My very fractal life…

„Wir bestehen alle nur aus buntscheckigen Fetzen , die so locker und lose aneinanderhängen, dass jeder von ihnen jeden Augenblick flattert, wie er will; daher gibt es ebenso viele Unterschiede zwischen uns und uns selbst wie zwischen uns und den anderen.“

michel de montaigne

„der höchste grad an spannung, den eine person oder kultur aushalten kann, ist meiner meinung nach der wichtigste und produktivste psychische zustand eines individuums in der menschlichen kultur.“

thomas berry



die vielen stimmen in mir, wie kann ich sie leben, alle, ohne dass mich die gegensätze zerreissen?

m.l.

Lesetip für April : Gott – ein Theaterstück

Ferdinand von Schirach: Gott – ein Theaterstück

Edition Luchterhand 2020, ca. 120 Seiten.

Als Taschenbuch 11.00 Euro

Richard Gärtner, 78, ein körperlich und geistig gesunder Mann, will seit dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben. Er verlangt nach einem Medikament, das ihn tötet. Mediziner, Juristen, Pfarrer, Ethiker, Politiker und Teile der Gesellschaft zweifeln, ob Ärzte ihm bei seinem Suizid helfen dürfen. Die Ethikkommission diskutiert den Fall.

In der Sitzung des Ethikrates wird diskutiert über die Rechtmäßigkeit des Suizids in seinen vielen unterschiedlichen Erscheinungsformen. Es geht um Tötung auf Verlangen, um passive und aktive Sterbehilfe, um eigenverantwortlichen Suizid und um assistierte Selbsttötung. Welche Rolle haben Ärzte im Prozess des Alterns und des Sterbens? Kann die Gesellschaft die Voraussetzungen für einen menschenwürdigen Tod schaffen, gibt es überhaupt die Möglichkeit, in Würde zu sterben?

Alle diese Fragen werden in diesem Theaterstück in großer Breite und Tiefe diskutiert, sehr viel Hintergrundinformationen werden ins Bewusstsein gebracht, an manchen Stellen wird die Argumentation sehr hitzig und emotional, manchmal aber auch etwas trocken und akademisch. Trotzdem wird die Frage, die am Ende bleibt, jede Leserin und jeden Leser berühren: wem gehört das Leben? Wer entscheidet über den Tod?

Der Vorhang fällt, und alle Fragen bleiben offen…

Der zusätzliche Tag…

29. Februar. 2024. Schalttag. Donnerstag. Gerade habe ich eine Stunde in der Sonne auf dem Balkon gesessen und gelesen. Meine Frau liest zur Zeit Bücher von japanischen Schriftstellerinnen aus dem elften Jahrhundert und ist davon so begeistert, dass ich auch einmal hinein schauen wollte. Aber – entweder ist es die Literatur oder die Sonne  – ich wurde müde und bin jetzt wieder im Wohnzimmer…

Ein ziemlich verpröpelter Tag. Heute Abend ist noch GKR-Sitzung. Ich brauche unbedingt Kaffee.

Ich habe jetzt in meinen alten Kalendern geschaut, was ich eigentlich an den letzten Schalttagen so gemacht habe.

29.2.2020: Ein Samstag. In der Kirchengemeinde trifft sich eine kleine Gruppe, um gemeinsam zu kochen. Fleisch, Gemüse, Gewürze und Getränke wurden schon im voraus eingekauft, jetzt teilen wir uns auf und bereiten die vier Gänge eines Festmahls vor: Tortilla, Tapas, Paella, Kuchen, Kaffee und Süßigkeiten nach spanischem Rezept. Wir haben alle viel Spaß und es schmeckt wunderbar.

