen und Glauben aussprechen. So lassen wir Gott Gott sein und richten uns nicht länger selbst den wichtigsten Platz in unserem Leben und in der Geschichte ein.

Ebenso bleibt auch die zweite Bitte ganz bei Gott. „Dein Reich komme!“ Luther schreibt dazu: Gottes Reich kommt auch ohne unser Gebet von selbst, aber wir bitten in diesem Gebet, daß es auch zu uns komme. Ohne den Namen Gottes für die eigene Einstellung zu mißbrauchen wird hier auch ein starkes politisches Statement gesetzt: Die Reiche dieser Welt vergehen, aber Gottes Reich bleibt bestehen. Die Herren dieser Welt haben ihre Zeit, aber sie wird einst Vergangenheit sein. Aber unser Herr kommt, sein Reich beginnt in unserer Mitte und wird vollendet zu seiner Zeit. Mit dieser Bitte bekennen wir unseren Glauben und erinnern uns selbst daran, daß er unsere Zukunft ist.

Genau so beschreibt Luther auch die dritte Bitte: „Dein Wille geschehe!“ Gottes Wille geschieht in dieser Welt. Wir beten aber, daß auch bei uns, bei denen, die so beten, Gottes Willen geschehen soll.

Erst jetzt, bei der vierten Bitte, nimmt Jesus die Dinge dieser Welt in den Blick. „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Hier wie nirgendwo sonst bekennen wir, dass wir abhängig sind von allem Guten, das Gott uns gibt, und dass wir es uns trotz aller Wissenschaft und mensch-lichen Weisheit nicht selbst geben können. Was wir zum Leben brauchen, ist Geschenk und Gabe Gottes.

Sonst müsste ich ja nicht bitten. Für mich selbst. Für andere. Für diese Welt. Es fehlt uns das tägliche Brot oder die liebevolle Umarmung. Es fehlt uns das Reich der Gerechtigkeit. Uns fehlt die Herrlichkeit, die Kraft. Es fehlt uns die Gewissheit, es richtig zu machen.

Beten heisst auch: Gott an mich ran lassen. Ganz nah. Mich öffnen, ihm diese Stelle in meiner Seele zeigen – dunkel wie die Tiefsee, dort, wo ich mir selbst ein Rätsel bin. Und jene andere, scharf wie ein Messer, gnadenlos gegen mich selbst und gegenüber anderen Menschen. Aber auch die: so bunt und wuchernd und lebendig, dass ich meine, sie verbergen zu müssen, zu unpassend erscheint sie. Jetzt, wo unser Außen so klein geworden ist, wird unser Innen womöglich groß und größer. Und dann hilft nichts als Beten.

Es hilft, das Unverfügbare zu denken: Die Welt ist nicht in unsrer Hand. Und auch nicht die, die wir lieben – so sehr wir uns um sie sorgen. Ich selbst bin nicht in meiner Hand. Aber da ist etwas. Vater. Mutter. Himmel. Macht hell und vergibt. Da ist etwas. Einer. Eine. JHWH. Wir atmen seinen Namen. Sein Reich komme. Sein Wille geschehe. Tag für Tag gibt er, was wir brauchen. Gott – größer als wir. Von ihm kommen wir. Zu ihm gehen wir. Er weiß, was Not tut, schon bevor wir bitten. Und manchmal: obwohl wir um Anderes bitten.

Und das geht überall. „Im stillen Kämmerlein“ sagt Jesus. Das kann das Wohnzimmer sein, die Küche, die Wäschekammer, das unaufgeräumte Kinderzimmer. Oder das Bad mit dem Spiegel, in dem ich mich selbst ganz ungeschminkt sehe. Das kann auch das Büro sein, oder die Schule. Das stille Kämmerlein kann überall sein. Welcher Ort ist Deiner, wenn du für dich sein willst? Vielleicht ist da ein guter Ort um zu beten. Vielleicht reicht es auch, irgendwo zur Ruhe zu kommen.

Wenn Wir beten, dann hört Gott zu. Im Verborgenen kann ich mit ihm reden. Da sieht mich keiner, wenn ich weinen muss, oder nicht mehr weiter weiss. Dann kann ich beten, dann muss ich nicht viele Worte machen, dann kann ich mich meinem Vater in die Arme werfen: Lieber Gott, du weisst schon.

