Leistung oder Charakter?

Worauf kommt’s an?

Heute war in der Evangelischen Schule Großziethen der Gottesdienst zum Ende des Schuljahres 2017-2018. Die Schülerinnen und Schüler der elften Klasse haben diesen Gottesdienst in ihrem Religionsunterricht zusammen mit mit vorbereitet – jede und jeder aus der Klasse hat eine Aufgabe übernommen: Da wurde der Altar geschmückt, eine Powerpoint-Präsentation mit den Liedern und Gebeten gestaltet, Gebete und Ansagen formuliert und ein kleines Theaterstück geprobt. Als Thema haben sich die Schülerinnen und Schüler die oben angegeben Worte gewünscht – Leistung oder Charakter? – worauf kommt’s an?

Nachdem die Lesung von den „Arbeitern im Weinberg“ gelesen wurde, durfte ich meine Predigt halten… An eben diesem Tag, an dem in der Schule die Zeugnisse verteilt werden, über dieses Gleichnis zu sprechen, ist schon irgendwie subversiv. Alle, Lernende wie Lehrende, sind auf das Ergebnis der Mühe und der Arbeit des vergangenen Schuljahres konzentriert, das sich offensichtlich, vorzeigbar und wirkungsvoll in einer Note auf dem Zeugnis manifestiert – und dann stellt sich da ein Pfarrer hin und behauptet, dass es im Leben nicht wirklich um Leistung und meßbaren Erfolg geht. Dass Bildung und Reife nicht darin besteht, in einer Maschinerie, wie sie die Schule, eine Universität, eine Firma oder ein Betrieb – sogar auch die Kirche – darstellt, reibungslos zu funktionieren. Sondern dass es darum geht, zu erkennen, was den Charakter formt und der Gemeinschaft nutzt – dass es darum geht, Engagement, Einfühlungsvermögen, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Dankbarkeit und Nächstenliebe zu erlernen.

Das Anspiel in diesem Gottesdienst zeigte eine Szene zwischen Vater und Sohn: der Sohn gibt dem Vater sein Zeugnis, aber es sind nur schlechte Noten darauf. Der Vater „macht den Sohn rund“, „faltet ihn nach allen Regeln der Kunst zusammen“. Am Ende bleibt der Vorwurf stehen: „Hab ich dich so erzogen? Was soll nur aus Dir werden? Du bist und bleibst ein Versager!“

Die Schülerinnen und Schüler sagten mir im Gottesdienst: „Nein, unsere Eltern sind nicht so.“ Auch die Lehrerinnen und Lehrer in der Evangelischen Schule sind nicht so, aber es sind die Schülerinnen und Schüler selbst, die hart mit sich ins Gericht gehen und sich harte Vorwürfe machen, wenn der Notendurchschnitt hinter ihren eigenen Erwartungen zurück bleibt. Und wenn sie sich selbst sagen „Du hast versagt, du kannst das nicht, du wirst es nie schaffen…“ – dann geben sie nur zu schnell auf.

An dieser Stelle war es Zeit, die wundervolle Erfahrung von Serap Yildirim in die Predigt einzubauen (sie hat es mir erlaubt!) und davon zu erzählen, dass man sich auch eine schlechte Note erst einmal verdienen muss. Einfach nur aufzugeben kann im Leben keine Option sein. Das sind sich Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer sich selbst schuldig!

Im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg kann man etwas über die Weisheit Gottes lernen: Der Weinbergsbesitzer gibt am Ende der Geschichte allen Arbeitern den gleichen Lohn – ob sie nun den ganzen Tag gearbeitet haben oder nur die eine Stunde am Abend. Ist das ungerecht? Klar, natürlich ist das ungerecht! Aber es geht nicht darum, dass jeder bekommt, was er verdient hat, sondern dass jeder bekommt, was er braucht und zum Leben nötig hat.

So ist Gott auch: Ungerecht und parteiisch stellt er sich auf die Seite des Menschen, fragt nicht, was jeder getan hat oder nicht getan hat, sondern verschenkt Liebe und Gnade. Er liebt uns vor jeder Leistung und trotz aller Schuld. Darum hängt die Menschenwürde nicht an dam, was auf dem Zeugnis steht, nicht an dem akademischen Grad, den man erreicht hat, nicht an einem Meisterbrief oder einem Kapitänspatent…

Menschenwürde hängt daran, dass man bereit war und bereit ist, sein Bestes zu geben, je nachdem, wozu man fähig ist. Dann braucht man auch kein schlechtes Gewissen haben oder sich Vorwürfe zu machen, wenn unter der Lateinarbeit eine fünf minus steht…

Zu diesen Sätzen – wenn sie auch ein bisschen subversiv gemeint waren und so auch verstanden wurden – konnte am Ende sogar die Schuldirektorin klatschen!

(Noch einmalen vielen Dank Dir, Serap, dass ich Deine Geschichte in der Schule erzählen durfte!)

3 Gedanken zu “Leistung oder Charakter?

  1. Danke sehr, lieber Richard, das meine lehreiche Geschichte mit meinen Lateinlehrer es bis in den Schulgottesdienst geschafft hat. Für mich eine sehr prägende Anekdote, die mich sogar nach über 20 Jahren noch begleitet. Mit hat in Deiner Prädigt vor allem dieser Satz gefallen: „Menschenwürde hängt daran, dass man bereit war und bereit ist, sein Bestes zu geben, je nachdem, wozu man fähig ist.“ Genau so sehe ich es auch. Jeder tut sein Bestes und ist damit gleichwertiger Teil unserer Gemeinschaft. Nochmals vielen herzlichen Dank!

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  2. Mein großes Kind kommt zurecht, soweit ich das sehen kann – vielleicht gerade deshalb, weil ich ihm schon sehr früh gesagt habe, dass sein Wert als Mensch für mich unabhängig von dem ist, was wir gemeinhin als Erfolg oder Versagen bezeichnen.

    Lieben Gruß Dir !

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