29.2.2016: Ein Montag. Ich bin allein zu Hause und nutze die Zeit, mein Büro aufzuräumen. Zwischendurch war ich im Supermarkt einkaufen. Die Fastenzeit beginnt und ich bin hungrig. Lustlos und genervt. Nachmittags habe ich entweder gelesen oder trotz der guten Vorsätze am Computer gedaddelt. Damals habe ich noch mit Begeisterung „Homeworld“ gespielt – man steuert ein paar Dutzend Raumschiffe durch die Galaxis und sucht die Heimatwelt…

29.2.2012: Ein Mittwoch. Am Nachmittag habe ich mich mit meiner neuen Konfirmandengruppe getroffen, zwei Wochen nach dem Elternabend und den Kennenlern-Stunden fängt jetzt der normale Unterricht an. Es geht um Zusammenarbeit, um gemeinsame Projekte und um verbindliche Ziele. Zur Übung bilden wir Teams, die ein Ei so verpacken sollen, dass es den Fall aus dem ersten Stock des Gemeindezentrums überlebt. Was das mit dem christlichen Glauben zu tun hat? Wenig. Aber es macht Spaß,  und am Schluss gibt es Rührei für alle.

29.2.2008: Ein Freitag. Damals war ich noch in meiner Pfarrstelle in Schöneberg. Freitag war immer Wochenschlussandacht in der Dorfkirche. Meistens waren wir acht bis zehn Leute, wir haben gebetet und zusammen die Liturgie der Michaelsbruderschaft gesungen.

29.2.2004: Ein Sonntag. Gottesdienst, Wahrscheinlich. Nachmittags ausruhen. Wenn damals auch schon die Sonne schien, war ich sicher draußen auf der Terrasse.

29.2.2000: Diesen Tag gab’s gar nicht. Denn 2000 war gar kein Schaltjahr. Wegen der Millenniumsregel.

Schlangen, Schlangen in der Wüste…

Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.

Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und wider dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.

Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

4. Buch Mose, Kapitel 21, Verse 4 bis 9

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Da ist sie wieder, die alte Frage: Wie kann Gott das zulassen?

Er selbst war es doch, der Moses berufen hat, mit den Israeliten aus Ägypten zu fliehen. Mit großen, unfassbaren Wundertaten hat er selbst die Israeliten begleitet und geführt, hat das Meer geteilt, so dass Israel mit trockenen Füßen hindurch ziehen konnte, hat die unbesiegbare Armee des Pharao vernichtet, so dass kein Reiter, kein Pferd, kein Streitwagen übrig blieb. Am Berg Sinai hat er den Seinen die Tafeln des Bundes gegeben, die zehn Gebote, die mit den Worten beginnen „Ich bin der Herr, dein Gott…“

Wo hat man es jemals gehört, dass Gott sich so mit seinen Leuten verbindet, dass er sich in einem Vertrag verpflichtet und schwört: „Ich will euch segnen, und ihr sollt ein Segen sein für alle Völker der Welt…“? Voller Staunen über diese Wunder waren sie, die anderen Völker, und Entsetzen ergriff sie über die machtvollen Taten, die Gott für Israel tat.

Aber dann kippte die Stimmung. Nach Jahren in der Wüste wurden die Menschen mürrisch, sie wurden sogar der Wunder Gottes überdrüssig. So sind wir wohl, wir Menschen, wir können uns an Hunger und Not gewöhnen, aber auch an Überfluss und Reichtum, und irgendwann tritt Gewöhnung ein und Langeweile, und wir werden unzufrieden mitten im Segen, wir spüren Hunger mitten im Überfluss, den Gott schenkt.

Und so murrten sie nicht nur über Moses, der alles Menschenmögliche tat, um das Volk sicher durch die Wüste zu bringen, vorbei an den anderen Völkern, die ihre Besitzansprüche mit Waffengewalt verteidigen würden, vorbei an den trockenen Tälern des Todes, in denen es kein Wasser gab und in denen Mensch und Tier elend zugrunde gehen mussten, weiter in immer neue sichere Oasen, wo sie sich erholen und neue Kraft schöpfen konnten – sie murrten auch gegen Gott, der ihnen die Gebote gegeben hatte und der sich ihnen zu eigen erklärt hatte in diesem Bund, in dem es hieß: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben…

Reden aus Angst übertönten die Worte des Vertrauens, Aufruhr zerstörte den Frieden, Eigensinn vernichtete die Gemeinschaft, Hass besiegte die Liebe und die Versprechen der Vergangenheit wurden vergessen ebenso wie die Verheißungen einer besseren Zukunft.