Das ist die Berliner Luft…

Wir sehen sie nicht, wir riechen sie fast nie und meistens schmeckt sie nach nichts: die Luft, die uns umgibt wie das Wasser des Ozeans die Fische umgibt. Tatsächlich ist sie immer um uns herum, als lebten wir auf dem Grund eines die ganze Welt umspannenden, viele Kilometer hohen Luftmeeres. Und wir spüren es als Wind, wenn es sich bewegt, und wir sehen Dunst, Nebel, Wolken, wenn es nicht mehr unberührt und sauber ist, sondern die Spuren des Lebens in sich trägt.

Auch darin gleicht das Luftmeer dem Ozean: in und mit den Hauptbestandteilen, den Gasen Stickstoff und Sauerstoff und Argon, trägt es Staub, Asche, Mikroplastik, Sand und Wasser um die Welt, aber auch eine Unzahl von Mikroben, Samen und Pollen, Haare und Hautschuppen, kleinste Lebewesen und sogar Tiere, die so groß und so schwer sind wie ein Mensch.

Luft trägt Duftstoffe und Pheromone in sich, es riecht nach Diesel und Pisse und den anderen stinkenden Abfällen einer Weltstadt; Luft enthält aber auch faszinierende Gerüche von Parfum oder leckeren Speisen, den Duft der vielfältigen Blüten des Frühlings und jetzt schon die Vorfreude auf den nahen Sommer.

Luft ist warm oder kalt, schwül und feucht oder erstickend trocken, Luft ist manchmal voller Musik und Lärm, voll Kindergeschrei, Gelächter und Marktgetümmel, voll von dem Dröhnen der Motoren auf der Autobahn und dem Krach, der auf Baustellen entsteht, aber da ist auch das Summen der Bienen und das Zwitschern der Vögel, das Rauschen der Blätter an den Bäumen,  das Plätschern des Wassers im Brunnen, das Schnurren der Kater und die lieben Stimmen der Freunde.

So leicht sehen die Wolken aus, doch hier sind viele Tonnen Wasser in der Luft…

Luft lässt uns atmen, befreit die beengten Lungen und weitet das Herz, Luft lässt uns singen und in ihr schwingt sich der Geist empor. Da ist alles,  was das Leben braucht…

Jung und schön, beweglich und fit…

„Wenn Du morgens wach wirst und es tut Dir nichts weh, dann kann es sein,  dass Du tot bist.“ Das hat meine Mutter oft gesagt und dabei geschmunzelt und mit den Augen gelacht. Heute ist sie 84 Jahre alt und wohnt in einer kleinen Wohnung in einer Seniorenresidenz  Dort erlebt sie es jetzt täglich, wie der Rücken schmerzt, die Beine steif sind, wie die Schultern weh tun; kurz, wie unerbittlich das Alter sein kann. Für sie ist es normal geworden, dass morgens etwas weh tut. Alt werden ist nichts für Feiglinge, und für manche Menschen ist es eine schwere Last.

Aber meine Mutter hat auch gesagt: „Man ist so jung,  wie man sich fühlt…“ Trotz des Alters und der Schmerzen ist meine Mutter immer eine Frau geblieben, die sich gerne um andere Menschen kümmert, die gerne die Gastgeberin für Freunde und Nachbarn ist, die es liebt, Mittelpunkt einer trubeligen, fröhlichen Feier zu sein.

Ich stelle mir vor, dass es dem Paulus aus der Bibel ganz ähnlich ging, als er so langsam alt wurde. Morgens erwacht er in einer kalten Stube in einer alten, zerbrechlichen Hütte,  mühsam quält er sich aus dem Bett, streckt die Glieder, schüttelt den Kopf, versucht, sich an die Gespräche des letzten Abends zu erinnern. Er wirft sich ein paar Hände voll Wasser in sein Gesicht, trocknet sich ab, wird endlich wach und setzt sich noch vor dem Frühstück an seinen Schreibtisch.

„Denn unser äußerer Mensch verfällt…“ beginnt er zu schreiben. Ja, so ist es. Wenn Du morgens wach wirst und es tut dir nichts weh, dann kann es sein, dass du tot bist… Daran kommt niemand vorbei. Aber Paulus schreibt weiter… „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der inwendige täglich erneuert durch die Kraft Gottes, durch den Heiligen Geist. „

Halleluja! Wie wunderbar ist das: weil wir Anteil haben daran, dass Christus auferweckt wurde, werden auch wir auferweckt, erneuert am inneren Menschen; weil Jesus lebt, darum hat auch der Tod kein dauerhaftes Recht an uns. Der Leib verfällt, aber der innere Mensch wird von Tag zu Tag erneuert.