Und da waren sie plötzlich, diese kleinen, so tödlich giftigen Schlangen. Sie schlichen in Zelte, versteckten sich unter Decken, lauerten unter den Sätteln der Reittiere, waren sogar in den Betten, und selbst auf den Toiletten war man nicht sicher. Sie waren überall, und ihr Biss brachte den Tod. Schmerzhaft waren die Wunden, die unscheinbaren roten Punkte am Arm, am Bein, am Gesäß, und von diesen vergifteten Wunden aus breitete sich eine quälende Hitze durch den ganzen Körper. Wer gebissen war, hatte nur noch wenige Tage, in denen er sich schwitzend im Krankenbett hin und her wälzte, bis endlich der Tod ihn erlöste…

War es die Strafe Gottes für den Aufstand der Israeliten gegen Moses? War es die verdiente Folge ihrer Rebellion gegen Gott? Oder war es purer Zufall, dass ausgerechnet hier in der Wüste die Plage das Volk Israel traf wie vorher die Ägypter getroffen wurden von Heuschrecken, Fröschen, Finsternis und dem Engel des Todes, der alle Erstgeborenen tötete?

Was also war der Sinn hinter diesem hundertfachen Sterben? Waren die Schlangen des Werkzeug der Rache Gottes, das Instrument, mit dem er unbarmherzig und eifersüchtig seine untreuen Bundesgenossen züchtigte? Hatte Gott die Israeliten, sein auserwähltes Volk, aus Ägypten geführt, um sie hier in der Wüste sterben zu lassen? Hatte er ihnen nicht seinen Segen versprochen, seine Liebe, ein besseres Leben?

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Viele Jahre waren die beiden verheiratet. Es war so, wie sie es sich immer erträumt hatte, zuerst die Hochzeit in der Kirche, das weiße Kleid, die vielen Freunde, die ausgelassen tanzten… Dann die Hochzeitsreise, später das erste und das zweite Kind, ein Haus mit Garten, Geburtstagsfeste, Reisen… Jahre voller Glück. Aber dann kamen sie auch hier aus allen Verstecken, die  giftigen Schlangen… Gab es Grund für Eifersucht? Warum erzählte er nichts von dem, was er auf seiner Dienstreise erlebt hatte? Warum wurde er rot im Gesicht, wenn er über seine junge Kollegin sprach? Warum blieb er immer öfter abends lange weg? Was stellte sich da zwischen sie?

Sie redeten nicht darüber, aber sie spürten beide diese Veränderung. Sie stellte keine Fragen, trotzdem gab es immer öfter Streit. Es war wie ein Schlangenbiss, der ihre Ehe vergiftete. Misstrauen legte sich über die Liebe und ließ die Tage grau und fade werden. Auch sie wurde einsilbiger, in ihrer Traurigkeit ließ sie ihrer Phantasie freie Bahn, ihre Träume lernten fliegen, aber ihr Mann kam immer seltener darin vor.

Und während beide im Bett liegen – inzwischen schon in getrennten Zimmern – fragen sie sich: Was ist nur geschehen? Welche Fehler haben wir gemacht? Will Gott uns bestrafen? War er es nicht, unter dessen Segen wir gesagt haben „Ja, ich will!“? Hatte der Pfarrer nicht bei der Hochzeit gesagt: „So sprach Gott, der die Welt erschuf: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, darum sollen Mann und Frau einander ergänzen, sich gegenseitig lieben und ehren, einander achten und sich treu sein, solange sie leben…!“? Was ist der Sinn? Warum liegt Ihre Liebe im Sterben?

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Eigentlich war er kerngesund. Seinen Arzt sah er alle zwei Jahre zu einem Vorsorge-Check-Up. Das Übliche eben, Blutdruck messen, Ultraschall, Lungenvolumen, alles tipptopp. Der Zahnarzt lobte ihn für seine vorbildhafte Mundhygiene, eine Brille hat er nie gebraucht, höchstens im Sommer die coole Rayban mit den verspiegelten Gläsern, die ihn unwiderstehlich machte.

Da kam es wie ein Schock, als im Ultraschallbild jener kleine Knoten auftauchte, ein grauer Fleck an seiner Prostata, für den der Arzt schnell einen Namen fand: Krebs. Ein bösartiger Tumor, gerade noch rechtzeitig erkannt, behandelbar mit Chemotherapie und Bestrahlung, aber es würde eine harte Zeit werden.

Wie ein Schlangenbiss vergiftete die Angst jetzt sein Leben, jede Spritze war der Anfang neuer Qual, jede Bestrahlung nahm ihm für Wochen alle Kraft. Nichts war mehr so wie vor der Diagnose. Und regelmäßig stellte er sich die Frage: Warum ich? Warum jetzt? Und welchen Sinn hat das überhaupt… Will Gott mich bestrafen? Will er meinen Glauben testen? Was soll das alles?!

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So gern würden wir verstehen, was Gott tut, was er uns zumutet. Wenn Krankheit uns befällt, wenn geliebte Menschen sterben, wenn eine Ehe zerbricht oder eine Naturkatastrophe das Leben für immer verändert, dann suchen wir einen Sinn, einen Grund, einen göttlichen Plan hinter all dem Leid. Wir wollen hinter den Schmerzen einen Sinn erkennen, denn dann würde uns unsere Not weniger beliebig, weniger zufällig erscheinen. Wenn es einen guten Grund hinter dem allen gäbe – und sei es nur der, dass Gott uns prüfen oder strafen will – dann wäre der Schmerz leichter zu ertragen.

In der Bibel finden wir oft ähnliche Begründungen für das menschliche Leid: Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben, weil sie von der verbotenen Frucht gegessen haben,  die Sintflut kommt über die Erde, weil die ganze Menschheit sich von ihrem Schöpfer abgewendet hat, Hunger, Krieg und Tod kommt über Israel, weil sie den Bund mit Gott immer wieder gebrochen haben…

Aber was, wenn Gott gar nicht so ist? Wenn er nicht kleinlich auf das Einhalten jeder religiösen Vorschrift besteht, wenn er aus Liebe zu den Menschen vieles erträgt, immer wieder vergibt und den gebrochenen Bund jedes Mal wieder neu unterschreibt?

Vielleicht ist nicht er es, der die giftigen Schlangen in den Weg der Israeliten gesandt hat, vielleicht ist das langsame Sterben der Liebe nicht eine Strafe Gottes für Ehebruch und Sprachlosigkeit in einer „Beziehung“, vielleicht ist die Krankheit nicht die gerechte Folge eines Lebens, das nach Gott nicht fragt?

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Ich glaube nicht,  dass Gott aus Zorn und Rache zuschlägt wie ein blindes Schicksal.  Ich glaube nicht,  dass Gott Unheil über die Menschen bringt, um sie zu bestrafen. Gott will nicht Leiden und Tod, er will das Leben. Er will, dass seine Liebe in uns Menschen zum Ziel kommt und ihre Erfüllung findet.

Er lässt aber den Menschen die Freiheit, ihren eigenen Weg zu gehen, ihren eigenen Willen durchzusetzen und auch gegen sein Gebot zu handeln. Dann aber muss der Mensch mit den Folgen seines Tuns leben. Er muss leben mit der Ungerechtigkeit, mit den Folgen des Klimawandels, mit den Kriegen, die er selbst heraufbeschworen…

Die Welt ist kein Spielplatz, keine virtuelle Realität, in der man nach Lust und Laune experimentieren könnte. Was hier entschieden wird, hat Folgen. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Wer zur Waffe greift, wird Blut vergießen. Wer ungerecht handelt, macht sich Feinde. Wer die Realität nicht wahrhaben will, wird sich in seinen Irrtümern verlieren.