Innerlich jung zu bleiben, das heißt zum Beispiel, dass ich nicht das Interesse verliere an der Welt um mich herum. Ich ziehe mich nicht in meine Wohnung zurück, sitze vor dem Fernseher, sehe die Nachrichten und denke traurig, wie schlimm alles ist und dass ich ja doch nichts ändern kann. Wenn ich Innerlich jung bin, nehme ich Anteil, habe Hoffnung und Glauben, habe einen Traum, wie einst Martin Luther King ihn hatte, der sich nicht abfinden wollte mit dem alltäglichen Rassismus, mit der Menschenverachtung, der Gewalt und dem Hass in der Gesellschaft in seiner Zeit.

Ich habe einen Traum, sagte er in seiner berühmtesten Predigt, und dieser Traum hat ihn befeuert, angetrieben und gestärkt, dies war der Heilige Geist in seinem Leben.

Menschen, die in den Spuren Jesu gehen, erleben immer wieder, wie sie die Kraft Gottes in sich spüren. Interesse am Leben der Nachbarn, Hilfe für die Bedürftigen im Ort, Begeisterung für das Leben von Kindern und Enkeln, alles das hält jung und beweglich. Wenn auch der äußere Mensch verfällt, wird doch durch solche Energie der innere Mensch täglich erneuert.

Man ist so alt wie man sich fühlt. Wichtig sind da nicht die vielen Methoden der Selbstoptimierung, keine Fitness-Tipps und Ratschläge zur Verbesserung des täglichen Lebens. Wichtig ist das Wort Gottes: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

Lesetip für April : Gott – ein Theaterstück

Ferdinand von Schirach: Gott – ein Theaterstück

Edition Luchterhand 2020, ca. 120 Seiten.

Als Taschenbuch 11.00 Euro

Richard Gärtner, 78, ein körperlich und geistig gesunder Mann, will seit dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Er verlangt nach einem Medikament, das ihn tötet. Mediziner, Juristen, Pfarrer, Ethiker, Politiker und Teile der Gesellschaft zweifeln, ob Ärzte ihm bei seinem Suizid helfen dürfen. Die Ethikkommission diskutiert den Fall.

In der Sitzung des Ethikrates wird diskutiert über die Rechtmäßigkeit des Suizids in seinen vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen. Es geht um Tötung auf Verlangen, um passive und aktive Sterbehilfe, um eigenverantwortlichen Suizid und um assistierte Selbsttötung. Welche Rolle haben Ärzte im Prozess des Alterns und des Sterbens? Kann die Gesellschaft die Voraussetzungen für einen menschenwürdigen Tod schaffen, gibt es überhaupt die Möglichkeit, in Würde zu sterben?

Alle diese Fragen werden in diesem Theaterstück in großer Breite und Tiefe diskutiert, sehr viel Hintergrundinformationen werden ins Bewusstsein gebracht, an manchen Stellen wird die Argumentation sehr hitzig und emotional, manchmal aber auch etwas trocken und akademisch. Trotzdem wird die Frage, die am Ende bleibt, jede Leserin und jeden Leser berühren: wem gehört das Leben? Wer entscheidet über den Tod?

Der Vorhang fällt, und alle Fragen bleiben offen…

Rund um die Welt…

Mein neues Auto ist gar nicht mehr so neu… In dieser Woche werde ich die Zahl 40.000 auf dem Tacho sehen – einmal rund um die Welt bin ich mit dem Auto gefahren! Ungefähr 2.240 Liter Super-Benzin habe ich dabei verbraucht (Ich hätte gedacht, es wäre viel mehr…) und habe für den Sprit ungefähr 4.000 Euro bezahlt. Ich habe dafür mehr als 30 Tage reine Fahrzeit gebraucht, 91 Acht-Stunden-Tage, drei Monate lang habe ich im Auto gesessen. Drei Monate von den fünfzig Monaten, in denen das Auto mir und meiner Frau gehört.

Meistens war ich beruflich unterwegs, ca. 25.000 Kilometer, und ungefähr 10.000 Kilometer waren die Urlaubsreisen – Ostsee, Schwarzwald, Moselland und Rheintal. Der Rest waren private Fahrten in und rund um Berlin.

Als wir das Auto gekauft haben, hat meine Schwiegermutter einen großen Batzen Geld dazu gegeben; dafür haben wir einen Fünf-Türer gekauft, so dass wir sie trotz ihres Alters mitnehmen konnten. Inzwischen ist sie gestorben, aber jedes Mal, wenn ich mit dem kleinen Flitzer zur Arbeit fahre, denke ich an sie.

Einen heftigen Unfall habe ich auch mit dem Auto gehabt, da war es gerade erst 10 Monate alt – im Kreisverkehr bei Großziethen gab es einen Zusammenstoß – ich war einen Moment unaufmerksam, ein Punkt in Flensburg, 6.000 Euro Schaden. Seitdem ist aber bis auf ein paar kleine Kratzer nicht passiert…

Das Auto ist sehr zuverlässig und komfortabel. Ich hoffe sehr, wir fahren in den nächsten Jahren noch ein paar Mal um die Welt – idealerweise bis ich selbst in den Ruhestand gehe. Dann wird auch der kleine Flitzer seinen Dienst getan haben…

Wenn Sie zufrieden sind, erzählen Sie es weiter…

Früher klagten Pfarrer oft darüber, dass sie kaum Bestätigung oder Kritik aus ihrer Gemeinde bekommen haben.

Die Gemeindeglieder saßen in den Bankreihen der Kirche, blätterten in den Gesangbüchern, bewunderten die bunten Kirchenfenster und die Altarbilder oder träumten einfach nur vor sich hin.

Am Ausgang der Kirche bekam der Pfarrer die Hand gedrückt, man sagte „Danke“ und „schönen Tag noch…“ und ging nach Hause.

Es war egal, ob er ein paar freundliche Worte von der Kanzel gesprochen hatte oder heftig provoziert, ob er Erwartbares gesagt hatte oder Überraschendes, ob er die Predigt vom letzten Jahr „aufgewärmt“ hatte oder seine Themen aus der jüngsten Tageszeitung entnommen.

Jeden Sonntag bekam er an der Tür von den Gottesdienstbesuchern das gleiche freundliche Lächeln,  und er musste selbst mit sich selbst ausmachen, ob er wohl den richtigen Ton getroffen hatte.

Aber diese Zeiten sind vorbei. „Interessant ist ’s gewesen!“ sagen die Gemeindeglieder heutzutage, manchmal stellen sie die eine oder andere Frage, weil sie irgendetwas besonders spannend fanden oder nicht verstanden haben. „Gut war es, ich habe gerne zugehört.“

Wenn jemand so etwas sagt, freut sich der Pfarrer und setzt sich am Montag schon motiviert und begeistert an die Predigt für den Gottesdienst am nächsten Sonntag.

Sogar nach Trauerfeiern kommt es immer wieder vor, dass die Angehörigen nach dem Gottesdienst mit Tränen in den Augen – aber lächelnd – sagen: „Gut haben Sie das gemacht…“ Und dann laden Sie den Pfarrer zum Kaffee ein…

Ich freue mich ja sehr darüber, schon weil ich ziemlich oft positive Reaktionen bekomme – und trotzdem frage ich mich: Woher kommt das? Wieso glauben die Leute, jetzt alles bewerten und benoten zu müssen – und zu können…?

Ist das eine Nachwirkung des Systems Internet: „Alles gut; fünf Sterne; gerne wieder!“? Wenn man nach jeder Reise, nach jeder Fortbildung und nach jeder größeren Anschaffung seitenweise Fragebögen ausfüllen soll, in denen man gefragt wird, ob man zufrieden war und wie man den Service wohl noch verbessern könnte – ist uns das so in Fleisch und Blut übergegangen, dass jetzt auch Gottesdienste und Gemeindefeste ungefragt bewertet werden?

In der Kirche ist eine Art Qualitätskontrolle immer noch sehr selten, und Kriterien z. B. für gute Predigten sind bestimmt nötig und hilfreich.