Gott schafft nicht das Unheil und straft nicht mit Katastrophen,  aber er lässt zu, dass die Folgen unserer Taten uns treffen. Und das kann sehr weh tun.

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Gott richtet ein Heilszeichen auf für die Israeliten auf dem Weg durch die Wüste. Gerade die Schlange, die so viel Unheil über die Menschen brachte, wird zum Symbol der Heilung. Schaut auf die Schlange und glaubt, dass Gott euch helfen will, so werdet ihr geheilt!

Es ist eine seltsame Verbindung, die hier geknüpft wird, wo als ob Gott sagen wollte: Stellt euch der Wahrheit, verdrängt nicht euer Problem, macht euch nichts vor! Die giftigen Schlangen in eurem Leben sind wirklich, die Bedrohung ist real, ihr seid in Gefahr! Da hilft es nicht, die Augen zu schließen und die Not klein zu reden; es ist nicht gut, so zu tun, als wäre da kein Problem, das es zu lösen gilt.

Wer seine Augen erhebt und auf die Schlange aus Erz schaut, die Moses aufgerichtet hat, der findet Hilfe, Trost und Heilung.

Die Schlange wurde zum Symbol der Medizin, zum Zeichen der Mediziner, der Ärzte und Apotheker. Das Symbol für Lüge und Betrug wurde zum Zeichen des Lebens. Und der Stab, den Moses aufrichtete, wurde in der christlichen Bildsprache verbunden mit dem Kreuz, an dem Jesus durch seinen Tod allen Glaubenden das Leben wiederbrachte.

Wer auf das Kreuz Jesu sieht, sieht dort, wie weit die Liebe Gottes zu gehen bereit ist.

Das Kreuz ist das Zeichen der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes geworden. Unter dem Kreuz finden wir Vergebung. Hier wird mein Gewissen beruhigt. Hier findest Du Trost. Ja, es stimmt, die giftigen Schlangen sind immer noch da, auch für glaubende Menschen ist das Leben kein Spielplatz. Aber wer im Bewusstsein seiner Schuld und seiner Bedürftigkeit auf Jesus vertraut, an die Liebe Gottes glaubt, der wird leben. In Zeit und Ewigkeit.

Amen.

Verdrossen an der Stange leben…

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Irgendwie sind sie auch Nerds, diese Pfarrer. Heute haben wir in einer Arbeitsgruppe zur Predigtvorbereitung dem Spieltrieb nachgegeben und aus den Worten des Predigttextes vom übernächsten Sonntag eine Collage gebaut. Natürlich kommt ziemlich viel Quatsch dabei raus, und für die Predigt nutzt es gar nichts, aber es macht Spaß.

Wenn man sich den nicht ab und zu gönnt, kann man ja auch gleich verdrossen an einer Stange leben…

Ansonsten heute eher schlechte Nachrichten, wenig Zeit und keine Lust…

Schlangen…

Wenigstens das habe ich mit Indiana Jones gemeinsam: Schlangen sind mir unheimlich.

Als ich in der dritten Klasse meiner Grundschule in Braunschweig war, brachte ein Lehrer, der Kontakt zu einem kleinen Privat-Zoo hatte, eine Schlange mit in den Naturkunde-Unterricht. Fasziniert sahen wir das beinahe einen Meter lange Tier an, wie es sich um den Arm unseres Lehrers wickelte und mit eleganten Bewegungen sich mal hierhin, mal dorthin drehte. Sie glänzte in hellem grün und hatte rote Streifen und Flecken an ihrem Kopf. Manche waren so mutig, die Schlange anzufassen oder zu streicheln, und ein ganz tapferes Mädchen ließ sich die Schlange sogar wie eine Kette um den Hals legen. Angeblich war sie kalt und trocken, dir Schlange, und überhaupt nicht glitschig oder schleimig…

Wir haben in den darauf folgenden Tagen viel gelernt über Reptilien, über giftige Tiere und die Art, wie sie jagen, über Dinosaurier und andere Tiere, die Eier legen, dass Schlangen sich regelmäßig häuten müssen, solange sie wachsen und viel mehr. Aber den Mut, eine Schlange anzufassen, hatte ich nie…

Psalm 51, für einen Aschermittwoch mit Jugendlichen



I. Gott, ich habe Vieles gedacht, gesagt und getan,

was mir später leid getan hat.