Mir kommen dabei nur immer die Worte Luthers in den Sinn,  der gesagt hat, man solle doch den Leuten nicht nach dem Munde reden. „Fühlst du dich aber und läßt dich dünken, du habest es gewiß, und kitzelst dich mit deinen eigenen Büchlein, Lehren oder Schreiben, als habest du es sehr köstlich gemacht und trefflich gepredigt, gefällt es dir auch sehr, daß man dich vor anderen lobe, willst auch vielleicht gelobt sein, sonst würdest du trauern oder nachlassen, – bist du von der Art, Lieber, so greif dir selber an deine Ohren. Und greifst du recht, so wirst du finden ein schön Paar großer, langer, rauher Eselsohren. So wende vollends die Kosten dran und schmücke sie mit güldnen Schellen, auf daß, wo du gehst, man dich hören könnte, mit Fingern auf dich weisen und sagen: Seht, seht, da geht das feine Tier, das so köstliche Bücher schreiben und trefflich wohl predigen kann.“

Sicher kann man heute nicht mehr so predigen, wie Luther es getan hat, aber dieser Rat bleibt weiter gültig und ich will ihn befolgen: um den Glauben an Christus und um die gute Botschaft von der Liebe Gottes soll es gehen – nicht um den Gedankenkitzel und die intellektuelle oder emotionale Befriedigung der Gemeinde, um die Befreiung zu einem Leben aus dem Vertrauen zu Gott und nicht um den Respekt oder die Ehrerbietung gegenüber den Predigenden. Denn wenn man den Leuten nur sagt, was sie hören wollen, wird man nichts in Bewegung setzen…

Der zusätzliche Tag…

29. Februar. 2024. Schalttag. Donnerstag. Gerade habe ich eine Stunde in der Sonne auf dem Balkon gesessen und gelesen. Meine Frau liest zur Zeit Bücher von japanischen Schriftstellerinnen aus dem elften Jahrhundert und ist davon so begeistert, dass ich auch einmal hinein schauen wollte. Aber – entweder ist es die Literatur oder die Sonne  – ich wurde müde und bin jetzt wieder im Wohnzimmer…

Ein ziemlich verpröpelter Tag. Heute Abend ist noch GKR-Sitzung. Ich brauche unbedingt Kaffee.

Ich habe jetzt in meinen alten Kalendern geschaut, was ich eigentlich an den letzten Schalttagen so gemacht habe.

29.2.2020: Ein Samstag. In der Kirchengemeinde trifft sich eine kleine Gruppe, um gemeinsam zu kochen. Fleisch, Gemüse, Gewürze und Getränke wurden schon im voraus eingekauft, jetzt teilen wir uns auf und bereiten die vier Gänge eines Festmahls vor: Tortilla, Tapas, Paella, Kuchen, Kaffee und Süßigkeiten nach spanischem Rezept. Wir haben alle viel Spaß und es schmeckt wunderbar.

29.2.2016: Ein Montag. Ich bin allein zu Hause und nutze die Zeit, mein Büro aufzuräumen. Zwischendurch war ich im Supermarkt einkaufen. Die Fastenzeit beginnt und ich bin hungrig. Lustlos und genervt. Nachmittags habe ich entweder gelesen oder trotz der guten Vorsätze am Computer gedaddelt. Damals habe ich noch mit Begeisterung „Homeworld“ gespielt – man steuert ein paar Dutzend Raumschiffe durch die Galaxis und sucht die Heimatwelt…

29.2.2012: Ein Mittwoch. Am Nachmittag habe ich mich mit meiner neuen Konfirmandengruppe getroffen, zwei Wochen nach dem Elternabend und den Kennenlern-Stunden fängt jetzt der normale Unterricht an. Es geht um Zusammenarbeit, um gemeinsame Projekte und um verbindliche Ziele. Zur Übung bilden wir Teams, die ein Ei so verpacken sollen, dass es den Fall aus dem ersten Stock des Gemeindezentrums überlebt. Was das mit dem christlichen Glauben zu tun hat? Wenig. Aber es macht Spaß,  und am Schluss gibt es Rührei für alle.

29.2.2008: Ein Freitag. Damals war ich noch in meiner Pfarrstelle in Schöneberg. Freitag war immer Wochenschlussandacht in der Dorfkirche. Meistens waren wir acht bis zehn Leute, wir haben gebetet und zusammen die Liturgie der Michaelsbruderschaft gesungen.