II. Ich bin schuldig geworden an den Menschen, die ich liebe

und habe die enttäuscht, die mir wichtig sind;



I. Niemand ist vollkommen, das weiß ich,

und trotzdem schäme ich mich,

eigentlich will ich nicht so sein.

II. Bist Du zornig über mich, Gott?

Du kennst mich gut; habe ich auch Dich enttäuscht?



I. Wirst Du mich verändern, Gott?

Wirst Du mich heilen, mich und auch die, denen ich weh getan habe?

II. Ach Gott, dir gefällt es, wenn ich die Wahrheit sage,

du weißt alles, und du zeigst mir, was richtig und gut ist.



I. Schaffe in mir, Gott, ein reines, treues Herz,

und gib mir einen neuen, festen und zuverlässigen Geist.

II. Wende dich nicht von mir ab, verlasse mich nicht!

Nimm deinen Heiligen Geist nicht weg von mir.



I. Wenn DU mir hilfst, freue ich mich,

wenn Du an meiner Seite bist, habe ich Mut.

II. Mit Dir kann ich die Prüfungen des Lebens bestehen.

An deiner Hand kann ich den richtigen Weg finden.



Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste,

wie es war im Anfang, jetzt und allezeit und in Ewigkeit.

Amen.



Bittere Ergebnisse…

Haben wir wirklich geglaubt, bei uns gäbe es das nicht?

In der vergangenen Woche ist die drei Jahre lang recherchierte Studie zu sexuell motivierter Gewalt in der evangelischen Kirche und in der Diakonie veröffentlicht worden, und es ist genau das an den Tag gekommen, was viele schon lang vermutet haben: Nicht anders als die katholische Kirche haben auch wir eine lange Geschichte von sexuellem Missbrauch und emotionaler Manipulation. Pfarrer und Pfarrerinnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche haben das besondere Vertrauen, das Gemeindeglieder in sie gesetzt haben, ausgenutzt, weil sie es konnten, weil sie sich unangreifbar fühlten, um der eigenen Befriedigung und des Gefühls der Macht willen.

Alle? Nein, natürlich nicht alle. Aber viel zu viele. Trotz der intensiven Forschung sind die Menschen, die diese Studie durchführten, an viele Grenzen gestoßen. Belastendes Material blieb unter Verschluss, weil die Menschen in der Kirche sich gegenseitig nicht belasten wollten, Daten wurden nicht veröffentlicht, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Was nun erforscht wurde, ist „nur die Spitze der Spitze des Eisbergs“. Und schon das, was jetzt an den Tag gekommen ist, ist erschreckend. Und beschämend. Und überaus traurig. Aber nicht unerwartet.

Oder haben wir wirklich geglaubt, bei uns gäbe es das nicht?

„Kinder des Lichts“ haben sich schon vor zweitausend Jahren christliche Gemeinden genannt. Schon bevor sich die Menschen, die an Jesus glaubten, sich „Christen“ genannt haben, gab es diese Bezeichnung für manche Gemeinden. Sie haben sich abgekehrt von der Dunkelheit und der Finsternis dieser Welt und folgen dem, der von sich gesagt hat „Ich bin das Licht der Welt“. Zumindest haben sie es versucht…

Diese Gemeinden haben diese Bezeichnung übernommen von anderen geschätzten und bewunderten Gruppierungen ihrer Zeit, von den Essenern, zu denen vermutlich Johannes, der Täufer gehörte, von den Gnostikern, deren Lehre vieles gemeinsam hatte mit dem, was Jesus gepredigt hat. Auch Paulus spricht oft über die Symbole vom Licht und von der Dunkelheit, die für ihn den Unterschied deutlich machen zwischen den Menschen, die Christus in der Fülle erkannt haben und denen, die von Christus nichts wissen, verblendet in der Vorstellung, sie könnten selbst und allein den Weg zu Gott finden.

„Kinder des Lichts“ war eine Formel der Abgrenzung gegenüber jenen, die „Söhne der Finsternis“ genannt wurden und in den Worten jener, die sich selbst für rein und heilig hielten, oft genug verteufelt und entmenschlicht wurden.

Bis heute gibt es in der Kirche Gruppen und Vereinigungen, die sich in irgendeiner Weise für besser halten, moralischer, heiliger als diejenigen, die nicht zu ihren Mitgliedern gehören. Es scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, auf andere herab blicken zu können, sich moralisch überlegen zu fühlen, sich gegenseitig immer wieder zu bestätigen: So etwas Schlimmes könnte bei uns nie passieren.

Auch Paulus kennt – wie gesagt – diese Formulierung auch, er hat sie selbst des öfteren benutzt. Auch er sagt zu seiner Gemeinde: Ihr seid die Kinder des Lichts. Aber er hat diese Formel immer mit einer Einschränkung und mit einer Warnung verbunden: Das Licht in uns kommt nicht aus uns selbst. Nicht wir sind es, die leuchten, es ist Christus in uns. Und wir haben den Glanz in zerbrechlichen Gefäßen, wir sind wie Öllampen aus dünnem Ton. Jeder Stoß kann dieses Gefäß zerstören, jeder Schlag kann es zerbrechen. Wir haben den Glanz, als hätten wir ihn nicht. Wir sind erlöst und müssen doch immer wieder in unsere Taufe zurück kriechen und uns die Vergebung Gottes zusagen lassen. Luther hat angeblich noch auf seinem Sterbebett gesagt: „Wir sind Sünder. Das ist wahr.“

Wir haben den Wunsch, Kirche möge anders sein. Wir haben den Wunsch, Christen würden anders miteinander umgehen. Wir haben gehofft, die Studie über die Verfehlungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in unserer Kirche hätte ein anderes Bild von uns gezeichnet.

Leider bringt dieser Wunsch aber viele Menschen in der Kirche dazu, diese Gefahr zu leugnen. Die Ergebnisse der Studie klein zu reden und zu relativieren. Abzustreiten, dass Missbrauch in unserer Mitte eine Realität ist. Andere haben ja auch… Die Zahlen der Studie sind nicht vergleichbar, die Datenbasis ist unvollständig – und so weiter. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Wir sehen nicht hin, wir hören nicht zu, wir lassen Missbrauchsopfer allein. Wenn wir ihnen nicht glauben, wenn wir ihre Not ignorieren, verletzen wir sie ein weiteres Mal.

Vielleicht wacht die Kirche in dieser Beziehung jetzt auf. Vielleicht nimmt sie jetzt ernst, dass wir auch nicht anders sind als Schulen und Sportvereine, als das Militär und jede beliebige Firma, in der viele Menschen zusammenarbeiten. In unserem Kirchenkreis gibt es gute Ansätze dazu: Es gibt offizielle Strukturen, man kann sich – auch anonym – an Menschen wenden, die mit der Beratung von Opfern und mit der Aufarbeitung von Übergriffen beauftragt sind. Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone, Lehrer und Erzieherinnen bekommen regelmäßig Fortbildungen, damit sie in der Lage sind, Mißbrauch zu erkennen und entsprechend zu handeln und zu helfen. Das sind wichtige Schritte, erste Maßnahmen, die dabei helfen können, dass sich etwas ändert.

Und trotzdem dürfen wir nie glauben, dass es so etwas bei uns nicht geben kann.