29.2.2004: Ein Sonntag. Gottesdienst, Wahrscheinlich. Nachmittags ausruhen. Wenn damals auch schon die Sonne schien, war ich sicher draußen auf der Terrasse.

29.2.2000: Diesen Tag gab’s gar nicht. Denn 2000 war gar kein Schaltjahr. Wegen der Millenniumsregel.

Schlangen, Schlangen in der Wüste…

Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.

Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.

Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

4. Buch Mose, Kapitel 21, Verse 4 bis 9

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Da ist sie wieder, die alte Frage: Wie kann Gott das zulassen?

Er selbst war es doch, der Moses berufen hat, mit den Israeliten aus Ägypten zu fliehen. Mit großen, unfassbaren Wundertaten hat er selbst die Israeliten begleitet und geführt, hat das Meer geteilt, so dass Israel mit trockenen Füßen hindurch ziehen konnte, hat die unbesiegbare Armee des Pharao vernichtet, so dass kein Reiter, kein Pferd, kein Streitwagen übrig blieb. Am Berg Sinai hat er den Seinen die Tafeln des Bundes gegeben, die zehn Gebote, die mit den Worten beginnen „Ich bin der Herr, dein Gott…“

Wo hat man es jemals gehört, dass Gott sich so mit seinen Leuten verbindet, dass er sich in einem Vertrag verpflichtet und schwört: „Ich will euch segnen, und ihr sollt ein Segen sein für alle Völker der Welt…“? Voller Staunen über diese Wunder waren sie, die anderen Völker, und Entsetzen ergriff sie über die machtvollen Taten, die Gott für Israel tat.

Aber dann kippte die Stimmung. Nach Jahren in der Wüste wurden die Menschen mürrisch, sie wurden sogar der Wunder Gottes überdrüssig. So sind wir wohl, wir Menschen, wir können uns an Hunger und Not gewöhnen, aber auch an Überfluss und Reichtum, und irgendwann tritt Gewöhnung ein und Langeweile, und wir werden unzufrieden mitten im Segen, wir spüren Hunger mitten im Überfluss, den Gott schenkt.

Und so murrten sie nicht nur über Moses, der alles Menschenmögliche tat, um das Volk sicher durch die Wüste zu bringen, vorbei an den anderen Völkern, die ihre Besitzansprüche mit Waffengewalt verteidigen würden, vorbei an den trockenen Tälern des Todes, in denen es kein Wasser gab und in denen Mensch und Tier elend zugrunde gehen mussten, weiter in immer neue sichere Oasen, wo sie sich erholen und neue Kraft schöpfen konnten – sie murrten auch gegen Gott, der ihnen die Gebote gegeben hatte und der sich ihnen zu eigen erklärt hatte in diesem Bund, in dem es hieß: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben…

Reden aus Angst übertönten die Worte des Vertrauens, Aufruhr zerstörte den Frieden, Eigensinn vernichtete die Gemeinschaft, Hass besiegte die Liebe und die Versprechen der Vergangenheit wurden vergessen ebenso wie die Verheißungen einer besseren Zukunft.

Und da waren sie plötzlich, diese kleinen, so tödlich giftigen Schlangen. Sie schlichen in Zelte, versteckten sich unter Decken, lauerten unter den Sätteln der Reittiere, waren sogar in den Betten, und selbst auf den Toiletten war man nicht sicher. Sie waren überall, und ihr Biss brachte den Tod. Schmerzhaft waren die Wunden, die unscheinbaren roten Punkte am Arm, am Bein, am Gesäß, und von diesen vergifteten Wunden aus breitete sich eine quälende Hitze durch den ganzen Körper. Wer gebissen war, hatte nur noch wenige Tage, in denen er sich schwitzend im Krankenbett hin und her wälzte, bis endlich der Tod ihn erlöste…

War es die Strafe Gottes für den Aufstand der Israeliten gegen Moses? War es die verdiente Folge ihrer Rebellion gegen Gott? Oder war es purer Zufall, dass ausgerechnet hier in der Wüste die Plage das Volk Israel traf wie vorher die Ägypter getroffen wurden von Heuschrecken, Fröschen, Finsternis und dem Engel des Todes, der alle Erstgeborenen tötete?