Der Mann im Spiegel

Man in the Mirror


Jeden Morgen sehe ich ihn, wenn er in sein Badezimmer kommt. Er putzt sich die Zähne, wäscht sich das Gesicht, rasiert sich. Sein Badezimmer sieht ganz genau so aus wie meines. Seine Haare sind nass, wahrscheinlich hat er gerade geduscht. Wie ich. Dann zwinkert er mir zu, als ob er sagen wollte: Du machst das schon, alter Kumpel. Manchmal lächelt er. Dann geht er aus dem Zimmer und macht die Tür hinter sich zu. Er lebt sein Leben da in seiner Spiegelwelt.
 
Er sieht mir ziemlich ähnlich. Ende Vierzig ist er wohl, ein bisschen zu dick, wahrscheinlich isst er gern und oft auch ein bisschen zu viel. Es schmeckt ihm, und er ist ein Genießer. Hat er wie ich eine Waage im Flur stehen und ärgert sich immer wieder einmal darüber, dass er wieder ein paar Pfund zugenommen hat?
 
Welchen Beruf er wohl hat? Manchmal sieht er um die Augen herum müde aus, als ob er nach einem harten Tag nur kurz geschlafen hätte. Manchmal wäscht er sich mit hektischen, schnellen Bewegungen, weil er sich beeilen muss, einen ungewöhnlich frühen Termin wahrzunehmen. Seine Hände sind wohl eher gewohnt, einen Stift zu halten als einen Hammer, sie sind nicht die kräftigen Hände eines Dachdeckers oder eines Schlossers, eher fein und schmal wie die eines Lehrers oder eines Rechtsanwaltes, harte körperliche Arbeit ist er sicher nicht gewohnt.
 
Er trägt einen Ehering, schon seit langem. Ein paar Kratzer sind darauf. Man sieht, dass er nicht mehr neu ist, dieser Ring. Auch in seinen Augen sieht man nicht mehr den Glanz, der aus den Augen frisch verliebter Menschen glitzert. Ob er wohl glücklich ist? Einmal habe ich seine Frau gesehen, die in das Badezimmer kam, um ihm ein neues Handtuch zu bringen. Sie ist schön. Ob da noch lebendige, brennende Glut glimmt unter der Asche? Seine Augen sind grau.
 
Ich frage mich, ob seine Frau und er noch miteinander reden, wenn er gleich mit ihr das Frühstück isst. Machen sie Pläne für das Wochenende? Erinnern sie sich gemeinsam an vergangene Urlaubsreisen? Oder legt sie ihm nur eine Einkaufsliste hin: Bitte, geh doch noch zum Kaufmann, wenn Du von der Arbeit kommst… „Schatz“, das Wort hat sie schon lange nicht mehr gesagt. Manchmal gibt es Streit, schon so früh am Morgen, aber an der Tür, wenn sie beide den Weg zu ihren Arbeitsplätzen beginnen, küssen sie sich. Ohne Leidenschaft, aber dankbar dafür, dass sie einander haben.
 
In der U-Bahn findet er vielleicht sein Lächeln wieder. Er freut sich über die anderen Menschen, über das Stimmengewirr, über das Treiben in der Großstadt am Morgen. Da trinkt einer einen Kaffee aus einem Pappbecher und hört dabei Musik aus Kopfhörerstöpseln in seinen Ohren, man merkt es an der Art, wie er mit dem Fuß wippt. Da lachen zwei langhaarige Schülerinnen über einen albernen Witz. Einige lesen die Morgenzeitung mit den immer gleichen Schlagzeilen über Krieg und Krise. Viele tippen Nachrichten in ihre Mobiltelefone oder lesen die ersten E-Mails das Tages auf einem Tablett-Computer. Manche sehen müde einfach vor sich hin, in Gedanken sind sie ganz weit weg, träumen von Mallorca oder von Mord. Manchmal lächelt jemand zurück, da in der U-Bahn, man nickt sich zu, und einen kurzen Augenblick fühlt man sich nicht mehr so allein.