Was also war der Sinn hinter diesem hundertfachen Sterben? Waren die Schlangen des Werkzeug der Rache Gottes, das Instrument, mit dem er unbarmherzig und eifersüchtig seine untreuen Bundesgenossen züchtigte? Hatte Gott die Israeliten, sein auserwähltes Volk, aus Ägypten geführt, um sie hier in der Wüste sterben zu lassen? Hatte er ihnen nicht seinen Segen versprochen, seine Liebe, ein besseres Leben?

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Viele Jahre waren die beiden verheiratet. Es war so, wie sie es sich immer erträumt hatte, zuerst die Hochzeit in der Kirche, das weiße Kleid, die vielen Freunde, die ausgelassen tanzten… Dann die Hochzeitsreise, später das erste und das zweite Kind, ein Haus mit Garten, Geburtstagsfeste, Reisen… Jahre voller Glück. Aber dann kamen sie auch hier aus allen Verstecken, die  giftigen Schlangen… Gab es Grund für Eifersucht? Warum erzählte er nichts von dem, was er auf seiner Dienstreise erlebt hatte? Warum wurde er rot im Gesicht, wenn er über seine junge Kollegin sprach? Warum blieb er immer öfter abends lange weg? Was stellte sich da zwischen sie?

Sie redeten nicht darüber, aber sie spürten beide diese Veränderung. Sie stellte keine Fragen, trotzdem gab es immer öfter Streit. Es war wie ein Schlangenbiss, der ihre Ehe vergiftete. Misstrauen legte sich über die Liebe und ließ die Tage grau und fade werden. Auch sie wurde einsilbiger, in ihrer Traurigkeit ließ sie ihrer Phantasie freie Bahn, ihre Träume lernten fliegen, aber ihr Mann kam immer seltener darin vor.

Und während beide im Bett liegen – inzwischen schon in getrennten Zimmern – fragen sie sich: Was ist nur geschehen? Welche Fehler haben wir gemacht? Will Gott uns bestrafen? War er es nicht, unter dessen Segen wir gesagt haben „Ja, ich will!“? Hatte der Pfarrer nicht bei der Hochzeit gesagt: „So sprach Gott, der die Welt erschuf: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, darum sollen Mann und Frau einander ergänzen, sich gegenseitig lieben und ehren, einander achten und sich treu sein, solange sie leben…!“? Was ist der Sinn? Warum liegt Ihre Liebe im Sterben?

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Eigentlich war er kerngesund. Seinen Arzt sah er alle zwei Jahre zu einem Vorsorge-Check-Up. Das Übliche eben, Blutdruck messen, Ultraschall, Lungenvolumen, alles tipptopp. Der Zahnarzt lobte ihn für seine vorbildhafte Mundhygiene, eine Brille hat er nie gebraucht, höchstens im Sommer die coole Rayban mit den verspiegelten Gläsern, die ihn unwiderstehlich machte.

Da kam es wie ein Schock, als im Ultraschallbild jener kleine Knoten auftauchte, ein grauer Fleck an seiner Prostata, für den der Arzt schnell einen Namen fand: Krebs. Ein bösartiger Tumor, gerade noch rechtzeitig erkannt, behandelbar mit Chemotherapie und Bestrahlung, aber es würde eine harte Zeit werden.

Wie ein Schlangenbiss vergiftete die Angst jetzt sein Leben, jede Spritze war der Anfang neuer Qual, jede Bestrahlung nahm ihm für Wochen alle Kraft. Nichts war mehr so wie vor der Diagnose. Und regelmäßig stellte er sich die Frage: Warum ich? Warum jetzt? Und welchen Sinn hat das überhaupt… Will Gott mich bestrafen? Will er meinen Glauben testen? Was soll das alles?!

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So gern würden wir verstehen, was Gott tut, was er uns zumutet. Wenn Krankheit uns befällt, wenn geliebte Menschen sterben, wenn eine Ehe zerbricht oder eine Naturkatastrophe das Leben für immer verändert, dann suchen wir einen Sinn, einen Grund, einen göttlichen Plan hinter all dem Leid. Wir wollen hinter den Schmerzen einen Sinn erkennen, denn dann würde uns unsere Not weniger beliebig, weniger zufällig erscheinen. Wenn es einen guten Grund hinter dem allen gäbe – und sei es nur der, dass Gott uns prüfen oder strafen will – dann wäre der Schmerz leichter zu ertragen.

In der Bibel finden wir oft ähnliche Begründungen für das menschliche Leid: Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, weil sie von der verbotenen Frucht gegessen haben,  die Sintflut kommt über die Erde, weil die ganze Menschheit sich von ihrem Schöpfer abgewendet hat, Hunger, Krieg und Tod kommt über Israel, weil sie den Bund mit Gott immer wieder gebrochen haben…

Aber was, wenn Gott gar nicht so ist? Wenn er nicht kleinlich auf das Einhalten jeder religiösen Vorschrift besteht, wenn er aus Liebe zu den Menschen vieles erträgt, immer wieder vergibt und den gebrochenen Bund jedes Mal wieder neu unterschreibt?

Vielleicht ist nicht er es, der die giftigen Schlangen in den Weg der Israeliten gesandt hat, vielleicht ist das langsame Sterben der Liebe nicht eine Strafe Gottes für Ehebruch und Sprachlosigkeit in einer „Beziehung“, vielleicht ist die Krankheit nicht die gerechte Folge eines Lebens, das nach Gott nicht fragt?

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Ich glaube nicht,  dass Gott aus Zorn und Rache zuschlägt wie ein blindes Schicksal.  Ich glaube nicht,  dass Gott Unheil über die Menschen bringt, um sie zu bestrafen. Gott will nicht Leiden und Tod, er will das Leben. Er will, dass seine Liebe in uns Menschen zum Ziel kommt und ihre Erfüllung findet.

Er lässt aber den Menschen die Freiheit, ihren eigenen Weg zu gehen, ihren eigenen Willen durchzusetzen und auch gegen sein Gebot zu handeln. Dann aber muss der Mensch mit den Folgen seines Tuns leben. Er muss leben mit der Ungerechtigkeit, mit den Folgen des Klimawandels, mit den Kriegen, die er selbst heraufbeschworen…

Die Welt ist kein Spielplatz, keine virtuelle Realität, in der man nach Lust und Laune experimentieren könnte. Was hier entschieden wird, hat Folgen. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Wer zur Waffe greift, wird Blut vergießen. Wer ungerecht handelt, macht sich Feinde. Wer die Realität nicht wahrhaben will, wird sich in seinen Irrtümern verlieren.

Gott schafft nicht das Unheil und straft nicht mit Katastrophen,  aber er lässt zu, dass die Folgen unserer Taten uns treffen. Und das kann sehr weh tun.

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Gott richtet ein Heilszeichen auf für die Israeliten auf dem Weg durch die Wüste. Gerade die Schlange, die so viel Unheil über die Menschen brachte, wird zum Symbol der Heilung. Schaut auf die Schlange und glaubt, dass Gott euch helfen will, so werdet ihr geheilt!

Es ist eine seltsame Verbindung, die hier geknüpft wird, wo als ob Gott sagen wollte: Stellt euch der Wahrheit, verdrängt nicht euer Problem, macht euch nichts vor! Die giftigen Schlangen in eurem Leben sind wirklich, die Bedrohung ist real, ihr seid in Gefahr! Da hilft es nicht, die Augen zu schließen und die Not klein zu reden; es ist nicht gut, so zu tun, als wäre da kein Problem, das es zu lösen gilt.

Wer seine Augen erhebt und auf die Schlange aus Erz schaut, die Moses aufgerichtet hat, der findet Hilfe, Trost und Heilung.

Die Schlange wurde zum Symbol der Medizin, zum Zeichen der Mediziner, der Ärzte und Apotheker. Das Symbol für Lüge und Betrug wurde zum Zeichen des Lebens. Und der Stab, den Moses aufrichtete, wurde in der christlichen Bildsprache verbunden mit dem Kreuz, an dem Jesus durch seinen Tod allen Glaubenden das Leben wiederbrachte.

Wer auf das Kreuz Jesu sieht, sieht dort, wie weit die Liebe Gottes zu gehen bereit ist.

Das Kreuz ist das Zeichen der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes geworden. Unter dem Kreuz finden wir Vergebung. Hier wird mein Gewissen beruhigt. Hier findest Du Trost. Ja, es stimmt, die giftigen Schlangen sind immer noch da, auch für glaubende Menschen ist das Leben kein Spielplatz. Aber wer im Bewusstsein seiner Schuld und seiner Bedürftigkeit auf Jesus vertraut, an die Liebe Gottes glaubt, der wird leben. In Zeit und Ewigkeit.

Amen.